Quellenangabe:
Der Tag der 'Transfers', die mediale Inszenierung von Rassist_innen und Widerstand (vom 01.12.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4297/,
besucht am 23.11.2024
[01. Dec 2012]
Am Freitag, 30. November 2012 endete das "Ultimatum" von Landes- hauptmann Pröll zur Verteilung der Flüchtlinge aus Traiskirchen auf die Bundesländer. Um einen Gegenpunkt gegen die rassistische Inszenierung zu setzen, fanden mehrere Proteste statt.
Nachdem in den vergangenen Tagen immer mehr Leute aus Traiskirchen an diverse Orte in Österreich "transferiert" wurden, war der Freitag jener Tag, für den sich die Rassist_innen das Ziel gesetzt hatten, die Anzahl der Flüchtlinge in Traiskirchen auf unter 1.000 Menschen zu reduzieren. Zahlreiche Flüchtlinge, die sich in der vergangenen Woche an den Protesten beteiligten, waren davon betroffen. Um ihnen Solidarität zu zeigen, fuhren bereits in der Früh mehrere Leute vom Protestcamp nach Traiskirchen.
Am Vormittag luden Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, der Landeshauptmann von Niederösterreich, Erwin Pröll (beide ÖVP), sowie Traiskirchens Bürgermeister Fritz Knotzer (SPÖ) zu einer Pressekonferenz in Innenministerium. Mikl-Leitner verkündete stolz, dass es ein historischer Tag sei und fast alle Bundesländer (mit Ausnahme von OÖ) die beim Asylgipfel am 23. Oktober vereinbarte Unterbringung von zusätzlichen Flüchtlingen erfüllt hätten. Damit seien die im Jahr 2004 zwischen Bund und Ländern vereinbarten Quoten noch nicht erfüllt, allerdings sei es ein erster Schritt, wie die Politiker_innen sich einer Meinung zeigten. Trotz des präsentieren "Erfolgs" gab es vor allem Kritik am oberösterreichischen Soziallandesrat Josef Ackerl (SPÖ), dem Traiskirchens Ortschef Knotzer nahe legte, seine Asylkompetenzen zurückzulegen.
Die mediale Inszenierung dient dabei vor allem dazu, rassistische Ressentiments zu schüren. So wurde zeitgleich mit der Pressekonferenz im Flüchtlingslager Traiskirchen eine "feuerpolizeiliche Überprüfung" durchgeführt und der NÖ Landeshauptmann behielt sich weiter behördliche Maßnahmen vor, wie die Sperre für Neuzugänge. Interessant, dass genau jene Politiker_innen, denen die Interessen und die Lebensbedingungen der Flüchtlinge ihren Aussagen und ihrer Politik zufolge vollkommen egal sind, ihren Rassismus mit "unmenschliche Lebensbedingungen" aufgrund der Überfüllung im Lager Traiskirchen rechtfertigen. Und sie legen noch eines drauf, wie Pröll, der von einem "hohen Aggressionspotenzial" aufgrund "ethnischer Konflikte" sprach. Er machte deutlich, worum es ihm geht: Nicht das Wohl der Flüchtlinge und eine ihren Bedürfnissen entsprechende Unterbringung in städtischer Umgebung, sondern die "Sicherheit für Mitarbeiterinnen und Bevölkerung". Es ist nichts neues, dass mit dem Argument der Sicherheit rassistische Maßnahmen legitimiert werden sollen.
Um gegen die mediale Inszenierung im Rahmen der Pressekonferenz zu demonstrieren, versammelten sich einige Aktivst_innen vor dem Innenministerium. Das BMI versuchte zwar, die Journalist_innen so aus dem Gebäude zu schleusen, damit sie von der Kundgebung nichts mitbekommen, was jedoch schief ging - und wenig später waren die ersten Bilder des Protests online zu finden.
Am Nachmittag, um 14:00 wurden Medienvertreter_innen nach Traiskirchen geladen, um dort direkt vorm Eingang zu Flüchtlingslager über die Probleme der Flüchtlinge zu informieren. Das Medieninteresse war groß und es wurde klar gestellt, dass die Verlegungen in die Bundesländer keine Lösung ist. Es braucht eine menschenwürdige, den individuellen Bedürfnissen entsprechende Unterbringung - und diese ist in der Isolation an entlegenen Orten nicht möglich (mehr dazu in der Presseaussendung weiter unten).
Immer wieder betonten die Flüchtlinge in der vergangenen Tagen, was sie wollen: Sie wollen nicht an entlegene Orte verlegt werden. Statt dessen wünschen sie die Unterbringung in Wohnungen oder Zimmern im städtischen Raum. Und sie wollen Papiere, die sie zum Arbeiten berechtigen, damit sie für sich selbst sorgen können. Dies würde die Probleme der angeblich fehlenden Unterbringungsplätze lösen, weil die von Erwerbsarbeit ausgeschlossenen Flüchtlinge nicht mehr auf die :: Grundversorgung angewiesen wären.
In Wien geht das Protestcamp der Flüchtlinge weiter, auch wenn viele der bisher Beteiligten an mehrere hundert Kilometer entfernte Orte gebracht wurden. Die protestierenden Flüchtlinge ließen sich durch die permanenten Schikanen und Drohungen von Polizei, Lagerleitung und Securities nicht einschüchtern. Sie sind fest entschlossen ihre Proteste weiterzuführen, bis ihnen Asyl gewährt wird.
Weder die Wiener Polizei noch die Innenministerin zeigen dafür Verständnis, vielmehr versuchen sie die Proteste der Flüchtlinge zu diffamieren. Laut Mikl-Leitner brauche es "Fachwissen und Vernunft" statt "Aktionismus von links, etwa im Protestcamp". Die Innenministerin vergas nicht, sich von rassistischer "Hetze von rechts" zu distanzieren. Was nichts an der Tatsache ändert, dass das Asy- und Fremdenrecht und deren Umsetzung rassistisch sind, ebenso wie viele Aussagen der genannten Politiker_innen; und dies nicht erst seit vor ein paar Monaten ein "Notstand" in Traiskirchen festgestellt wurde, sondern seit Jahren. Insbesondere der Bürgermeister Knotzer hat immer wieder rassistische Rülpser von sich gegeben, wenn es um das Flüchtlingslager in Traiskirchen ging.
Um gegen diese rassistische Politik Stellung zu beziehen und Solidarität mit den Flüchtlingen und ihren Protesten auszudrücken, haben zahlreiche Leute aus dem Kunst- und Kulturbereich eine Unterstützungserklärung veröffentlicht (siehe Text weiter unten), die auf :: refugeecampvienna.noblogs.org unterzeichnet werden kann.
Am Abend fand auf Einladung des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste Wien ein Vortrag von Geflüchteten aus dem Protestcamps unter dem Titel "Invisible Histories of (Post)Colonialism" statt.
Für Aufregung sorgte am Freitag die polizeiliche Untersagung der für Samstag geplanten Demonstration. Diese hätte ab 14:00 Uhr vom Protestcamp durch die Innenstadt, vorbei am Innenministerium zum Marcus Omofuma Stein, von dort durch den 7. Bezirk zum Parlament und zurück zum Protestcamp hätte führen sollen. Die Polizei begründete ihre Untersagung mit dem vorweihnachtlichen Einkaufssamstag. In den Einkaufsstraßen, wie Graben, Kohlmarkt, Kärntner_innen und Mariahilfer Straße sei an den Einkaufssamstagen ein großes Gedränge. Außerdem würden sich zahlreiche Chistkindlmärkten, Verkaufs- und Punschstände entlang der geplanten Route befinden und diese sehr stark frequentiert werden. Auf Grund dieser Umstände sei "die Sicherheit und körperliche Integrität sowohl der PassantInnen als auch der VersammlungsteilnehmerInnen gefährdet". Die Behörden versuchen dabei, einen Ausnahmezustand zu inszenieren: "Leicht könnte eine Massenhysterie bzw. Panik wegen der engen Platzverhältnisse ausbrechen." Es könne mit einer "Vielzahl von verletzten, wenn nicht sogar schwer verletzten Personen" gerechnet werden.
Als weiterer Untersagungsgrund werden "verheerende Auswirkungen auf den Verkehr" angeführt, der "durch die beabsichtigte Versammlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zusammenbrechen" würde. Die "Abwägung der Interessen" mache für die Polizei eine "Untersagung der beabsichtigten Versammlung notwendig".
Um auf das Verbot der Versammlung zu reagieren, wurden vier Standkundgebungen angemeldet: Am Graben/Ecke Kohlmarkt, beim Marcus Omofuma Stein, vor dem Parlament und am Stephansplatz. Außerdem gibt es den Treffpunkt im Protestcamp, dass auf jeden Fall weiter bestehen bleibt.
Kommt vorbei und zeigt euch solidarisch!
Presseaussendung vom 30. November 2012
Auf der heutigen Pressekonferenz betonen die protestierenden Flüchtlinge, dass die Verlegungen in andere Bundesländer nicht die Lösung sind. Es geht um fundamentale Menschenrechte.
Wien - Auf der heutigen Pressekonferenz äußerten sich Geflüchtete aus Traiskirchen und Asylwerber_innen, die am Protestcamps in Wien teilnehmen, zur aktuellen Situation in Traiskirchen und den Maßnahmen der Regierung. Innenministerin Mikl-Leitner versucht durch ein permanentes "Ping-Pong-Spiel" zwischen Bund und Ländern von den eigentlichen Problemen der protestierenden Flüchtlinge abzulenken.
Für die Geflüchteten haben die überfallsartige Verlegungen in andere Bundesländer ohne ausreichenden Informationen Verunsicherung zur Folge und vielfach die Unterbringung in isolierten Gegenden ohne ausreichende materielle und soziale Infrastruktur. Es gibt dort keine Beratungsstellen, keine Sprachkurse, wenig soziale Anbindung. "Niemand überlegt, was es heißt, in ein Bergdorf gebracht zu werden, wo du der einzige Ausländer bist und der Bus an dir absichtlich vorbeifährt, wenn du allein an der Haltestelle stehst."
Seit Samstag (24. November, Anm.) wurden 100 der protestierenden Flüchtlinge in andere Bundesländer transferiert. Außerdem wurden am Donnerstag neun Personen aus Traiskirchen in Schubhaft genommen. Deshalb mussten die geplanten Redebeiträge von zwei Frauen aus dem Erstaufnahmelager abgesagt werden, da sie sich vor einem öffentlichen Auftritt fürchten. "Seit dem Beginn der Proteste gibt es dauernd Kontrollen und vielen Leuten wurden ihre Asylkarten weggenommen, damit wir nicht nach Wien fahren können."
Das Protestcamp im Sigmund-Freud-Park bleibt bestehen. Die Verlegung in andere Bundesländer geht an den Forderungen der Flüchtlingen vorbei. Die Regierung muss endlich auf die Stimmen der Flüchtlinge hören, weil nur das zu einer bleibenden Verbesserung der Lage von Asylwerber_innen führen kann"
:: Quelle: refugeecampvienna.noblogs.org
Flüchtlinge sind am 24. November von Traiskirchen nach Wien marschiert, um auf ihre politische Anliegen aufmerksam zu machen. Seit Samstagabend haben sie ein Protestlager im Sigmund-Freud-Park errichtet. Im Zentrum der Bundeshauptstadt ergreifen sie das Wort, um endlich für sich selbst zu sprechen.
Mit ihrer Initiative machen sie darauf aufmerksam, dass im Asylverfahren sowie im System der Grundversorgung große Mängel herrschen. Obwohl sie einen prekären legalen Status haben und von Abschiebung bedroht sind, kämpfen sie für ihre grundlegenden Menschenrechte. Sie protestieren gegen undurchschaubare Asylverfahren, verschärfte Gesetze und erheben folgende Forderungen für menschenwürdige Lebensbedingungen:
In Bezug auf die Verbesserungen im Asylverfahren fordern sie eine bessere Qualifikation der DolmetscherInnen, Zugang zu Informationen und Rechtsberatung in ihrer Sprache, eine raschere Verfahrensabwicklung, die Anerkennung des Flüchtlingsstatus und das Recht auf Familienzusammenführung. Sie sind gegen die Überstellungen in isolierte Unterkünfte und sagen Nein zu Abschiebungen.
Darüber hinaus fordern sie den Zugang zum Arbeitsmarkt während des Asylverfahrensprozesses.
Für die Verbesserung des Grundversorgungssystems fordern sie besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung, die Begleitung durch DolmetscherInnen bei Arztbesuchen, ausreichendes und gesundes Essen, bessere Arbeitsbedingungen in Traiskirchen, den Schulbesuch für Kinder in regulären, österreichischen Schulen, Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln (Internet, internationale Fernsehsender etc.) und mehr Angebote an deutschen Sprachkursen und beruflicher Ausbildung.
Wir möchten mit dieser Erklärung dazu beitragen, breite Unterstützung für die Forderungen der Flüchtlinge anzuregen. Wir solidarisieren uns ausdrücklich mit ihrem Akt der Zivilcourage und ihrem Kampf für mehr Rechte und Demokratie.
Unterstützungserklärung unterzeichnen auf :: refugeecampvienna.noblogs.org.
... aber am besten kommt ihr im Protestcamp vorbei und zeigt euch solidarisch. Es gibt genug zu tun.