Quellenangabe:
20 Jahre Dessi - Diejenigen beraten, die woanders keine Beratung bekommen (vom 15.06.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4122/,
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[15. Jun 2012]
Die Dessi feiert ihr 20jähriges Bestehen. Seit damals hat sich viel verändert. Es gab zahlreiche Verschärfungen im Asylgesetz, die die Beratungs- arbeit immer vor neue Probleme stellten. Geburtstagsparty ist am 16. Juni 2012 in Wien.
1992 als Zweigverein der ARGE Wehrdienstverweigerung gegründet, hatte die Deserteursberatung Wien anfangs den Fokus, serbischen und kroatischen Deserteuren über Asylanträge Unterstützung zu bieten; eine Tätigkeit, die einen kleinen Beitrag zum Widerstand gegen den Krieg leisten zu können schien und darüber hinaus das Ziel hatte, Desertion als Asylgrund durchzusetzen. Das eher temporär angelegte Projekt entwickelte sich schnell zum Selbstläufer - und blieb auf Dauer: 1996 trug die Umbenennung in Deserteurs- und Flüchtlingsberatung dem Umstand Rechnung, dass sich die Beratung schon lange nicht mehr auf Deserteure beschränkte. Wie sieht der Arbeitsalltag in der Dessi heute aus? Und wie hat sie es geschafft/schafft sie es, so lange als unabhängige Institution fortzubestehen?
Von Beginn an ist die Dessi im 1.Bezirk angesiedelt; dort, an diesem angenehmen Kontrapunkt zum üblichen 1.Bezirks-Chic, findet die Beratung für Asylwerber_innen, anerkannte Flüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigte und Illegalisierte statt - und das vor allem in rechtlichen, aber auch sozialen Belangen. Klient_innen werden in den notwendigen juristischen Schritten unterstützt, es wird versucht, ausreichend Wissen über die verworrene rechtliche Lage zu vermitteln, um selbstbestimmte Entscheidungen zu ermöglichen; oft ist die Dessi auch einfach Anlaufstelle für Schwierigkeiten, die mit dem rechtlichen Status der Personen verbunden sind und sonst nirgends Gehör finden. Welche Personen in die Dessi kommen, wird stark durch Mundpropaganda innerhalb der verschiedenen Communities bestimmt. Derzeit sind es viele Somalis, was auch daran liegt, dass in der Vergangenheit viele Asylverfahren von Somalis, erfolgreich geführt werden konnten. Es werden aber Klient_innen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern betreut. Wie viele es tatsächlich sind, lässt sich schwer sagen - manche kommen erst nach Jahren wieder in die Dessi, andere sind drei Mal die Woche da.
Priorität hat die Beratung von Personen, die woanders keine (mehr) bekommen würden. Das liegt zum einen daran, dass einige andere Beratungsstellen die Politik verfolgen, nur solche Personen aufzunehmen, deren Antrag Aussicht auf Erfolg hat. Zum anderen ist es eine notwendige ressourcenbedingte Entscheidung: Zwar soll (und wird) der Forderung nach Rechtsberatung für alle mit der Dessi eine Praxis geboten werden. Doch gilt es gleichzeitig einen professionellen Standard in der Beratung zu bieten, der nur für eine begrenzte Zahl an Klient_innen aufrecht zu erhalten ist.
Verschärfungen der Rechtslage
Die Ressourcen sind in der Dessi auch deswegen besonders knapp, weil die Beratung aufwendiger geworden ist: Bestand das Asylgesetz 1991 noch aus nur 28 Paragraphen, hat sich die Rechtslage seither - mit inzwischen 75 Paragraphen massiv verkompliziert. Fast jeder Fall ist ein Einzelfall, in den es sich neu einzuarbeiten gilt; gesetzliche Veränderungen „zirka alle halben Jahre“ erschweren die Arbeit zusätzlich. Vor allem aber sind mit den Novellierungen Verschärfungen einhergegangen: Die Bewegungsfreiheit von Asylwerber_innen im Zulassungsverfahren (Vorverfahren, in dem u. a. geprüft wird, ob Österreich zuständig ist) wurde einschränkt - innerhalb der ersten Tage gibt es mittlerweile Anwesenheitspflicht, der Anspruch auf Grundversorgung beschränkt sich auf ein Bundesland. Beschwerdefristen wurden gekürzt, die Abschiebung straffälliger Asylwerber_innen beschleunigt und durch die Abschaffung des Verwaltungsgerichtshofs als nachprüfendes Kontrollorgan (als „dritte Instanz“) wurde eine Einspruchsebene beseitigt, die zuvor durchaus Chancen auf erfolgreiche Durchsetzung eines Antrages geben konnte. Das sind nur einige der in letzter Zeit gesetzlich verankerten Restriktionen. Darüber hinaus müssen die Mitarbeiter_innen der Dessi auch aktuelle Rechtsprechungen in der Arbeit mitbedenken, beispielsweise wird in letzter Zeit immer wieder die Abschiebung von Afghan_innen für zulässig erklärt. In der Dessi wird nun versucht, entsprechend dagegen zu argumentieren.
Zuspitzungen im Asyldiskurs
„Asylwerber_innen sind eine verhältnismäßig kleine Gruppe, die überhaupt keine Lobby hat und auf deren Rücken es sich leicht Politik machen lässt“, sagt Petra Limberger, derzeitige Geschäftsführerin. Eine kriminalisierende Darstellung in den Medien, der Anstieg eines salonfähigen Rassismus seit schwarz/blau und die Einführung von Begriffen wie „Wirtschaftsflüchtling“ oder der pauschalen Umbenennung von „Fluchthelfern“ in „Schlepper“ gehen Hand in Hand mit den Gesetzesverschärfungen und einer sie unterstützenden „öffentlichen Meinung“. Das wiederum hat Auswirkungen auf Alltag und Unterstützungs(un)möglichkeiten der Asylwerber_innen. Trotz dieses Diskurses hat es in den letzten Jahren vermehrt Proteste gegen die Abschiebung vor allem von Familien gegeben. Limberger und ihr Kollege Lukas Gahleitner sehen diese Unterstützung aber eher ambivalent: Darin zeichne sich eine Struktur der „guten christlichen Familien“ gegen „böse muslimische Männer“ ab - und die prinzipielle Argumentationslinie „gegen Asylwerber, aber für unsere befreundete Familie“. Derzeit lässt sich auch keine strukturelle Verbesserung für Asylwerber_innen absehen.
Öffentlichkeitsarbeit
Mehr als genug Gründe also, die Arbeit bei der Dessi auszuweiten und stärker in die Öffentlichkeit zu gehen. Doch auch wenn die politische Motivation der Mitarbeiter_innen über die Jahre wohl eine ähnliche geblieben ist, gibt es heute u. a. aufgrund des vermehrten Zeitaufwands zur Aufrechterhaltung eines professionellen Beratungsstandards weit weniger aktivistisch-öffentlichkeitswirksame Arbeit. „Das ist natürlich ein Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen: Wie weit nimmt man die nächste Gesetzesverschärfung einfach so hin und wann wird man aktionistisch aktiv? Es wäre jedenfalls nicht fair, diesen Kampf auf dem Rücken der Leute auszutragen“, meint Gahleitner. Die Dessi versucht allerdings auch, in Netzwerken mit anderen NGOs weiteren Restriktionen und rassistischen Zuschreibungen entgegen zu wirken. Im Zuge dessen gibt es auch regelmäßig Infoabende, Workshops und Diskussionen. Doch trägt der Zeitmangel in der Öffentlichkeitsarbeit dazu bei, sich als „system-immanente“ Einrichtung wahrzunehmen, die strukturell nicht viel verändern kann, aber Einzelne im Kampf um ihr Aufenthaltsrecht unterstützt.
Und auch in der Öffentlichkeitsarbeit ist die Komplexität der Materie eine Hürde: Wie eine knappe Presseaussendung ausschicken, wenn die Neuigkeiten seitenlange Erklärungen benötigen? Und wie wiederum mit seitenlangen Erklärungen (anlassbezogen) gegen einen rassistischen Diskurs anschreiben?
Aufrechterhaltung, Organisierung - Mitarbeit!
Die Mitarbeiter_innen der Dessi kommen aus unterschiedlichen Fachbereichen - z. B. Jus, Sozialarbeit, Psychologie - und organisieren sich basisdemokratisch, das heißt Wissensaustausch und Aufgabenverteilung finden gemeinsam statt: Bei den wöchentlichen Teamsitzungen im Anschluss an die offene Beratung, in der neue Fälle durchgesprochen werden, und auch in Kleinteams, in denen Leute, die länger dabei sind mit frisch Dazugekommenen arbeiten. So wird es auch möglich, Praktikant_innen schneller in die Arbeit einzubinden und der relativ hohen Fluktuation an Mitarbeiter_innen, die aufgrund der Ehrenamtlichkeit der Arbeit besteht, auch einen hohen Wissensaustauch entgegen zu setzen - Formate, die zwar Zeit kosten, aber auch eine bessere Zusammenarbeit ermöglichen.
Außer einer Kleinprojektförderung für ein Sprachtandemprojekt (neben den kostenlosen Deutschkursen ein weiteres Projekt der Dessi) erhält die Dessi derzeit keinerlei strukturelle Förderung. Bis auf zwei geringfügig Beschäftigte arbeiten alle derzeit 20-25 Mitarbeiter_innen unbezahlt oder mit geringer Aufwandsentschädigung. Der Rest muss über Spenden, Benefizveranstaltungen, Auszeichnungen und unentgeltliche Mitarbeit organisiert werden - und das Geldeintreiben kostet wiederum Zeit, die z. B. in der Beratung und Fortbildung fehlt. Immerhin gibt es so keine Möglichkeiten zu parteipolitischer Einflussnahme und/oder Auflagen durch Geldgeber_innen.
Eine kleine Hilfe sind die diversen Preise und Auszeichnungen, über die der Dessi in den letzten 20 Jahren Wertschätzung ausgedrückt wurde. Doch Petra Limberger und Lukas Gahleitner sehen den praktischen Nutzen dieser symbolischen und zum Teil auch finanziellen Anerkennung vor allem in der Möglichkeit, leichter neue Praktikant_innen zu erreichen bzw. ihnen eine anerkannte Praktikumsstelle bieten zu können. Und die Mitarbeit von Praktikant_innen ist im Fall der Dessi eine durchaus existentielle. Es gibt aber auch viele Möglichkeiten, sich unabhängig von der Beratungstätigkeit bei der Dessi zu engagieren. So kann bspw. bei den Deutschkursen mitgearbeitet, in der Öffentlichkeitsarbeit geholfen werden oder Solifeste organisiert werden. So wie eben jenes Geburtstagsfest, das am 16. Juni 2012 steigt.
Text aus der :: MALMOE 59