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Quellenangabe:
Urteil zu 'racial profiling' in Deutschland (vom 14.11.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4257/, besucht am 26.04.2024

[14. Nov 2012]

Urteil zu 'racial profiling' in Deutschland

Vor zwei Wochen wurde der Klage eines Schwarzen Deutschen stattgegeben - racial profiling ist als Polizeipraxis nach wie vor unzulässig. Was das Gerichtsurteil für den Alltag von People of Color bedeutet, bleibt abzuwarten.

Die Praxis des sogenannten "Racial/Ethnic Profiling" beschreibt die diskriminierende Verwendung von Zuschreibungen (wie ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, nationale Herkunft oder Religion) als Grundlage für Identitätskontrollen und Durchsuchungen ohne konkretes Indiz durch die Polizei.
Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 28.02.2012 (Az. 5-K-1026-/11.KO), das die Auswahl von Personen zu Stichprobenkontrollen der Bundespolizei nach deren "Hautfarbe" für zulässig erklärt hatte, hatte viele Beobachter_innen nicht nur aus der Antidiskriminierungsarbeit überrascht und zu einer intensiven Debatte geführt. Der konkrete Fall: Ein heute 26-jähriger Schwarzer deutscher Kläger aus Kassel wurde im Dezember 2010 auf einer Regionalstrecke von Kassel nach Frankfurt/Main von zwei Bundespolizisten kontrolliert. Er hatte gegen die polizeiliche Maßnahme geklagt.

Am 29.10.2012 hat das rheinland-pfälzische Oberverwaltungsgericht in Koblenz nun das Kriterium der "Hautfarbe" als Legitimation für eine Kontrolle als Verstoß gegen das Grundgesetz und damit die polizeiliche
Maßnahme für nicht zulässig erklärt (Az.: 7 A 10532/12.OVG). "Für die Befragung und die Aufforderung, Ausweispapiere vorzulegen - nach Paragraph 22 Absatz 1a Bundespolizeigesetz - im vorliegenden Fall, ist der Anknüpfungspunkt der Hautfarbe nicht zulässig. Die Maßnahmen verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz, so dass sie ermessenfehlerhaft waren", erklärte Richterin Dagmar Wünsch. "Das Urteil habe eine bestimmte, direktive Wirkung für zukünftige Fälle", sagte Richter Dr. Thomas Stahnecker vom OVG Koblenz und geht somit von einer bundesweiten Signalwirkung des Urteils aus. Die Bundesrepublik Deutschland entschuldigte sich beim Kläger.

Das Urteil ist auch ein Erfolg der früheren Geschäftsführerin des IDA e. V., Vera Egenberger. Das von ihr gegründete Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG) war mit einem Rechtsgutachten für das Oberverwaltungsgericht zum Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz sowie zum "Racial/Ethnic Profiling" eines der Wegbereiter des Urteils. Bei aller Freude über das Urteil betont sie aber auch, dass es nun einer polizeiinternen Umsetzung des Urteils bedarf. "Der GLeichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes muss ein zentraler Aspekt der Polizeiarbeit sein. Jetzt bleibt abzuwarten, ob durch die
Entscheidung die zukünftige Polizeipraxis nachhaltig geändert wird", so Vera Egenberger.
Auch die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) begrüßt das Urteil, mahnt aber die nun erforderliche politische Umsetzung an: "Seit Jahren kämpfen wir für eine öffentliche Wahrnehmung dieser Praxis. Polizeikontrollen dieser Art sind kein Einzelfall. Sie beschreiben die Alltagserfahrung vieler Schwarzer Menschen und People of Color in Deutschland. Durch die polizeiliche Praxis werden sie als Verdächtige gekennzeichnet und kriminalisiert. Wir hoffen daher auf ein grundsätzliches politisches Signal durch dieses Urteil", sagt Tahir Della, Vorstandsmitglied der ISD.
Dass das Urteil keineswegs unumstritten ist, zeigt eine erste Stellungnahme des Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt bei SPIEGEL ONLINE: "Man sieht wieder einmal, die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, aber richten sich nicht an der Praxis aus."
Zwar hat sich die größere Gewerkschaft der Polizei (GdP) positiver zum Urteil geäußert, dennoch wird deutlich, dass noch viel zu tun ist, bis das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz auch von Polizist_innen als verbindliche Vorgabe für den Arbeitsalltag akzeptiert wird. Das Diskriminierungsverbot ist kein überflüssiger Luxus, sondern ermöglicht erst das gleichberechtigte Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft, denn die Zulässigkeit von "Racial/Ethnic Profiling" ist eine alltagsrelevante Frage für Millionen von Menschen in diesem Lande.

Artikel übernommen von :: IDA e.V..