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Quellenangabe:
Eindrücke von der 1. März-Kundgebung am Handelskai (vom 03.03.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4040/, besucht am 19.04.2024

[03. Mar 2012]

Eindrücke von der 1. März-Kundgebung am Handelskai

Zum transnati- onalen Migrant_innen Streik fanden in Wien drei Kundgebungen statt. Im folgenden ein Bericht von der ersten Station, bei der das Thema Migration im Mittelpunkt stand und insbesondere der Deutsch- sprechzwang kritisiert wurde.

Der teilweise überdachte, ca. 50m lange Durchgang zwischen U6-Ausgang und Millennium City war als Ort der Kungebung gut gewählt. Die beiden Busse hatten gut Platz, der davor ausgerollte Teppich samt den Tischen und Bänken, den Schildern und Transparenten erzeugte sofort viel Aufmerksamkeit.

Der Aufbau der Soundanlage verlief noch nicht ganz reibungsfrei. Aber alle Beteiligten packten mit an, was darin gipfelte, dass einer der geladenen Moderatoren kurzerhand mit einem Benzinkanister zur nächsten Tankstelle lief, da dem Generator schon nach kurzem Probelauf der Saft ausgegangen war. Die Stimmung war gut. Den größten Spaß hatte wohl die kleine, teils venezianisch maskierte, teils stark geschminkte Theatergruppe, die durch pantomimisches Treiben für Irritation bei den Vorbeigehenden sorgte.

Als die Anlage schließlich lief, war unsere akkustische Präsenz ziemlich kräftig, was durch die teilweise Überdachung und den Hall noch gesteigert wurde. Einer der Gemüseverkäufer vom 40m entfernten Markt unter der U-Bahn-Trasse kam zu uns und meinte, er sei voll solidarisch mit unseren Inhalten, aber ob wir bitte den Ton etwas leiser drehen könnten, denn er verstehe seine Kund_innen nicht mehr. Nachdem wir seiner Bitte nachgekommen waren, kam er wenig später wieder und bedankte sich, sichtlich beglückt über die Veranstaltung, die er nun ohne Störung seines Betriebes aus der Entfernung mitverfolgen konnte.

Die Programmregisseurin vor Ort hatte anfangs ihre liebe Not, weil die geladenen Redner_innen sich etwas verspäteten. So musste sie improvisieren und lud umstehende Aktivist_innen mit Migrationshintergrund zu unvorbereiteten Interviews. Aufgrund der Souveränität des Moderators, der es immer wieder schaffte, das Publikum anzusprechen und sich wiederholt von den Grünen eine aggressivere Politik wünschte, fiel diese Improvisation nicht weiter auf.

Eine Intervention ganz anderer Art nahm der zweite Moderator in Angriff. Er befragte seine mittlerweile eingetroffene Interviewpartnerin auf Serbisch. Aus der Perspektive des im Menschenstrom positionierten Zeitungsverteilers, der des Serbischen nicht mächtig ist, war zu beobachten, dass manche, wie es schien des BKSen mächtige Personen aufhorchten und schmunzelten, andere waren irritiert und schauten verwirrt auf die hochgehaltenen Plakate und Transparente, die auch nicht nur in Deutsch beschriftet waren.

Bei den nachfolgenden Interviews, die wieder auf Deutsch zu den Themen Alter und Migration sowie Erdbebenhilfe für Wan gehalten wurden, war die Irritation bei den Vorbeiziehenden spürbar geringer. Es ist schwer zu sagen, welche Interviews mehr Aufmerksamkeit und Publikum gebunden haben. Dass kein großer Unterschied festzustellen war, spricht eher dafür, dass öfter mehrsprachige Kundgebungen gemacht werden sollten.

Immer wieder kam ein neuer Schwall Menschen von der U6 herüber. Nicht selten waren die Augen der Vorbeigehenden so sehr zur Seite in Richtung der Kundgebung am Rand des Durchgangs gerichtet, dass sie richtiggehend erschraken, als ihnen von unseren Verteiler_innen ein Flugzettel oder eine Zeitschrift vor die Nase gehalten wurde. Es konnte ziemlich viel Schriftwerk verteilt werden. An der Reaktion der Leute war ersichtlich, dass die Aufmachung sowohl der Flugzettel als auch der Zeitschrift sehr ansprechend war. Ein Jugendlicher war gleich an einer Zwischenüberschrift hängengeblieben und zitierte laut lachend: "Österreich ist ein EIN-WAN-DER-UNGS-LAND, Fashstest me!", woraufhin sich seine Freunde auch noch eine Zeitung holten.

Der letzte Redner erhielt für seine großteils auf Türkisch mit Verwe vorgetragene und am Ende kurz auf Deutsch zusammengefasste Kritik am Deutschsprechzwang in Bäckereien Szeneapplaus. Nach seiner Rede wurde er von einer älteren Dame verbal attackiert. Er lud sie ein, mit ihm zu reden. Als sie jedoch weiterschimpfte, bemerkte er trocken: "Sie riechen nach Alkohol." Daraufhin schlug ihm die Frau empört mit der flachen Hand auf die Stirn und rannte davon.

Da das Rote Kreuz gegenüber einen breiten Bücherflohmarkt aufgebaut hatte, wurde der Durchgang zwischen U-Bahn und Einkaufszentrum recht eng. Zumindest zum Teil dürfte dieser Umstand daran Schuld sein, dass sich keine größere, nur selten zweireihige Menschentraube rund um die Kundgebung bildete. Die Zahl der Menschen, die stehenblieben, um dem Gesagten etwas länger zuzuhören, war gemessen an der Zahl der Vorbeigehenden gering. Trotzdem war die Kundgebung aufgrund der sichtlich großen erzeugten Aufmerksamkeit insgesamt sehr gelungen und eine gute Generalprobe für die nachfolgende Kundgebung am Stephansplatz.