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Quellenangabe:
Antirassistisch campen und kämpfen! (vom 14.06.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4117/, besucht am 28.03.2024

[14. Jun 2012]

Antirassistisch campen und kämpfen!

Vom 13. bis 22. Juli 2012 findet ein No Border Camp in Köln statt, das durch ein offenes Netzwerk antirassistisch bewegter Gruppen und Aktivist_innen organisiert wird.

Wir wollen uns gemeinsam und in verschiedenen Formen mit institutionellem Rassismus, Alltagsrassismus und rassistischen Diskursen beschäftigen, lokale Bezüge zu Orten in Köln/Düsseldorf herstellen und kreativ Widerstand leisten! Das Aktionscamp bietet Raum für gemeinsame Aktionen, Workshops, Diskussionen und Vernetzung. Kommt zum Camp! Kommt mit Ideen oder einfach nur so!


Warum ein No Border Camp?


Europas Grenzen existieren nicht nur an den Rändern der Europäischen Union.
Für Menschen, die sich in und um Europa herum bewegen, sind die Grenzen überall präsent: In den Nachbarstaaten Europas und auch mitten innerhalb der Gesellschaften, die zur EU gehören. So werden Nicht-EU-Staaten wie die :: Ukraine oder Tunesien verpflichtet, Migrant_innen und Flüchtende bereits :: außerhalb des Schengenraumes abzufangen. Und staatliche Stellen üben innerhalb der EU strukturelle Gewalt aus. Beispiele hierfür sind rassistische Polizeikontrollen, prekäre Arbeit von illegalisierten Leuten, Unterbringung in Flüchtlingslagern, Residenzpflicht und Abschiebungen überall aus Europa.

Dies und vieles weitere ist Ausdruck von Rassismus gegenüber denjenigen, denen aufgrund einer zugeschriebenen "Herkunft" abgesprochen wird, sich in den Ländern Europas aufhalten zu dürfen. Hierdurch spiegelt sich der tief verankerte rassistische Grundkonsens der europäischen Gesellschaften wider.

Als Widerstand gegen das :: europäische Grenzregime finden seit den 1990er Jahren No Border Camps innerhalb und außerhalb der Europäischen Union statt.

Transnationaler Protest wird dabei sowohl in unmittelbare Grenzregionen, als auch ins Zentrum der EU getragen. No Border Camps bündeln öffentliche Aufmerksamkeit und rassismuskritische Kämpfe an den Brennpunkten der Migrationskontrolle. Sie eröffnen einen provisorischen, autonomen Raum zur Vernetzung von lokalen antirassistischen Kämpfen.

In diesem Raum können Aktivist_innen Erfahrungen austauschen, diskutieren und reflektieren. No Border Camps wollen durch gemeinsames Handeln der Vision "freedom to move - freedom to stay" ein Stück näher kommen.


Was will das No Border Camp Köln / Düsseldorf?


Auf dem Camp wollen wir uns mit verschiedenen Formen von Rassismus auseinandersetzen. Wir wollen vor Ort in Köln/Düsseldorf schauen, wo und wie Rassismus sichtbar wird und was wir diesem entgegensetzen können. Wie kann antirassistische Solidarität aussehen?


... Lebensrealitäten von Geflüchteten und migrierten Menschen sichtbar machen!


Wir wollen uns mit den Lebensbedingungen von Geflüchteten auseinandersetzen und die vielfältigen Kämpfe um Selbstbestimmung stärken! In Köln und Düsseldorf existieren viele so genannte "Gemeinschaftsunterkünfte", in denen Menschen zumeist fernab des Stadtkerns zwangsweise eingepfercht werden. Die Unterbringung in Flüchtlingslagern macht Menschen physisch und psychisch krank und zielt darauf ab, sie rassistisch auszugrenzen und darauf hinzuwirken, dass sie :: freiwillig "verschwinden" oder sie jederzeit abschieben zu können. Neben der Lagerunterbringung gibt es weitere repressive Instrumente wie Residenzpflicht, die Abfertigung der Menschen mit Gutscheinen, mangelnde medizinische Versorgung und die zwangsweise durchgeführten :: Botschaftsanhörungen zur Beschaffung von "Reisepapieren". Direkt Betroffene wehren sich immer wieder gegen dieses System der Entwürdigung und Isolation. An vielen Orten fanden und finden Aktionen von Flüchtlingsaktivist_innen statt wie Konferenzen, Demonstrationen und Kampagnen. Das No Border Camp soll für diese Kämpfe ein Ort der Stärkung, Vernetzung und Solidarisierung sein!

Neben den Flüchtlingslagern gibt es in Köln weitere Orte, die von Rassismus geprägt sind und für uns Grenzcamper_innen von Interesse sein werden. So zum Beispiel Köln-Mülheim, wo der neonazistische NSU 2004 einen Nagelbombenanschlag auf die of Color-Bevölkerung verübte.1 Auch der in die Neonazi-Mordserie verstrickte Verfassungsschutz hat seinen Hauptsitz in Köln. Ebenfalls in Mülheim, Kalk und in anderen Stadtteilen Kölns sind bulgarische und rumänische Migrant_innen zurzeit öffentlichen Anfeindungen und polizeilichen Razzien ausgesetzt. Und auch das Ausländerzentralregister AZR befindet sich in Köln: Eine der umfangreichsten Datensammlungen bundesweit, die der rassistischen Erfassung von Menschen ohne deutschen Pass dient. Zahlreiche "Partnerbehörden" haben Zugriff auf diese Daten. Lasst uns diese Orte und Institutionen sichtbar machen, lasst uns laut werden und rassistische Verhältnisse angreifen!


... Kämpfe von Roma-Aktivist_innen stärken!


In der BRD und in Europa generell haben strukturelle Diskriminierung, soziale :: Stigmatisierung und Alltagsrassismus gegen Roma eine lange Geschichte. Im Nationalsozialismus wurden Roma ausgegrenzt, verfolgt und ermordet. Die BRD als Nachfolgestaat hat sich bis heute noch nicht vollständig ihrer Verantwortung gestellt.

Stattdessen wird vielen Roma und Sinti weiterhin ein Aufenthaltsrecht verwehrt, sie werden weiterhin stigmatisiert und abgeschoben. Dies geschieht immer häufiger in Form von Sammelabschiebungen, bei denen selbst Familien, die seit über 20 Jahren hier leben, auf der Grundlage so genannter Rückübernahmeabkommen gewaltvoll nach :: Serbien, :: Mazedonien oder in den :: Kosovo gebracht werden. Die :: Abschiebepraktiken und Vorgehensweisen gegen Roma in der BRD traumatisieren die Betroffenen. Sie werden gezwungen, in ex-jugoslawischen Staaten unter menschenunwürdigen Bedingungen :: am Rand der Gesellschaft zu leben. Die Kampagne :: "alle bleiben!", die für ein Bleiberecht der Roma kämpft, hat gegen die letzten Sammelabschiebungen vom Flughafen Düsseldorf in die Perspektivlosigkeit protestiert. Durch die Unterstützung der von Abschiebung Bedrohten setzt sich "alle bleiben!" dafür ein, dass die Flieger möglichst leer starten müssen. Das No Border Camp will diese :: Kämpfe gegen Abschiebung und um ein besseres Leben aufgreifen, eine weitere Plattform für Protest bieten und den Widerstand von Roma-Aktivist_innen sicht- und hörbarer machen. Solidarität mit und Unterstützung von Roma-Aktivist_innen!


... rassistische Diskurse durchbrechen!


Wir möchten uns auf dem Camp auch mit Fragen beschäftigen, die Rassismus als "gesamtgesellschaftliches Phänomen" betreffen. Wie hängen bspw. die Morde des NSU, die Sarrazin-Debatte und die Abschiebe- und Lagerpolitik der BRD zusammen? Und welche Folgen hat es, dass Rassismus uns beim tagtäglichen Denken, Sprechen und Handeln wie selbstverständlich begleitet? Wir möchten zusammen den gesellschaftlich und institutionell tief verwurzelten Rassismus untersuchen. Denn dieser spielt eine wichtige Rolle: So blieb die Mordserie der Neonazi-Mörder_innen des NSU über Jahre hinweg der breiten Öffentlichkeit unbekannt - da den Getöteten und deren Familien von den Ermittler_innen die Verantwortung für die Todesfälle zugeschoben werden konnte, mit der Ansage, sie seien in kriminelle Milieus verstrickt. Und dem Asylbewerber Oury Jalloh, der 2005 gefesselt in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, wird vorgeworfen, seinen Tod selbst verantwortet zu haben - da er sich angeblich selbst angezündet hätte. Die Taktik der "Schuldumkehr" ist eine Form von Rassismus. Die von Rassismus Privilegierten, sprich die weiß-deutsche Mehrheitsgesellschaft, spricht sich von jeglicher Schuld frei.2 Der uns umgebende Alltagsrassismus zeigt sich aber auch ganz einfach dann, wenn Lagerunterbringung und Abschiebungen von vielen nicht davon betroffenen Menschen als "normal" akzeptiert werden. Und wenn - wie im Jahr 2010 - der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin aufgrund seiner kulturrassistischen Äußerungen von einer breiten Öffentlichkeit gefeiert wird. Wir wollen nicht länger schweigen! Lasst uns zusammen den rassistischen Konsens durchbrechen!


... die Abschiebemaschinerie stoppen!


Das diesjährige No Border Camp richtet einen Aktionsschwerpunkt auf den :: Flughafen Düsseldorf als Scharnier der :: europäischen Abschiebemaschinerie.

Die dortigen Abschiebungen werden zumeist von der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX in Form von Sammelcharterflügen durchgeführt. Die Agentur führt nicht nur an Europas Grenzen Krieg gegen Flüchtende und Migrant_innen. Sie finanziert zudem mit über 10 Millionen Euro das Abschiebegeschäft, also die sogenannten "Return Operations". Die Zahl der durch FRONTEX unterstützten Charterabschiebungen stieg von 428 Personen im Jahr 2007 auf ca. 2000 Abgeschobene im Jahr 2010.

Die :: Einführung von Sammel- oder Charterabschiebungen ist als unmittelbare Reaktion auf den Widerstand zu sehen, den es immer wieder gegen Abschiebungen, die in :: Linienmaschinen durchgeführt wurden, gab und gibt. Diese Abschiebungen werden häufig abgebrochen, wenn sich die Betroffenen erkennbar wehren, zumal wenn mitreisende Passagiere oder Unterstützer_innen ebenfalls protestieren.

Sammelabschiebungen funktionieren folgendermaßen:

Charterflugzeuge steuern die Flughäfen mehrerer EU-Staaten an, um die Abzuschiebenden "einzusammeln". Diese, zumeist zwischen 10 und 100 an der Zahl, werden zuvor frühmorgens festgenommen oder saßen vorher schon in Abschiebehaft. Sie werden an einem Flughafen zusammengeführt und in Handschellen oder nicht selten sogar mit Fußfesseln, sowie unter Anwendung aller "notwendigen" Zwangsmittel an Bord gebracht und von einer Übermacht an Polizei begleitet. Die Präsenz von Ärzt_innen soll dabei der Legitimation dienen, auch kranke Menschen abzuschieben. Für Abschiebungen nach Ex-Jugoslawien stellt die größte Fluglinie in Düsseldorf, :: Air Berlin, Flugzeuge zur Verfügung. Sie profitiert damit vom schmutzigen Geschäft mit der Ausgrenzung. An vielen Abflugorten finden jedoch auch Proteste und Blockaden gegen diese von FRONTEX koordinierten und finanzierten Charterflüge statt! So auch in NRW: Antirassistische Gruppen mobilisieren seit letztem Jahr regelmäßig in den Airport, wenn Sammelabschiebungen angesetzt sind. Und der Widerstand zeigt auch Erfolge: Für eine Sammelabschiebung nach Serbien Anfang Februar 2012 etwa waren 70-75 Plätze gebucht - lediglich 16 Personen befanden sich jedoch letztendlich im Flieger. Demonstrationen und Blockaden am Flughafen stellen eine empfindliche Störung des "business as usual" dar. Hier wird das Camp mit Aktionen in Düsseldorf anknüpfen! Mit dem No Border Camp soll politischer Druck auf die Verantwortlichen und :: Profiteur_innen der Abschiebemaschinerie erzeugt werden. Aktionen im Umfeld des Camps können das Grenzregime temporär außer Kraft setzen! Am Samstag, den 21. Juli ist daher ein Aktionstag gegen die Abschiebungen vom Düsseldorfer Flughafen geplant, an dem auch Nutznießer_innen wie die Fluggesellschaft Air Berlin keine Ruhe haben werden!


Gemeinsam Grenzen überwinden!


Wir möchten unser Camp zu einem Ort machen, an dem soziale Kämpfe zusammengeführt werden! Wir wollen Rassismuskritik, antifaschistische, feministische und kapitalismus-kritische Perspektiven zusammendenken und gemeinsam aktiv werden! Das Camp soll zudem ein Ort sein, der gegenseitigen Austausch intensivieren und Bündnisse anstoßen kann. Lasst uns Kämpfe von Flüchtlingen und Persons of Color mit denen rassismuskritischer weißer Menschen verbinden!


Kommt zum Camp, bringt Freund_innen mit!
No Borders - No Nations!


No Border Camp - Team Düsseldorf


Aktuelle Informationen und Texte unter :: noborder.antira.info.



Anmerkungen
1 Den Begriff 'Persons of Color/People of Color' verwenden wir als eine mögliche politische Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismuserfahrungen machen - also von Rassismus negativ betroffen sind. Die Bezeichnung wurde von einigen dieser Menschen in Empowerment-Kontexten entwickelt. PoC ist mensch, wenn mensch diesen Begriff für sich annimmt und füllt.
2 Den Begriff 'weiß' benutzen wir, um Menschen zu benennen, die keine Rassismuserfahrungen machen. Sie werden durch Rassismus privilegiert und in eine Machtposition versetzt. ‚Weiß' ist ein politischer und kein biologistischer Begriff: 'Weißsein' wird ebenso wie 'of Color sein' sozial gemacht und ist nicht naturgegeben.

Quelle: Monitoring European Police!, :: euro-police.noblogs.org, 4. Juni 2012