no-racism.net Druckversion

Quellenangabe:
Sprache, die Taten verharmlost (vom 21.11.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3955/, besucht am 20.04.2024

[21. Nov 2011]

Sprache, die Taten verharmlost

Die Sprache im Fall des Neonazi-Terrors in Deutschland war unpassend und diskrimi- nierend. Der Zentralrat der Jüdinnen und Juden hat darauf aufmerksam gemacht. Es lohnt sich auch, auf Hinweise der MigrantInnen zu hören.

Sprache ist verräterisch, und im Fall der sogenannten "Döner-Morde" war sie es gleich mehrfach: Denn nicht nur die Morde -zehn Tote (mindestens) in einem Jahrzehnt - werden mit der Metapher vom Imbissstand gleichzeitig verniedlicht und unsichtbar gemacht. Schließlich richteten sich die Taten nicht gegen Mittagssnacks, sondern gegen Menschen.

Aber auch die Mörder werden sprachlich verkleidet, als handle es sich um Comic-Personal: ein "Nazi-Trio" war's. Man denkt an die trottlige Panzerknackerbande aus Donald Duck oder an Donalds drei niedliche Neffen. Unversehens wird so aus einer Mordserie, die unglaublich lange übersehen, fehlinterpretiert und nicht aufgeklärt wurde, ein Stück aus einem Cartoon.

Als hätten Tick, Trick und Track in der Trinkhalle rumgeballert.

Das ist übrigens erst so, seit die wahren Zusammenhänge bekannt sind. Zuvor hatte man über kriminelle Verbindungen der Opfer gemutmaßt, oder - Romani Rose vom Zentralrat deutscher Sinti und Roma erinnerte kürzlich daran - im Fall der ermordeten Polizistin recht bald aufs "Sinti-und-Roma-Milieu" getippt. Dass man nicht mehr von Z. (diskriminierendes Wort für Roma und Sinti, welches hier nicht reproduziert wird) reden sollte, weiß man inzwischen. Außerdem wurde gemutmaßt, dass es sich bei den Morden um sogenannte "Ehrenmorde" handlee. Dies alles bevor überhaupt die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, dass es sich bei den Anschlägen und Morden um rechtsradikale Akte handeln könnte.

Was da geschieht, ist eine symbolische Ausbürgerung. Die "Döner"-Toten gehören nicht "zu uns". Sie sind die Anderen, die Fremden. Und hinter diesem behaupteten Fremdsein wird alles unwichtig, was die Toten voneinander unterscheidet. Ein/e ermordete/r Griechin/e ist so fremd wie die ermordeten TürkInnen, der/die BlumenhändlerIn, der/die Internetcafé-BetreiberIn, der/die SchneiderIn, der/die GemüsehändlerIn: Döner oder nicht, ist eh alles Döner.

Dass dies nach so vielen Tagen endlich aufgefallen ist, ist dem Zentralrat der Jüdinnen und Juden in Deutschland zu verdanken. Schließlich haben Deutschlands Jüdinnen und Juden ihre eigenen Erfahrungen mit symbolischen Ausgrenzungen gemacht, die dann nicht im Serien, sondern im Massenmord endeten. Und es ist ihren RepräsentantInnen, hier dem Vorsitzenden Dieter Graumann, zu danken, dass sie auch für die heutigen Opfer von Ausgrenzung immer wieder Stellung beziehen -wobei die der Jüdinnen und Juden nicht aufgehört hat.

Besser wäre es freilich, "wir" hörten auch die entsprechenden Hinweise der MigrantInnencommunities, an denen es auch diesmal nicht fehlte. Noch besser wäre, es würde auch ohne diese Hinweise etwas kritischer hingesehen. In dem Jahrzehnt, in dem diese Morde geschahen, ist das Leben der sogenannten Anderen in Deutschland insgesamt schwerer geworden. Das allein RechtsextremistInnen und FaschistInnen in die Schuhe zu schieben, ist wieder eine symbolische Ausbürgerung, hier eines Problems, das nicht nur die Ränder haben, sondern auch die Mitte der Gesellschaft.
Das Thema Rechtsextremismus in Deutschland muss außerdem viel stärker behandelt werden, in den Medien, der Politik und in der Erziehung. Es darf nicht so getan werden als wäre Rechtsextremismus ein Thema der deutschen Vergangenheit,oder er beträfe "nur" Ostdeutschland. Rechtsextremismmus und Neofaschismus ist ein gravierendes Problem mit dem sich die deutsche Gesellschaft viel offener kritisch befassen muss, damit aktiv Widerstand gegen Rassismus und weitere Formen der Diskriminierung geleistet werden kann.

Das Institut für Menschenrechte hat soeben darauf hingewiesen: Begriffe wie der der Döner-Morde spiegeln mindestens Vorurteile, womöglich rassistische Einstellungen. Und machen es schwer, rassistische Mordmotive zu erkennen.

Reden wir also vielleicht demnächst weniger über Integration und mehr darüber, was Integration am stärksten behindert: über Rassismus. Das heißt nicht, einzelnen Personen, VerfassungsschützerInnen oder Polizisten ein böses Etikett aufzukleben. Sondern Einfühlung und Sensibilität zu schulen, nicht nur ihre. Das Wort Rassismus tut weh. Aber Sprache ist nicht nur verräterisch, das richtige Wort kann auch am Anfang von Einsicht stehen.