no-racism.net Druckversion

Quellenangabe:
Warum wir der Polizei im Fall Marcus O. nie Glauben konnten (vom 05.03.2002),
URL: http://no-racism.net/article/432/, besucht am 29.03.2024

[05. Mar 2002]

Warum wir der Polizei im Fall Marcus O. nie Glauben konnten

Die tragischen Ereignisse im Fall Kureng im Jahr 1997 zeichneten eine Art Sinnbild. Sie deckten eine Reihe von polizeilichen Übergriffen, Pseudoerklärungen und lügen auf, die einer erklärung bedurften, um verstanden zu werden. Nun, da Einzelheiten in der Causa Marcus O. ans Tageslicht kommen, gewinnt dieser Vorfall wieder an Bedeutung. Er liefert eine erklärung, warum so viele Menschen, insbesondere Schwarzafrikaner, den Polizeiberichten einfach keinen Glauben schenken können. (von CHIBO ONYEJI)

Am 12. März 1997 wurde Herr Kureng Akuei, ein Diplomat unteren Ranges (Dritter SekretÀr) an der Sudanesichen Botschaft, im 10. Wiener Gemeidebezirk auf der strasse von einem Polizisten angehalten. Der Aufforderung des Polizisten Folge leistend, zeigte Kureng Akuei seinen Diplomatenausweis. Der Beamte prüfte den Ausweis sorgfältig und tätigte daraufhin einen Telefonanruf.

Kurz darauf fuhr eine Funkstreife vor, mehrere Polizisten nahmen Herrn Akuei fest und brachten ihn aufs Kommissariat. Dort wurde Herr Akuei gezwungen, sich bis auf die Unterwäsche auszukleiden. Die Beamten durchsuchten seine Kleidung und begannen schließlich auf Herrn Akuei einzutreten und ihn aufs Brutalste zu schlagen. Nach diesem rassistischen Übergriff schrieb das Österreichische Wochenmagazin NEWS: Seine Unterlippe blutete. Die rechte Schulter war angeschwollen. Ein Knopf seines Mantels fehlte.

Als die Beamten nach vollbrachter Tat Herrn Akuei aufforderten, sich wieder anzukleiden, verneinte dieser höflich. Stattdessen bat er um Erlaubnis, die Sudanesische Botschaft anrufen zu dürfen. An diesem kleinen Zeichen des Widerstandes erkannten die Polizeibeamten wahrscheinlich zum ersten Mal, dass ihr Opfer, ihre afrikanische "Beute", nicht ganz so dumm war, wie sie die ganze Zeit angenommen hatten.

Doch das war kein Grund, dem Rücksichtslosen Treiben einfach ein Ende zu setzen. Ihre wilde Party wäre nicht nur plötzlich vorbei gewesen, die zu erwartenden Konsequenzen Wären weit bedrohlicher ausgefallen, als der schlimmste Kater nach der wildesten Party. Aus Angst vor den Folgen wiesen sie die Forderung des Diplomaten zurück: Ein Anruf bei der Botschaft kÀme nicht in Frage.

Daraufhin musste der afrikanische Diplomat noch einmal ein hohes maß an Zivilcourage, Besonnenheit und Geistesgegenwart an den Tag legen, um den Polizeibeamten unmissverständlich klarzumachen, dass er in jedem Fall auf diesen Anruf bestehen würde. Entweder er könne die Botschaft nun anrufen oder er würde das Kommissariat auf der Stelle, mit oder ohne Kleider, verlassen. Dieser Versuch schlug schließlich fehl.

Sein Ziel hatte er damit aber erreicht: Die Polizeibeamten selbst setzten sich telefonisch mit der Botschaft in Verbindung. Sie waren beunruhigt, denn sie wussten, dass die simple Forderung ihres Opfers völlig legitim war. Sie wussten auch, dass sie in jeder Hinsicht und die ganze Zeit über im Unrecht waren.

Als Vertreter der Sudanesichen Botschaft im Polizeikommissariat ankamen, machten sie zunächst einige Fotos von ihrem Arbeitskollegen: in dem Zustand, in dem sie ihn vorgefunden hatten: blutverschmiert und halbnackt, aber ruhig.
In Anlehnung an das PROFIL-Cover der Ausgabe vom 19. August 1996, das einen "gesuchten" Mann zeigt, einmal von vorne und einmal von der Seite fotografiert, dessen einziges besonderes Kennzeichen seine "schwarze Hautfarbe" ist, berichtete der Vorstand der sudanesischen Vereinigung in Österreich in einer darauffolgenden Stellungnahme zu dem Vorfall, dass "die Polizei Instruktionen erhalten hat, alle Schwarzen anzuhalten und zu durchsuchen."

Ob solche Instruktionen tatsächlich jemals erteilt worden waren, konnte nie geklärt werden. Doch darin steckt die Wurzel dieses beunruhigenden Sinnbilds, in dem Österreichische Polizisten offensichtlich die Veranlassung und die moralische Legitimation sehen, "alle" Afrikaner wie Kureng Akuei oder Marcus Omofuma zu behandeln. Der Schwarze in diesem, ihrem Bild, ist eine Wesen, das den untersten Platz in der Menschheitsskala einnimmt und auch dazu bestimmt ist, niemals in dieser Skala aufzusteigen. Um keinen Preis.

Wenn dieser Preis lautet, dass Gesetzeshüter grundlegende Menschenrechte, wie etwa auf der strasse zu gehen, verletzen (und Schwarze sind von Rechts wegen Menschen), dann muss er eben bezahlt werden. Ist der Preis der Verzicht auf einen gewaltfreien Umgang mit Menschen, die sich in Polizeigewahrsam befinden, so wird er bezahlt. Grundlose Festnahmen oder Strafen, menschenunwürdige Behandlungen, Gewaltanwendungen, alles ist drin...

Aber nun geht es um den Tod eines in Polizeigewahrsam befindlichen Menschen. Marcus O. starb in Gewahrsam und in der Obhut Österreichischer Polizeibeamten auf seinem Flug nach Bulgarien. Er erstickte. War es bloß fahrlässiges (gleichgültiges) Handeln, oder steckte mehr dahinter? Werden wir es jemals erfahren? Werden wir die erklärungen jemals akzeptieren können? Nach allem wissen wir, dass die Wahrheit etwas ist, was die Polizei geneigt ist, zu opfern, diesen Preis ist sie bereit zu zahlen, um ihren selbsterteilten überlegenheitsanspruch gegenüber Schwarzen aufrechtzuerhalten.
In den Augen der Exekutive handelt es sich nicht um lügen, sondern um Nach-Krisenmanagement. So gab die Polizei etwa an, dass Herr Kureng Akuei festgenommen wurde, weil er Widerstand gegen die Staatsgewalt leistete, nachdem er sein Auto falsch geparkt hatte. Doch irgendwie kam die Wahrheit doch ans Licht. Die Wahrheit in diesem Fall lautete, dass Herr Akuei zu diesem Zeitpunkt weder ein Auto, noch einen führerschein besaß. Leistete Marcus O., der auf seinem Flug nach Bulgarien in der Obhut von Polizeibeamten starbt, ebenfalls "Widerstand gegen die Staatsgewalt"? Hatte er etwa seinen körper "falsch geparkt"? können wir der Version der Polizei, ihrer Schilderung des Todes von Marcus O. in einer Flugzeugkabine, einfach Glauben schenken?

Aus diesem Grund haben die Schwarzen in diesem Land nie an die Polizeiberichte rund um den tragischen Tod des Marcus O. geglaubt. Das ist auch der Grund, weshalb die Ablehnung einer Rücktrittsaufforderung an den Innenminister so beÀngstigend ist. Das ist auch der Grund, weshalb die Ausreden und Begrödungen des Innenministers für seinen Verbleib im Amt nach wie vor beÀngstigen. Das ist auch der Grund, weshalb der Beschluss der zuständigen Disziplinarkommission, die drei Polizeibeamten unter deren Obhut Marcus O. starb, nicht vom Dienst zu suspendieren, derartig erschreckend ist und den Verdacht unter der schwarzen Bevölkerung weckt, dass es sich dabei nur um ein geschicktes ManÃŒver handelt, dem Innenminister die Gelegenheit zu Wiedergutmachung zu geben, indem er den Beschluss der Kommission ablehnt.

Die Peiniger von Kureng Akuei wussten (oder waren der felsenfesten überzeugung), dass sie immer mit Rückendeckung rechnen konnten. Auch jene Beamten, die mit dem Tod von Marcus Omofuma in Verbindung gebracht werden, wirken diesbezüglich ebenso zuversichtlich. Das ist der erschreckendste Teil der Geschichte, speziell wenn man beRücksichtigt, dass der bulgarische Obduktionsbericht den Tod durch Erstickung bestätigt hat. Werden Österreichische Gerichtsmediziner zu einem gegenteiligen Schluss kommen und unsere Angst weiter schören? Mittlerweile sorgen die Einzelheiten, die über Omofumas Deutschlandaufenthalt ans Licht kommen - der Umstand, dass er zwei PÀsse auf verschiedene Namen hatte, dass er in Halle illegal beschäftigt war und weitere Details, die noch folgen werden - für mehr als Erleichterung. Wenn sie überhaupt einen Beweis für etwas liefern, dann nur dafür, wie dick die Mauern der Festung Europas geworden sind. Nicht einmal die allseits beklatschte, sensationelle und "erfolgreichste" Drogenoffensive in der "Geschichte der Republik" kann über die eigentliche Thematik hinwegtÀuschen. In der Tragödie vom Tod des Marcus Omofuma sind diese HÀppchen nichts weiter als Fußnoten. Und je mehr diese Fußnoten zum Kernpunkt der Bemühungen werden, desto klarer wird das unglaubliche Ausmaß der Perversion.

© Mai 1999 Chibo Onyeji



POST SCRIPTUM

Eine Frage der Bedeutung

Seit Mai1999, als der obige Artikel verfasst (und bedauerlicherweise nicht veröffentlicht) worden ist, sind Informationen hinzugekommen und viele Fakten zugänglich geworden. Jetzt wissen wir zum Beispiel, dass "O" für Omofuma steht. Wir wissen ebenso, dass eine in Österreich durchgeführte Autopsie zu anderen Ergebnissen gelangte, als die in Bulgarien durchgeführte Autopsie, die ergeben hatte, dass der Tod von Marcus Omofuma durch Erstickung herbeigeführt wurde, ein Ergebnis, das eine im nachhinein in Deutschland durchgeführte Autopsie bestätigte. Mit dem Entscheid, die drei Polizeibeamten, unter deren Gewahrsam Marcus Omofuma starb, zu belangen, wenn auch erst fast drei Jahre nach dem Vorfall, lässt das Justizministerium im Grunde die tragischen Ereignisse rund um den Todesfall unbeRücksichtigt, so dass die eigentliche Bedeutung Omofumas Tod, nicht der Vorfall selbst, zu verblassen droht. Doch die Bedeutung eines Ereignisses ist niemals unwichtiger als das Ereignis selbst. Vielmehr ist die "Bedeutung" oft wichtiger, denn diese kann auch noch nach Lebzeiten zunehmen- wie im Fall von Omofuma. Eine Tatsache, die durch den Entscheid des Justizministeriums bestätigt wurden.

Ob die Beamten nun, wegen "fahrlässiger Tötung", wegen "mißbrauchs eines Häftlings und körperverletzung mit Todesfolge", wegen "VerhÃŒhnung eines Häftlings" oder "rechtswidrigen Handelns" - die Spekulationen in den Zeitungen sind weitreichend - angeklagt werden, wesentlich wichtiger und ermutigender sind die gegenwärtige Anzeichen dafür, dass das System, alles in allem, noch funktioniert. Am 4. März 2002 werden wir im Landesgericht von Korneuburg erfahren, wie die Anklageschriften letztendlich lauten, und welches Urteil in Folge dessen gefällt wird. Wie auch immer das Urteil ausfallen wird, seine Bedeutung wird (wie die Bedeutung der im obigen Artikel dargelegten Fakten) bestimmt mehr zählen, als das Urteil selbst. Ein autonomer und unabhängiger Gerichtshof muss die Fakten auf ihre Wichtigkeit und Bedeutung überprüfen und sich dann für die Bedeutung eines Schuldspruchs oder die Bedeutung eines Freispruchs entscheiden.
Mittlerweile fühlen wir uns wie werdende Eltern. Das Geschlecht des Kindes ist den Eltern dank der modernen Wissenschaft bereits bekannt. Doch die Aufregung, endlich zu erfahren, wie ihr Kind aussehen wird, welches Gesicht es haben wird, ist so groß wie eh und je. Die Aufregung ist wahrscheinlich dehalb so groß, weil im Endeffekt, sowohl Geschlecht als auch Wissenschaft bedeutungsloser sind als ein menschliches Gesicht.

© Februar 2002 Chibo Onyeji