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Quellenangabe:
Wie die Zinnergasse 29A ein Abschiebeknast wurde (vom 20.04.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4075/, besucht am 11.12.2024

[20. Apr 2012]

Wie die Zinnergasse 29A ein Abschiebeknast wurde

Weit vom Wiener Stadtzentrum entfernt liegt in Simmering zwischen Autobahn und Flughafen, auf einem ehemaligen Kasernengelände die Siedlung Macondo.

Macondo ist seit Jahrzehnten :: Wohnort für bis zu 3000 Flüchtlinge, die teils in Baracken, beengenden Neu- oder Altbauten wohnen. Mitten in Macondo befindet sich ein gelb gestrichenes Haus mit der Adresse Zinnergasse 29A. Dieses Haus ist Ausdruck vieler Diskurse, wie sie in Österreich rund um Flucht, Asyl, Migration und Abschiebungen geführt werden.

Steht mensch heute vor dem schlichten Neubau, der ein wenig einem kleinen Studentenheim oder einer Jugendherberge ähnelt, könnte es so wirken, als wäre es einfach ein Gebäude von vielen in dem Siedlungskomplex - und :: bis Ende 2009 war das auch so. Damals war es unter dem Namen Kardinal-König-Integrationshaus bekannt und bot einerseits neu "angekommenen" Flüchtlingen eine erste Unterkunft, bevor sie in andere Teile von Macondo übersiedelten, andererseits bot das Haus Raum für Deutschkurse und andere Bildungsangebote.

Seither ist das Haus Zinnergasse 29A ein Schubhaft-Gefängnis, vor allem für Familien. Von außen betrachtet werden die Unterschiede zwischen der euphemistisch "Familienunterkunft Zinnergasse" genannten Einrichtung und einem "klassischen" Abschiebegefängnis klar: Die Fenster sind nicht vergittert, es gibt keine schweren Türen oder große Einfahrtstore, auch Mauern oder Zäune rund um das Gelände sucht mensch vergeblich. Es stehen keine Polizeiautos in Sichtweite, ebenso fehlen Polizeischilder oder andere Symbole der staatlichen Repressionsorgane. Die Zinnergasse 29A soll die Funktion eines Gefängnisses ausüben, ohne wie eines auszusehen. Betrachtet mensch das Haus etwas näher fallen geschätzte 20 Überwachungskameras auf, die jeden Millimeter der Fassade sowie des umliegenden Areals genau beobachten. Damit ist klar, dass hier eingesperrte Menschen zwar nicht physisch, etwa durch vergitterte Fenster, eingesperrt werden, etwaige Fluchtversuche werden aber dank umfassender Überwachung sofort registriert und verfolgt. Bei einem Besuch im Macondo wird auch klar, dass es in der Praxis genau so abläuft: Anwohner_innen erzählten von einer Mutter mit Kindern, die aus dem Gebäude geflüchtet ist. Sofort wimmelte es - mitten in der Nacht - in der gesamten Siedlung vor Polizei, überall wurde nach den Flüchtenden gesucht. Rücksicht auf die Bewohner_innen in Macondo wurde dabei keine genommen.

Nach längeren Umbauarbeiten dient es seit Sommer 2011 auch zur :: Unterbringung von Asylsuchenden im "gelinderen Mittel". Für Menschen im "gelinderen Mittel" gilt, dass für sie nicht die klassische "Schubhaft" angewandt wird. Stattdessen dürfen sie in der Regel die Unterkunft (für kurze Zeit) verlassen. Auch das "gelindere Mittel" ist also eine starke Einschränkung der Freiheit - die Betroffenen sind sozusagen "an der langen Leine".

Teilweise muss dieses neue Abschiebegefängnis auch als Konsequenz vergangener Proteste gegen Abschiebungen von Familien mit Kindern gesehen werden: Auch an einer breiteren Öffentlichkeit gehen Bilder nicht spurlos vorbei, die zeigen, wie Kinder von unzähligen uniformierten Beamt_innen eingesperrt werden. Der häufig als Reaktion gebrachte, sicherlich gut gemeinte Slogan "Kinder gehören nicht ins Gefängnis" ist eine Reaktion auf derartige Szenen. Darauf haben die Behörden nun mit der Zinnergasse 29A reagiert: Hier, so das Innenministerium, dürfen sich die Menschen freier bewegen, Polizist_innen sollten eher zivil als uniformiert auftreten - und auch der Charakter des Gebäudes wirkt deutlich freundlicher als andere Abschiebegefängnisse. Das alles ändert aber nichts an ihrer Kernfunktion: Auch die Zinnergasse 29A soll, wie die Schubhäfen an der Rossauer Lände oder am Hernalser Gürtel, dazu dienen, Menschen gegen ihren Willen einzusperren und abzuschieben.

Doch nicht nur der freundliche Anstrich des neuen Abschiebegefängnisses zeigt eine neue Qualität des behördlichen Zynismus, auch die Wahl auf Macondo als Standort ist an Frechheit kaum zu überbieten: Mitten in einer Siedlung von anerkannten Flüchtlingen und Menschen, die subsidiären Schutz genießen wird eine Einrichtung platziert, wo Menschen mit negativem Asylbescheid abgeschoben werden. Menschen mit Kriegs- und Fluchterfahrung müssen beinahe täglich die rassistische Praxis des österreichischen Staates in unmittelbarer Nähe beobachten. Damit wird auch klar, wie wenig den österreichischen Behörden, und leider auch einer breiten Mehrheit der Bevölkerung, an Asylsuchenden liegt.

Macondo wurde zweifellos nicht zufällig als Standort ausgwählt, viel zu offensichtlich scheinen die Vorteile für die Abschiebemaschinerie: Macondo liegt in unmittelbarer Nähe zum Flughafen und ist eine Siedlung wo Menschen wohnen, die in der Öffentlichkeit wenig gehör finden und selber ständig von Polizist_innen schikaniert werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine breitere Öffentlichkeit von Abschiebungen aus der Zinnergasse 29A erfährt ist daher bedeutend geringer als an anderen Standorten der Fall wäre. Falls bevorstehende Abschiebungen bekannt werden liegt Macondo an der Peripherie von Wien und ist für Medien und Aktivist_innen entsprechend schlecht erreichbar. Relativ spontane Blockaden, wie sie am Hernalser Gürtel und an der Rossauer Lände vorkamen, sind somit schwieriger umzusetzen.

In jüngerer Vergangenheit taucht die Zinnergasse auch immer wieder in Medienberichten über Familienabschiebungen auf. Üblicherweise dient sie dabei als letzter, kurzer Stop vor der Abschiebung, wie etwa bei einer traumatisierten Familie, die :: von Kärnten/Koroska nach Moskau :: abgeschoben werden soll, aber auch :: unbegleitete Minderjährige landen im "gelinderen Mittel" aber ohne spezielle psychiatrische Betreuung in der Zinnergasse 29A.

Auch jenseits von Abschiebungen ist die neue Funktion der Zinnergasse 29A entlarvend für den rassistischen Normalzustand in Österreich: Wurden dort früher Deutschkurse angeboten müssen interessierte nun lange Wegstrecken zum nächstgelegenen Deutschkurs zurücklegen. Zwei Stunden in eine Richtung, quer durch Wien, scheinen dabei üblich. Die ständigen und allseitigen Forderungen nach Deutschkenntnissen - sei es die offen rassistische FPÖ oder die "Wiener Charta" der Rot-Grünen Stadtregierung - sind vor diesem Hintergrund als pure Schikane zu werten.

Hayır, Jo, Lo, Ne, Nein, Njet, No, Non, Nu zu Abschiebung und Schubhaft!
Bewegungsfreiheit für alle!
No Border! No Nation!

Artikel der Rosa Antifa Wien, :: raw.at.