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Quellenangabe:
Notizen zu den Bedingungen in Schubhaft in der Steiermark (vom 21.12.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3981/, besucht am 19.04.2024

[21. Dec 2011]

Notizen zu den Bedingungen in Schubhaft in der Steiermark

Dieser Artikel thematisiert die Zustände in der Schubhaft in der Männerabteilung im PAZ Graz und im PAZ Leoben. Kritisiert wird neben den Schikanen in Haft auch deren exzessive Verhängung. Schuhaft - eine totale Institution und lebensfeindlicher Raum?

Nach österreichischem Fremdenpolizeigesetz (FPG) § 76 können "Fremde" (wohl­ bemerkt, die Gesetzgebung schafft hier eine klare Abgrenzung zu den ganzwer­tigen "Menschen") "festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzu­nehmen ist, sie würden sich dem Verfah­ren entziehen."


23 Stunden im "geschlossenen Vollzug"


Was heißt das konkret für diejenigen, die nicht das über das Privileg eines österreichischen oder europäischen Reisepasses verfügen? Es bedeutet Folter und rassistische Schikane. Wie kann mensch es sonst nennen, wenn Sans Papiers und andere von einer rassistischen Justiz nicht anerkannte Flüchtlinge hinter Mauern aus Stahlbeton monatelang lebendig begra­ben werden?

Im PAZ Graz (Polizeianhaltezentrum Pau­lustorgasse) werden sie allein oder zu zweit im sog. "geschlossenen Vollzug" für 23 Stunden am Tag in ihre kleinen Zellen eingeschlossen, bis sie deportiert werden oder sich für eine "freiwillige Rückkehr" entscheiden. Die bedeutet Haft oder "freiwillig" in Länder zurückzukehren, aus denen sie flüchten wollten bzw. mussten, um eine Zukunft und ein annähernd sicheres Leben zu haben.

Sind sie allein in den Zellen, haben die Gefangenen oft mit der sensorischen Deprivation zu kämpfen, mit dem Entzug möglichst vieler Reize. Der Verlust von Zeitgefühl ist nur eine der Folgen davon, die Resignation vor der eigenen Situation angesichts der übermächtigen Gegner_innen ist eine andere.

Doch auch die Zweierbelegung einer Zelle ist keine wesentliche Verbesserung: Da die Räume ohnehin für eine Person schon mehr als nur knapp bemessen sind, wirken sie für zwei Personen erdrückend. Dazu kommt noch das Fehlen jeglicher Privatsphäre. Selbst das WC und das Waschbecken sind nur durch eine nied­rige Metallschwingtür vom Rest der Zelle abgetrennt. Diese "Tür" ist sowohl oben als auch unten offen und reicht gerade einmal bis zur Höhe des oberen Stock­betts. Nicht einmal der Schutz vor den Blicken der anderen beim Aufsuchen der Toilette ist daher möglich, vom Fehlen anderer Abschirmungen gar nicht zu reden. Unfreiwillig wird so jede menschli­che Notdurft mit anderen geteilt.(1)


Lebensfeindlich und menschenrechtswidrig


Alles in allem ist diese Umwelt ein men­schenfeindlicher Lebensraum. "Was die Gefängniszelle so bedrohlich macht, sind ihre Schlösser und Gitter. Die verschlos­sene und vergitterte Zelle innerhalb eines von Mauern und Wachtürmen umgebe­nen Gefängnisses lässt keine Beschöni­gung mehr zu. Die massiven Eisenstäbe vor dem Fenster, der eingeengte Raum und die stabile Stahltür, die innen weder über Schloss noch Griff verfügt, schaffen Fakten. Spätestens nachdem die Zel­lentür verriegelt worden ist, erkennt der Mensch, dass er[_sie] in der Falle sitzt. Die physische Absonderung in einem Zwinger lässt keinen Zweifel daran zu, dass die Gesellschaft ihm[_ihr] ihre Solidarität aufgekündigt hat"(2).

In (seltenen) klaren Momenten wird sogar den Vollzugsbeamt_innen klar, dass dieser Zustand menschenrechtswidrig ist und sie räumen die Notwenigkeit einiger "Verbes­serungen" ein. Aber, um einen Beamten zu zitieren: "Naja, das ist halt die österreichische Mentalität. Was vor 50 Jahren irgendwie funktioniert hat, wird auch in 50 Jahren noch irgendwie funktionieren." Der lebensfeindliche Raum wirkt sich auch auf diejenigen aus, die darin ihrer Lohnar­beit nachgehen. Wie es typisch für totale Institutionen ist, ist die Folge entweder die Desensibilisierung, die Abstumpfung oder der Nervenzusammenbruch. So scheint es vielen der Personen, die im Vollzug der Schubhaft arbeiten, nicht mal bewusst zu sein, dass sie Familien und enge Beziehungen trennen, Freund_innschaften zerreißen und Existenzen zerstören.


Ihr nennt es "Sicherheit", ich nenne es "Schikane"


Auch wenn andernorts der Zustand der Zellen und der Aufenthaltsräume etwas besser als in Graz sein mag, so wird die Schikane unter dem Deckmantel der "Sicherheit" nur etwas subtiler: Welchen Sinn hat es, dass Schubhäftlingen und anderen sozialen Gefangenen zum Beispiel im PAZ Leoben die Schuhbänder abgenommen werden, um angeblich ihre Sicherheit zu gewährleisten, wenn sie gleichzeitig über Stromkabel, Bettlaken etc. verfügen? Und wie zynisch sind doch diese Sicherheitsmaßnahmen, wenn die reine Existenz der Schubhaft - verstärkt durch rassistische Arbeitspraxis - im Vollzug doch an sich eine Gefährdung der psychischen und physischen Unversehrtheit der Gefangenen ist?


Letzter Ausweg Hungerstreik


Voller emotionaler Kälte werden die Hun­gerstreiks, eine der wenigen Methoden des Widerstands hinter den Gitterstäben ohne eine Solidaritätsbewegung, von den Beamt_innen als nervige Routine zur Kenntnis genommen. Für die Streikenden bedeutet es aber, dass sie ihre Gesundheit dauerhaft riskieren - und nach eigenen Angaben auch bereit sind, im Gefängnis zu sterben. Und gleichzeitig ist es für viele die einzige erkennbare Möglichkeit, sich der Deportation oder der psychischen und psychosomatischen Belastung monatelanger Isolation in den Polizeianhaltezen­tren zu entziehen.

Die Sanktionen für Gefangene, die in den Hungerstreik treten, sind massiv: Sie können in Graz in die sog. Beobachtungszellen verlegt werden, die bis auf ein Bett und eine Decke völlig leer sind. Die Men­schen werden dort 24 Stunden lang mittels einer Kamera überwacht, sind völlig isoliert und müssen sich dort entkleidet aufhalten.

Wenn die Hungerstreikenden schließlich aus Grund der Haftunfähigkeit frühzeitig entlassen werden, scheint ihr Schicksal den Beamt_innen plötzlich gleichgültig zu sein, wie der Fall von Geoffrey A. zeigt, der nach seinem 40-tägigen Hungerstreik auf der Straße zusammenbrach und erst einmal eine Viertelstunde am Boden liegen blieb, bevor er von einem Freund in die Intensivstation eines Wiener Krankenhauses gebracht werden konnte(3). Auch wenn es sich hierbei um einen Vorfall in einem anderen Bundesland handelt, entspricht die Vorgehensweise seitens der Behörden genauso der steirischen Praxis.


Schubhaft als kollektive Abschreckung


Doch auch die Schreibtischtäter_innen der Fremdenpolizei im Nebengebäude und in den Bezirkshauptstätten sind es wert hier erwähnt zu werden. Ihr Kalkül, selbst psychisch kranke Menschen, die über ein festes soziales Umfeld in Österreich verfügen und alle Voraussetzungen einer Duldung erfüllen, die maximal mögliche Zeit in Haft zu lassen, - nicht obwohl, sondern weil sie genau wissen, dass vom "Heimatland" keine Heimreisezertifikate(4) ausgestellt werden -, ist als absolut menschenverachtend zu verurteilen und setzt das psychische und physische Überleben vieler leichtsinnig auf's Spiel.(5) Mit dieser Methode soll scheinbar bezweckt werden, dass sich die Geschichten der traumatisierenden Erfahrung der Schubhaft in den Herkunftsländern verbreiten, um Österreich als Durchreise- oder gar als Zielland gänzlich unattraktiv zu machen.

Dass diese gnadenlose Logik nicht funktionieren kann, weil eine algerische Staatsbürger_innenschaft nicht bedeutet, alle Algerier_innen persönlich zu kennen bzw. in Kontakt zu ihnen zu stehen, ist der rassistischen und nationalistischen Weltsicht so mancher Behördenvertreter_innen fremd. Nicht nur in diesem Punkt zeigt sich, dass das Migrationsregime nicht einmal im Sinn seiner Betreiberinnen funktioniert. Wer aus existentieller Not, vor Krieg oder Verfolgung flüchtet, lässt sich in den meisten Fällen nicht aufhalten oder abschrecken - höchstens töten oder zerbrechen. Die
exzessive Verhängung der Schubhaft ist ein hilfloses und wahnwitziges Mittel der Staatsgewalt, das das Bedürfnis der Men­schen nach Bewegungsfreiheit nicht zu stoppen vermag, sondern nur weiterhin Menschenleben zerstören kann.



Quellen:


1 Stelle deshalb, weil jederzeit ohne Vorankündigung die Zellentür aufgehen kann und plötzlich Beamt_innen der Vollzugsbehörde in der Zelle stehen. Beamt_innen, die sehr wohl die Möglichkeit hätten anzuklopfen, empfinden dies scheinbar nicht notwendig, da es sich ja nur um "Fremde", sogar um "entmenschlichte" Gefangene handelt.
2 Hubertus Becker, Die Niederlage des Gefängnisses. Eine Bestandsaufnahme. (S.26ff) Leipzig, 2008.
3 http://deserteursberatung.at/themen/article/910/449/
4 Das Heimreisezertifikat (HRZ) bestätigt die Aufnahme seitens des (vermuteten) Herkunftslandes und ist ein notwendiges Dokument um eine Abschiebung oder freiwillige Rückkehr durchzuführen.
5 In der Steiermark befanden sich, als dieser Artikel geschrieben wurde, einige Flüchtlinge in Schubhaft, auf die alle diese Beschreibungen zutrafen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Enterhaken #42, Dezember 2011 (siehe :: maydaygraz.wordpress.com) und wurde hier von no-racism.net bearbeitet. Er beruht auf Beobachtungen der Zustände in der Schubhaft im PAZ Graz und im PAZ Leoben. Die Schubhaft hängt in Graz mit der Verwaltungsstrafhaft zusammen. Die Beschreibungen beziehen sich nur auf die Männerabteilungen. In der Frauenabteilung im PAZ Graz befinden sich wesentlich weniger Gefangene, die Einrichtung der Hafträume ähnelt denen der Männer. So kann es hier vorkommen, dass sich bis zu fünf Frauen eine Zelle ohne irgendeine Privatsphäre teilen müssen, da das WC gleich wie in der Männerabteilung Schubhaft praktisch nicht abgetrennt ist.