Quellenangabe:
Occupy Christkindlmarkt (vom 17.11.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3952/,
besucht am 23.11.2024
[17. Nov 2011]
Ein im Auftrag der Stadt Wien handelnder Unternehmer verbietet den Verkauf der Straßenzeitung Augustin auf insgesamt acht Wiener Weihnachtsmärkten. Für kommenden Samstag wird zu einer Protestaktion am Rathausplatz aufgerufen.
Eigentlich wollten wir nicht auch noch unseren Senf zur allgemein üblichen, fast schon obligatorischen, jedenfalls längst zum Ritual gewordenen Zuwendung zu den Ärmsten in der Zeit des Advent dazu geben. Wir wollen nicht mitspielen beim bekannten Spiel der jährlichen Kalt-Warm-Fluktuation: In den Monaten mit "R" Mitleid mit den Marginalisierten und Obdachlosen, in den Monaten ohne "R" business as usual, und das heißt in Bezug auf die "Randgruppen": sie in erster Linie als "Problem" für die Stadt wahrzunehmen, als Störung des Stadtbildes.
Heuer müssen wir unsere Prinzipien ein bisschen lockern und Ihnen doch eine Adventgeschichte anbieten – eine Geschichte über das soziale Gewissen einer Stadt, die nachdenklich macht, als hätten wir sie extra für die Vorweihnachtszeit erfunden.
Die Geschichte beginnt mit dem Hinweis von Augustin-Leser_innen, sie hätten auf einigen Wiener Christkindlmärkten die Warnung "Betteln verboten!" gesehen. Damit zerstöre man die einzige Gelegenheit, die den Bettler_innen verbleibt, um auf früher übliche "Barmherzigkeits"-Einheiten und damit zu mehr als den im Jahresdurchschnitt üblichen Einnahmen zu kommen.
Sensibilisiert durch dieses offen zur Schau getragene Anliegen, nur Konsumierende auf den Plätzen zuzulassen, und gewitzt durch Erfahrungen vergangener Jahre, fragte der Augustin bei den Veranstalter_innen der größten Wiener Christkindlmärkte an, ob u. a. Verkäufer_innen der Wiener Straßenzeitung Augustin die Ausübung ihrer Tätigkeit in den Weihnachtsmärkten verwehrt wird.
Resultat: Es gibt zwei private Event-Firmen, die mit dem Wissen, der Billigung oder sogar mit dem Auftrag der öffentlichen Hand öffentliche Plätze der Stadt für die Dauer der Events zum Privateigentum erklären und den Straßenzeitungsverkauf verbieten. Es handelt sich dabei um die Event- und Promotion-Agentur MAGMAG (Chef: Christian Clement) und um den "Verein zur Förderung des Marktgewerbes" des Herrn Akan Keskin, Landesgremialobmann der Wirtschaftskammer, Unternehmer am Naschmarkt mit besten Beziehungen zur Rathausspitze.
Diese beiden Unternehmen verbieten auf öffentlichen Plätzen den Augustin-Verkauf in folgenden Weihnachtsmärkten: Rathausplatz, Fuzo Favoritenstraße, Mariahilfer Straße 51-55, Meidlinger Hauptstraße, Campus im Alten AKH, Maria-Theresien-Platz und Belvedere. Adventmärkte anderer Trägervereine erlauben Armen und Obdachlosen (zum Teil sogar mit gewisser Empathie), ihre Zeitungen zu vertreiben: Am Hof, Türkenschanzpark, Spittelberg, Karlsplatz, Freyung...
Besonders am Beispiel Rathausplatz zeigt sich, wie sehr die Verscherbelung von Gemeingütern an private Profiteure in Wien gediehen ist und welche absurden gesellschaftlichen Kosten bei dieser Politik der Durchkapitalisierung der wichtigsten Plätze der Stadt entstehen. Der Rathausplatz ist die "Mutter der öffentlichen Plätze" in Wien. Nicht zufällig endeten und enden hier die Demonstrationen der Arbeiter_innenbewegung. Bis 2006 vergab die Gemeinde Wien die Christkindlmarktstände am Rathausplatz selbst, die Einnahmen flossen in den gesellschaftlichen Topf. Heute "verschenkt" der Bürgermeister den Platz an den Unternehmer Akan Keskin. Dieser muss nur 5 bis 10 Euro je Marktplatz pro Tag an die MA 59 (Marktamt) zahlen. Er kassiert jedoch 7000 bis 10.000 Euro von jedem der rund 150 Christkindlmarkt-Stände für die Dauer des Markts; außerdem subventioniert die Gemeinde Keskins "Adventzauber" mit EINER Million Euro; eine weitere Viertelmillion steuert die Wirtschaftskammer bei. Der Markt am Rathausplatz erwartet 3 Millionen Besucher_innen, jede_r von ihnen wird rund 20 Euro am Platz lassen.
Wie er bei solchen Gewinnaussichten, die ihm die öffentliche Hand quasi risikofrei garantiere, den Ausschluss von Obdachlosen oder arbeitslosen Augustin-Leuten legitimieren könne, fragten wir Herren Akan Keskin. Michael Häupls Platzhirsch vor dem Rathaus reagierte wirsch: Falls der Augustin mit dieser Angelegenheit an die Öffentlichkeit gehe, werde er juristische Schritte gegen das Blatt einleiten. Im Übrigen werde er heuer eine 5000-Euro-Spende für "Licht ins Dunkel" abliefern.
Die Verkäuferinnen und Verkäufer des Augustin lassen sich die Freiheit, den öffentlichen Raum zu benützen, nicht nehmen. Sie werden am kommenden Samstag, 19. November, gemeinsam mit Leserinnen und Lesern der Straßenzeitung, gegen die Kommerzialisierung des Advent, gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums protestieren. Sie werden u.a. solche Forderungen an die rot-grüne Stadtregierung richten:
DIE ARMUT BEKÄMPFEN UND NICHT DIE ARMEN! SUPPENKÜCHEN FÜR JEDEN CHRISTKINDLMARKT! PLÄTZE GEHÖREN ALLEN UND NIEMANDEN! OCCUPY RATHAUSPLATZ!
Wir würden uns über Eure Teilnahme sehr freuen. Treffpunkt: Samstag, 19. November, 13 Uhr vor dem Burgtheater.
Redaktion Augustin