Quellenangabe:
Resume der ersten beiden Wochen im Prozess gegen die drei Fremdenpolizisten (vom 20.03.2002),
URL: http://no-racism.net/article/395/,
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[20. Mar 2002]
Im Resumee der ersten beiden Prozesswochen am Landesgericht Korneuburg geht es um Opfer-Täter-Umkehr, Knebelungen, "unabhängige ZeugInnen", den rechten Anwalt Harald Ofner und Abschiebungen als alltägliches Geschäft.
Am 4. März 2002 begann am Landesgericht Korneuburg bei Wien der Prozess gegen drei Fremdenpolizisten. Die Anklage lautet: "Quälen eines Gefangenen mit Todesfolge." Marcus Omofuma war am 1. Mai 1999 in ihrer Begleitung im Zuge einer gewaltsamen Abschiebung nach Nigeria gestorben. für den Flug nach Sofia mit einem Flugzeug der Balkan Air war er mit Klebeband um körper und Mund gefesselt und geknebelt worden. In zwei internationalen medizinischen Gutachten wurde Tod durch Ersticken festgestellt - als Folge der Fesselung und Knebelung; ein umstrittenes Österreichisches Gutachten spricht von möglichem Tod durch Herzerkrankung.
Opfer-Täter-Umkehr
Die ersten Verhandlungstage im voraussichtlich noch bis 15. April dauernden Prozess waren gekennzeichnet von Verantwortungsverweigerung, Opfer-Täter-Umkehr und Zynismus. Wenn von Marcus Omofuma gesprochen wurde, dann als tobende, aggressive, schreiende, sich wehrende Person, die "tierische Laute" von sich gab. Aus dem Opfer wurde ein Täter, die Täter zu armen, unwissenden, nur ihre Pflicht tuenden Opfern. Der Angeklagte Josef B. gestand vor Gericht (18.03.02), dass er Marcus Omofuma im Zuge der Abschiebung als Drogendealer denunzierte, um nicht die Details des Asylverfahrens erklären zu müssen; eine Rechtfertigung für Misshandlungen? Das Szenario schafft ein eigenes Bild: wäre Marcus Omofuma ruhig gewesen, hätte er sich seinem "Schicksal" gefügt, sich abschieben lassen - ihm wäre nichts passiert. ZeugInnen sprechen im Prozess von der eigenen Befindlichkeit - der Anblick sei nicht schön gewesen, man hätte Omofuma nicht in die Augen geblickt, da er das als Provokation verstehen hätte können, man sei nicht informiert gewesen, Abschiebungen würden nicht gern gemacht. Trotzdem hatten sich die Fremdenpolizisten freiwillig dazu gemeldet. Die Sonderzahlungen für Polizeieinsätze im Ausland waren offenbar ein starker Anreiz.
Alle Verantwortlichen, so die Linie der Verteidigung, hätten von der Praxis des Mundverklebens gewusst, nur sei offiziell nie darüber gesprochen worden. Die Gespräche über die menschenverachtende Praxis fanden laut Aussagen der Angeklagten nur im "halbprivaten Rahmen" statt. Dort seien Erfahrungen ausgetauscht worden. Im Wachzimmer der Fremdenpolizei hing darüber hinaus über mehrere Jahre ein Bild, dass einen "Verklebten" im Flugzeug während einer Deportation zeigte. Sogar einer der drei beim Prozess als Zeugen geladenen ehemaligen Innenminister (alle von der SPÖ) hätte dieses Bild laut Aussage eines der Angeklaten gesehen - und nicht beanstandet. Sowohl Löschnak, Einem als auch Schlögl bestreiten dies jedoch.
Caspar Einem, Innenminister von April 1995 bis Jänner 1997, sagte in seiner Zeugenaussage, hätte er dieses Bild gesehen, hätte dies für ihn Handlungsbedarf bedeutet. Er könne sich jedoch nicht an ein solches erinnern. Weiters führte er aus, dass seines Erachtens nach Mundverklebungen nicht tolerierbar seien. Er gab an, dass er zwar von einem Fall des Mundverklebens bei einer Abschiebung wusste, dies aber nicht als Praxis akzeptiert hätte. Es könne aber sein, dass ihm gewisse Informationen in seinem Ressort vorenthalten wurden. Offenbar gab es innere Widerstände im Innenministerium gegen Einems "humanistisches" Politikverständnis (das aber in der praktischen Umsetzung wenig Konsequenzen hatte).
Einems Vorgänger Franz Löschnak, Innenminister von Februar 1989 bis April 1995, vertrat vor Gericht die Ansicht, dass Mundverklebungen als "Notwehrmaßnahmen" akzeptabel seien. Er hätte seit 1991 oder 1992 von der Praxis des Verklebens gewusst.
Karl Schlögl, Innenminister von 28. Jänner 1997 bis 4. Februar 2000, gab an, von Verklebungen nichts gewusst zu haben. für ihn sei unvorstellbar gewesen, dass bei Abschiebungen Klebebänder verwendet werden, eine solche maßnahme verstoße gegen die Menschenwürde. Erst nach dem 1. Mai 1999 hätte er maßnahmen gesetzt. Nur mehr speziell ausgebildete Beamten hätten Abschiebungen durchgeführt, Mundverkleben habe er untersagt. außerdem sei nach dem Tod Marcus Omofumas der Menschenrechtsbeirats eingerichtet worden, dessen Einrichtung schon vorher geplant gewesen sei.
Knebelungen
Zur DurchFührung der Abschiebungen verwendeten die AbschiebebeamtInnen zumindest bis 1.Mai 1999 ein "Set" - bestehend aus Leukoplast, Klebebändern und Klettverschlussbändern. Nur: wer hat das "Set", das bei jeder Abschiebung "am Mann" ist - wie eine Dienstwaffe - nun besorgt? Kollegen hätten die Klebebänder privat aus eigener Tasche bezahlt, denn diese seien nicht im Budget inbegriffen. Auf die Idee, sich das Geld zurückerstatten zu lassen, sei keiner gekommen. Wer die "Sets" besorgt hätte, kann nicht mehr so genau gesagt werden - sie wurden von Abschiebung zu Abschiebung an andere Beamte weitergegeben. Anfang der 90er Jahre sei die Idee aufgekommen, Menschen bei Abschiebungen den Mund zu verkleben. In Berichte über Abschiebungen sei das nach Aussage der Angeklagten nie aufgenommen worden, war es doch eine übliche, von allen BeamtInnen angewendete Praxis. So wie Essen und Trinken. Essen und Trinken sei bei abzuschiebenden "Schwarzafrikanern" jedoch nicht vorgesehen. Diese würden allgemein als gefährlich eingeschätzt und bekÀmen oft nichts zu Essen, wie eine Stewardess der Balkan Air angab.
Der ehemalige Leiter und später stellvertretende Leiter der Fremdenpolizei Herbert K., der selbst mehrere Abschiebungen durchführte, gab an, dass in einigen Protokollen über "Problemabschiebungen" das Mundverkleben erwähnt sei - jedoch immer dargestellt als "Notwehrmaßnahme gegen mögliche Bisse". Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Fremdenpolizist Christian Z. in seiner Zeugenaussage am 13. März angab, dass er einmal einen Bericht, in dem er das Mundverkleben erwähnte, zurückbekommen und umgeschrieben hätte. Auf einem gelben Zettel sei die Anmerkung gewesen, dass er den Hinweis auf das Mundverkleben weglassen solle. Er sei dem schon alleine deshalb nachgekommen, um nicht unangenehm aufzufallen (er war damals erst kurz bei der Fremdenpolizei).
Interessant für den Verlauf des Prozesses ist die Aussage von Karl H., ehem. Leiter der Fremdenpolizei, der als einziger der vernommenen Abschiebebeamten das Verkleben bei Abschiebungen kritisierte. Ihm wurde 1996 anlässlich einer Beschwerdeerledigung für den UVS erstmals die Thematik Problemabschiebungen bewusst. Er legte die Beschwerde seinem Vorgesetzten, Dr. Stortecky, vor und wartete den dienstlichen Weg ab. Karl H. hoffte auf eine Durchleuchtung der Sache und ein eindeutiges UVS Erkenntnis. Ohne ein solches Erkenntnis habe er den Beamten das Verkleben nicht verbieten können, da er sonst die Beamten, die ja ihren Auftrag durchzuführen hätten, in Stich gelassen hätte. Es kam jedoch keine Reaktion. Er dachte, die Verantwortlichen wollten im Interesse des Staates kein Verhaltenskorsett anlegen; er wollte nicht in etwas eingreifen, das von den Vorgesetzten nicht gewollt wurde.
Die Beamten auf die Problematik des Mundverklebens hinzuweisen erschien ihm notwendig, nachdem Semira Adamu während einer Abschiebung im September 1998 mit einem Kissen erstickt wurde. Er gab an, im Herbst 1998 vor versammelter Mannschaft bei zwei Dienstbesprechungen über das Problem gesprochen zu haben. Bei einer längeren Verklebung hätte ja jemand sterben können. Er habe auch gesagt, sollte eine Abschiebung nur mit Verklebung möglich sein, sei es besser, die Abschiebung abzubrechen und ins Gefangenenhaus zurückzukehren. Beamte müssten immer die verhältnismäßigkeit einer Handlung überprüfen. Bei der Dienstbesprechung hätten sich manche Beamte aufgeregt, als er ihnen RatschlÀge gab, ungefähr mit den Worten "stimmt nicht, mir kann eh nix passieren." Niemand gab dem Zeugen Recht, dass es gefährlich sein könnte.
Interessant ist jedenfalls, dass sich weder die Angeklagten, noch die als Zeugen geladenen Fremdenpolizisten an eine Dienstbesprechung erinnern können, bei der die Problematik des Mundverklebens angesprochen wurde. Karl Schlögl gab bei seiner Befragung jedoch an, zumindest davon gehört zu haben, dass eine derartige Dienstbesprechung gegeben haben soll, könne dies aber nicht bestätigen.
Unabhängige ZeugInnen?
Bisher sind im laufenden Prozess nur Personen vernommen worden, die ins Abschiebesystem involviert waren bzw. sind: Polizisten, ehemalige Innenminister und die Crew der Abschiebefluglinie. Bis jetzt nicht zu Wort gekommen sind unabhängige ZeugInnen. Zwar waren PassagierInnen des betroffenen Fluges geladen, doch wurde ZeugInnen aus Bulgarien lediglich Ladungen zugestellt, aber keine Bemühungen angestellt, für diese Visa bzw. Flugtickets zu besorgen. Gegen die Ladung von PassagierInnen des Fluges, auf dem Marcus Omofuma erstickte, sprachen sich die AnwÀlte der Verteidigung, Rifaat und Ofner, immer wieder vehement aus; die Schilderung der Angeklagten und der Beamten vom Flughafen Schwechat, die routinemäßig bei Abschiebungen Unterstützung leisten, sei ausreichend, den Fall zu rekonstruieren. Es seien ohnehin schon Einvernahmen während der Voruntersuchung erfolgt. Während des Prozesses wurde jedoch mehrmals ersichtlich, dass Widersprüche zwischen den Aussagen der Angeklagten bei!
den ersten Vernehmungen zu den jetzigen Aussagen vor Gericht bestehen.
Der rechte Anwalt
Drei Tage vor Prozessbeginn wurde bekannt, dass der ehemalige Justizminister und derzeitige FPÖ-Justizsprecher Harald Ofner die Verteidigung eines der drei angeklagten Beamten der Fremdenpolizei übernommen hat. Ein gelungener medialer Schachzug. Darüber hinaus ergibt sich daraus eine interessante Konstellation, die bis jetzt fast nicht beachtet wurde: Harald Ofner (ehemaliger Justizminister und derzeitiger FPÖ-Justizsprecher), dessen Parteifreund Dietmar Böhmdorfer (Rechtsanwalt und Justizminister der FPÖ) und Staatsanwalt Demler, der dem gegenüber Justizminister berichtspflichtig und weisungsgebunden ist.
Ofner stellte bereits in seinem Eingangsstatement den Sachverhalt so dar, als wäre Marcus Omofuma der aggressive Täter und die abschiebenden Beamten verängstigte Opfer gewesen. Des weiteren war es ihm nicht zu lächerlich, die Identität Marcus Omofumas in Zweifel zu ziehen. Darüber hinaus nutzte er die Verhandlung um festzustellen, dass der Staat handlungsunfähig sei, würden die Abschiebungen nicht mit entsprechenden Mitteln durchgeführt. Seine emotionalen AusFührungen scheinen vor allem auf Beeinflussung der SchÃŒffInnen abzuzielen, die gemeinsam mit dem Richter über Schuld oder Unschuld der Fremdenpolizisten entscheiden werden.
Abschiebungen als alltägliches Geschäft
In der Befragung der Crew-Mitglieder des Balkan-Air Fluges wurde deutlich, dass Abschiebungen für Fluglinien und FlugbegleiterInnen zum alltäglichen Geschäft gehören. Wenn Kritik an der Abschiebepraxis geübt wird, dann nur in Bezug auf Befindlichkeiten von FlugGästen und Bordpersonal. Die Fluglinien müssen dort angegriffen werden, wo es ihnen am meisten weh tut: an der finanziellen Basis.
Knebelungen (Verklebungen) und Fesselungen standen zumindest bis Mai 1999 in Österreich auf der Tagesordnung. Und dies, obwohl es ein rechtskräftiges Urteil des UVS aus dem Jahr 1996 gibt, in dem das Verkleben der Atemwege ausdrücklich verboten wird. Heute stellt sich die Frage: Wie wird jetzt vorgegangen? Welche maßnahmen werden angewandt; insbesondere bei so genannten "Problemabschiebungen", die in Österreich mit Charterflugzeugen des Internationalen Flugrettungsdienstes Austria (IFRA) durchgeführt werden? Dort gibt es keine ZeugInnen, der sogenannte Menschenrechtsbeirat, der zur Behebung von "Missständen" bzw. "STürungen" bei Abschiebungen gegründet wurde, wird in den Abschiebevorgang involviert.
überprüft wird bloß die DurchFührung auf "Menschenrechtskonformität", die Praxis selbst wird nicht in Frage gestellt. Trotz aller Verniedlichung durch einen hie und da zugezogenen "Menschenrechtsbeirat" bleibt doch festzuhalten, dass Abschie-bungen unter Zwang niemals menschenrechtskonform verlaufen können, sondern stets einen unverhältnis-mäßigen Eingriff in die Menschenrechte darstellen: Nur um eine Person außer Landes zu schaffen, wird die persönliche Freiheit geraubt, wird massiv körperlich bedroht, wird gequält und auch getötet. Schubhaft und Abschiebungen sind im Lichte der Menschenrechte unhaltbar. Im Prozess, bei dem es unter anderem um die Klärung der Todesursache von Marcus Omofuma geht, wird dies deutlich, wenn es lediglich um die Klärung geht, warum die Verklebung nicht rechtzeitig abgenommen wurde.
Die beschuldigten Beamten wussten vom Inhalt des ablehnenden Asylbescheides und ihnen musste klar sein, warum sich Marcus Omofuma wehrte. Der Widerstand kann daher insgesamt als überlebenskampf gesehen werden. Daraus und aus den Schilderungen der Beteiligten an Abschiebungen - sowohl der Angeklagten, als auch der Flughafenpolizisten und der Crew der Balkan Air - wird ersichtlich, dass das Verkleben bewusst durchgeführt wurde und keineswegs einen Einzelfall darstellte.
Jedenfalls wird der weitere Verlauf des Prozesses zeigen, wie weit die staatliche Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik gerechtfertigt wird und welche maßnahmen als akzeptabel erachtet werden. Ein Freispruch für die drei Fremdenpolizisten würde nicht nur das Inkaufnehmen von Toten bei Abschiebungen rechtfertigen. Der Prozess wird aufzeigen, welche Praktiken staatlicher Organe von der MehrheitsBevölkerung gebilligt werden.
Weitere Verhandlungstage:
08/04/02, 9:15: Vernehmung zweier Passagierinnen aus den Niederlanden
10/04/02, 9:15: Vernehmung des ersten medizinischen Sachverständigen
11/04/02, 9:15: Vernehmung des zweiten medizinischen Sachverständigen
15/04/02, 9:15: Vernehmung des dritten medizinischen Sachverständigen und vorauss. UrteilsfÀllung
Ort: Der Prozess findet im Schwurgerichtssaal des Landesgericht Korneuburg (Hauptplatz 1) statt. Korneuburg liegt ca. 15km nÃŒrdlich von Wien an der A22. Via Bahn ist es mit Zügen der S3 erreichbar, die im Halbstundentakt fahren.
Der Prozess ist öffentlich, Plätze sind genug vorhanden. Begleitend zum Prozess werden in Korneuburg Protestaktionen gegen Abschiebungen stattfinden.
Dieser Text ist eine Erweiterung des Resumees der ersten Prozesswoche (12.03.02). Weitere Analysen scheinen erforderlich. Der Text wurde am 20.03.2002 fertiggestellt.
Weitere Verhandlungstage:
08/04/02, 9:15: Vernehmung zweier Passagierinnen aus den Niederlanden
10/04/02, 9:15: Vernehmung des ersten medizinischen Sachverständigen
11/04/02, 9:15: Vernehmung des zweiten medizinischen Sachverständigen
15/04/02, 9:15: Vernehmung des dritten medizinischen Sachverständigen und vorauss. UrteilsfÀllung
Ort: Der Prozess findet im Schwurgerichtssaal des Landesgericht Korneuburg (Hauptplatz 1) statt. Korneuburg liegt ca. 15km nÃŒrdlich von Wien an der A22. Via Bahn ist es mit Zügen der S3 erreichbar, die im Halbstundentakt fahren.
Der Prozess ist öffentlich, Plätze sind genug vorhanden. Begleitend zum Prozess werden in Korneuburg Protestaktionen gegen Abschiebungen stattfinden.