Quellenangabe:
Konsequente Ablehnung - Pressemitteilungen (vom 13.03.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4047/,
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[13. Mar 2012]
Befangen oder nicht? "Persilschein für die richterliche Kammer im Fall Oury Jalloh". The VOICE Refugee Forum und Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zum Prozess am Landgericht Magdeburg.
Jena, 13. März 2012 - Die 3 Berufsrichter, die mit dem durch die Nebenklage gestellten Befangenheitsantrag gegen die richterliche Kammer des Magdeburger Revisionsprozesses im Fall Oury Jalloh befasst waren, haben diesen nach sachdienlichen Stellungnahmen aller am Prozess beteiligten Parteien als unbegründet zurückgewiesen.
Angesichts des ungeheuerlichen Vorschlages der Kammer, dem Prozess per Einstellung des Verfahrens nach § 153a gegen Zahlung einer Geldstrafe ein unwiderrufliches Ende mit attestiert minderschwerer Schuld bereiten zu wollen, der wiederholten Ablehnungen objektivierender Beweisanträge (zuletzt der eines ergebnisoffenen Brandgutachtens, in dem Brandumstände, -verlauf und -ergebnis ohne Zugrundelegung der bisher durch nichts verifizierten Hypothese von der Selbstentzündung mittels - anfänglich gar nicht asserviertem! - Feuerzeug hätten rekonstruiert werden können), der Vorwegnahme einer wesentlich urteilenden Schlussfolgerung bezüglich der Ereignisse vom 7.1.2005 in Dessau in der Ablehnungsbegründung zu diesem Brandgutachten, wie auch der kolportierten Aussage der vorsitzenden Richterin Claudia Methling zur Meidung möglicher Beschwerden von Tierschützern bei Verbrennung eines Schweinekadavers zu gutachterlichen Zwecken, stellt sich dem interessierten Beobachter die augenscheinliche Frage nach den "rechtsstaatlichen" Wertmaßstäben dieser Entscheidungsfindung.
Die zuständige Kammer des Landgerichtes in Magdeburg hat es in den 14 Monaten ihrer Verfahrensführung tunlichst vermieden, den seitens des BGH eingeforderten Mindestanforderungen an das Revisionsverfahren auch nur annähernd gerecht zu werden - eine objektivierende Vervollständigung der Beweisaufnahme wurde nachhaltig verhindert, eine Benennung der offensichtlich stattgehabten pflichtverletzenden Verantwortlichkeiten wurde zu keiner Zeit angestrebt und der explizit zuerkannte Anspruch der Hinterbliebenen auf ein rechtsstaatliches Verfahren erneut boykottiert!
Seit nunmehr über 7 Jahren beweist die vorgeblich vom Staatswesen unabhängige Judikative wiederholt, wozu sie nachhaltig eben nicht in der Lage ist - nämlich zu rückhaltloser Aufklärung von Fällen exekutiver Fehlleistungen, inklusive solcher mit tödlichen Konsequenzen. Im 'Regelfall' einer solchen Konstellation wird bereits das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren sang- und klanglos eingestellt, weil sich angeblich kein Verdacht auf strafrechtlich relevantes Verhalten der handelnden (tötenden) Beamten eruieren ließe. Wie ein solches Szenario etabliert wird, lässt sich auch im Fall Oury Jalloh exemplarisch nachvollziehen: Beweisende Dokumentationen und Zeugenaussagen werden manipuliert oder unterschlagen und der Fokus der "Untersuchung" durch (gern auch hypothetische) Schuldzuweisungen an die jeweiligen Opfer quasi ins Gegenteil verkehrt. Lässt sich aufgrund nachhaltigem öffentlichen Aufklärungsdruck eine Anklageerhebung dann doch nicht mehr umgehen, wird diese im inhaltlichen Vorwurf und personellen Umfang auf das nicht zu vermeidende Mindestmaß eingegrenzt. Langwierige, skandalöse "Gerichtsverfahren" zielen eher auf finanzielle Ausblutung und moralische Zermürbung von Opfern und deren Angehörigen als auf tatsächliche Aufklärungsbemühungen ab.
Die hier praktizierte institutionalisierte Kapitulation des Rechtsstaates im Angesicht tödlicher Handlungsweisen polizeilicher Beamter ist nicht 'nur' ein unerträgliches Signal an die Opfer, sondern insbesondere ein fatales an die Täter - ein 'rechtsstaatlich' unverhohlenes "Weiter so!".
Vor diesem Hintergrund und nach dem aktuellen Prozessverlauf am Magdeburger Landgericht darf man auf das Urteil und deren Begründung zwar gespannt sein - Aufklärung oder gar Gerechtigkeit können allerdings getrost ausgeschlossen werden.
:: thevoiceforum.org, 13. Mar 2012
07. März 2012 - Befangen oder nicht. Für die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh ist die Richterin Claudia Methling schon lange nicht mehr tragbar. Desinteressiert und weit entfernt von den Vorgaben des BGH, möchte sie den Prozess so schnell wie möglich beenden. Ob sie weiter machen darf, wird vermutlich am 13. März vor Gericht bekannt gegeben.
Am Morgen des 6. März stellte Gabriele Heinecke, Anwältin der Familie Oury Jalloh, einen Befangenheitsantrag gegen die vorsitzende Richterin Methling, die beisitzenden Richter_innen Caspari und Meyer sowie gegen die Schöffinnen Tempel und Schubarth.
Das Misstrauen gegenüber dem Gericht basiert auf Beobachtungen im Gerichtssaal als auch auf dienstlichen Äußerungen Methlings, die bis dato der Öffentlichkeit vorenthalten wurden. So begründete Heinecke, dass das Gericht sich von der zentralen Aufgabe verabschiedet habe, den Tod von Oury Jalloh aufzuklären. Damit entferne sich die Kammer den Vorgaben des Bundesgerichtshofes (BGH), der auch das alte Brandgutachten kritisierte und eine Aufklärung der Todesumstände vorderte. Hinter den Kulissen sagte die Richterin Methling, dass für sie ein neues Brandgutachten nicht in Frage käme und begründete dies mit der Angst vor den Tierschützer_innen, wenn für das neue Brandgutachten ein totes Schwein verbrannt werden müsse, um das Verhalten des Feuers nachvollziehen zu können.
Die Entscheidung über den Befangenheitsantrag obligt drei anderen Richter_innen und muss laut Gesetz spätestens zur übernächsten Sitzung erfolgen. Der Prozess wird am 13. und 16. März fortgesetzt. Der Prozesstermin am 7. März fällt aus.
Damit ist auch die Entscheidung darüber vertagt, ob der Prozess eingestellt werden soll oder nicht. Sollten die beauftragten Richter_innen die Kammer für befangen erklären müssen neue Richter_innen gefunden werden. Sollte Methling und Co weiter machen dürfen so ist zu hoffen, dass der Staatsanwalt dem Vorschlag vom Gericht, dass der Prozess gegen Geldstrafe für den Angeklagten Schubert beendet werden soll, nicht nachkommt. Andernfalls würde der Prozess unwiderruflich ad acta gelegt werden.
Vor dem Landgericht fand parallel zur Verhandlung eine Mahnwache statt, die vom Ordnungsamt stark eingeschränkt wurde: Die ca. 50 bis 60 Aktivist_innen durften nicht direkt vor dem Gericht stehen, sondern mussten hinter Absperrungen an der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Wie bei der letzten Mahnwache am 16. Februar wurde mehrmals versucht auch Musik und Redebeiträge einzuschränken. Nach dem Prozess fand eine Spontandemo durch die Magdeburger Innenstadt statt.
Auch beim nächsten Termin am 13. März wird wie am gestrigen Tage eine Mahnwache vor dem Landgericht abgehalten.
:: initiativeouryjalloh.wordpress.com, 07. Mar 2012