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Quellenangabe:
Rassistische Kritik, antisemitischer Antirassismus und mediale Relativierung (vom 27.05.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4106/, besucht am 26.04.2024

[27. May 2012]

Rassistische Kritik, antisemitischer Antirassismus und mediale Relativierung

Einige Anmerkungen zur Debatte um Sarah Kuttner, Mola Adebisi und eine rassistische Puppe.

Die Autorin und Fernsehmoderatorin Sarah Kuttner liest in Hamburg aus ihrem Buch. An einer Stelle geht es um eine rassistische Puppe, die sie als Kind besessen hat. Sie beschreibt die Puppe, indem sie rassistische Sprache benutzt, worauf ein Zuschauer Anzeige erstattet. Der gleiche Zuschauer versuchte nach der Lesung Kontakt mit Kuttner aufzunehmen. Letztere war an keinem ernsthaftem Gespräch interessiert und bot lediglich an, dem Zuschauer das Eintrittsgeld zurückzugeben (wobei es auch eine davon abweichende Darstellung gibt, wonach Kuttner das Angebot wieder zurückgezogen hat, nachdem sie erfahren hat, dass die Anzeige von dieser Person ausging).

"Rassismus zu kritisieren, indem man rassistische Begriffe reproduziert, ist eine denkbar schlechte Strategie. Umso mehr wenn die Kritik daran einfach abgeblockt und ein Kritiker hinauskomplimentiert wird", schreibt der Fernseherkaputt-Blog dazu (siehe :: "Wie man es besser nicht macht... (II)"). Auch Publikative.org kritisiert Kuttners Verhalten und vergleicht es mit dem deutschen Mainstream-Diskurs der Gegenwart: "Rassismus und Antisemitismus werden exotisiert und auf die Neonazis abgeschoben. Das gibt es angeblich nur bei der NPD - obgleich sämtliche Studien zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Die sogenannte Mitte erteilt sich selbst die Absolution, gut und frei von Rassismus zu sein" (siehe :: "Rassismus als Unterhaltung"). "Wieso diese geradezu genüsslich angewiderte Beschreibung der Puppe, die nun wirklich jedes noch so blöde Darstellungsstereotyp zwar kritisiert, aber eben auch reproduziert?", fragt der Metalust-Blog (siehe :: "Äh ... Frau Kuttner, ich habe da ein paar Fragen.").

Einer der ersten prominenten Reaktionen kam von Mola Adebisi, der wie Kuttner in den 1990er Jahren beim Musiksender Viva moderierte. Auf Kuttners Facebook-Seite postet Adebisi, dass er selbst bereits Zeuge von rassistischen Entgleisungen Kuttners wurde. "Sie hat schon häufiger rassistische Witze bei Viva gemacht und ist damit durchgekommen! Sie wird abwarten bis sich die Diskussion legt, ihr Manager wird sie ermahnen die Schwarzen in Ruhe zu lassen und dann geht alles wieder seinen gewohnten Gang", so Adebisi.

Wenig später greifen diverse Boulvardmedien, darunter BILD und die Hamburger Morgenpost die Geschichte auf. Kuttners Verhalten wird zwar recht eindeutig als rassistisch benannt, die rassistischen Begriffe, die sie auf der Lesung und in ihrem Buch verwendet, werden jedoch, unter Anführungszeichen gesetzt, reproduziert. Die Artikel sind in einem reißerischen Stil geschrieben und setzen primär auf den Promi-Faktor der Beteiligten.

Rassismus kritisieren ohne Antisemitismus zu verharmlosen


Adebisi zieht in seinem Statement auch einen problematischen Vergleich zwischen Rassismus und Antisemitismus:

"Ich würde mich freuen, wenn Sie mal Juden-Witze machen würde, dann wäre ihre Karriere nämlich beendet! Aber Türken und Afro-Deutsche leisten nicht den Widerstand. Juden lassen sich keine Beleidigung gefallen."

Sowohl Publikative.org als auch der Fernseherkaputt-Blog greifen diesen Vergleich auf und spinnen ihn auf jeweils unterschiedliche Art weiter. Publikative.org schreibt in Anlehnung an Mola Adebisi, es müsse nur jemand "von einer ekelhaften 'Judenpuppe'" dozieren, dann würde es "einen Aufschrei geben, nein, sowas akzeptieren wir nicht in Deutschland". Das sei die Messlatte, "alles, was knapp dadrunter fliegt, geht hierzulande aber okay".

Der Fernseherkaputt-Blog gibt Adebisi mit einem relativierenden "Das wäre vielleicht in Deutschland so!" recht, um ausgehend davon eine Kritik an österreichischen TV Formaten wie "Club 2" und "Im Zentrum" zu üben. Die vom ORF produzierten Sendungen laden bekanntlich :: regelmäßig :: AntisemitInnen ein.

In Mola Adebisis Zuschreibung des "keine Beleidigung gefallen"-Lassens kann man sowohl Respekt für den Kampf von Jüdinnen und Juden gegen Antisemitismus als auch latent antisemitisches Verschwörungsdenken hineinlesen. In einer latent antisemitischen Mehrheitsgesellschaft wäre jedoch damit zu rechnen, dass das Gesagte verschwörungstheoretisch in der Logik eines sekundären Antisemitismus rezipiert wird.

In der ironisierten Imagination des Deutschland-"Wir" schwingt eine für einen antifaschistisch ausgerichteten Blog überraschend naive Einschätzung dessen mit, was an Antisemitismus in Deutschland alles sagbar ist. Die erst kürzlich publizierten Günter Grass Verteidigungskommentare in namhaften deutschen Zeitungen, scheinen von Publikative.org bereits verdrängt worden zu sein. Auch eine Verharmlosung des deutschen Antisemitismus, um den österreichischen wirkungsvoller kritisieren zu können, wie der Fernseherkaputt-Blog sie betreibt, ist eine zu hinterfragende Strategie.

Medialer Relativierungsreigen


Am 24. Mai 2012 veröffentlichte SPIEGEL Online einen mit "Im Auge des Shitstorms" betitelten Artikel. Darin wird Kuttner als Opfer von Internetmobbing und übler Nachrede dargestellt. Der Artikel zeigt, dass sich rassistische Sprache nicht nur in den Boulevardmedien findet, die den Fall wie einen Promiskandal unter vielen behandeln, sondern auch im SPIEGEL.

"Die Einschätzung von Spiegel Online ist eine sehr mächtige, denn Menschen beziehen sich gern auf solche Leitmedien", fasst der Afrikawissenschaft-Blog die durch den Spiegel ausgelöste mediale Dynamik zusammen. "Sie gibt also alljenen Futter, die schon seit Beginn der Diskussion den Kuttner-Kritiker_innen übertriebene 'political correctness' vorgeworfen hatten", heißt es weiter. (siehe :: "Die Sache mit Sarah Kuttner")

Auch auf Metalust wird der SPIEGEL-Artikel kritisiert:

"Wieso stellt der Spiegel nicht die Frage, wie es zu der Rezeption des PoC-Mannes im Publikum kommen konnte? Sie schreiben, sie hätten versucht, ihn zu befragen, er stünde jedoch nicht zur Verfügung - sollte sich jede_r auch gut überlegen, ob sie oder er sich zur Verfügung stellen will in so einem Fall, wenn wieder erleichtert das weiße Deutschland jubiliert und sich unter Weißen einigt, dass natürlich der Rassismusvorwurf unbegründet war."

Kritische Selbstreflexion ist bei Kuttner nach dem SPIEGEL-Artikel erst recht nicht angesagt. Auf ihrer Facebook-Seite schreibt sie:

"Ich bin zutiefst erschrocken darüber, wie viele Menschen sich in den letzten Tagen eine handfeste Meinung über mich, basierend auf einer einseitigen Berichterstattung der Boulevardpresse, gebildet haben.
Eine Berichterstattung, die ohne Stellungnahme meinerseits auskam und auf nicht geprüften Halbwahrheiten basiert.
Wer sich nur auf Basis dieser Lektüre eine fertige Meinung gebildet und umgehend zum Shitstorm geblasen hat, wird hiermit aufgefordert den 'Gefällt mir nicht mehr'-Button dieser Seite zu drücken: mit Menschen wie Euch will ich nicht 'befreundet' sein.
Für diejenigen, die an Differenzierung interessiert sind: hier was wirklich passiert ist.
Ich bin kein Rassist. Ich habe mich auf keiner meiner Lesungen rassistisch geäußert, ganz im Gegenteil: ich habe mich über ein rassistisches Spielzeug echauffiert."


Unter dem Posting mehr als 1200 Kommentare (Stand: 25. Mai 2012). Viele davon sind offen rassistisch (und das im Unterschied zu Kuttner ohne vorgeschobenen antirassistischen Anspruch).

Der Tiefpunkt der Affäre ist erreicht, als Patrick Gensing seinen Artikel auf Publikative.org mit Verweis auf den SPIEGEL-Artikel zurückzieht und sich entschuldigt. Es hätte viel Kritik an dem Artikel gegeben "und in diesem Fall offenkundig zu recht". Außerdem hätte der SPIEGEL "die Geschichte nachvollziehbar dar[ge]stellt", wie es heißt. (siehe :: "In eigener Sache: Ein Skandal, der keiner ist")

Die Textstelle


Liest man sich die Textstelle aus dem Buch "Wachstumsschmerz" genauer durch, ist die Sache bei weitem nicht so eindeutig, wie der SPIEGEL, Publikative.org und Kuttner selbst es suggerieren. Dort heißt es:

"Nichts zu sagen ist allerdings gegen meine N*puppe. Ein riesiges Stoffungetüm, ganze achtzig Zentimeter purer, aber unschuldiger Rassismus mit einem obszön großen Kopf. ...Als wäre das nicht schon entsetzlich genug, wird das Ganze noch von einem furchterregenden Paar praller, aufgenähter Wurstlippen getoppt. Vollkommen undenkbar, dass so etwas heute noch verkauft würde."

Die hier mit einem * ersetzte rassistische Beleidigung, wird von Kuttner ausgeschrieben. Auch der letzte Satz wirft Fragen auf. Wähnt sich Kuttner in einer post-rassistischen Gesellschaft? So undenkbar ist es nämlich nicht, dass derartige Produkte heute noch verkauft werden. Um die Behauptung, die zugleich Kuttners Pointe bildet, zu widerlegen, reicht eine einfache :: E-Bay Suche (je nach Suchbegriff zwischen 34 und 616 Treffer, Stand: 26. Mai 2012).

Genau diese Sichtweise, wonach Rassismus in der Vergangenheit läge und längst überwunden sei, ist das eigentliche Problem. Ein derartiger Irrglaube gestattet es Kuttner, rassistische Begriffe einfach so zu verwenden, ganz als ob sie ihren verletzenden Charakter bereits lange eingebüßt hätten. Dem ist - leider - nicht so.