Quellenangabe:
Flüchtlinge in Votivkirche aufgenommen - Protestcamp besteht weiter (vom 20.12.2012),
URL: http://no-racism.net/article/4324/,
besucht am 22.12.2024
[20. Dec 2012]
Erst schaute es so aus, als würde der Pfarrer die Flüchtlige, die Asyl in seiner Votivkirche suchten, von der Polizei raus werfen lassen, doch nach ewig langen Verhandlungen stand fest: Die Flüchtlinge dürfen bleiben, ihre Forderungen werden von der Kirche unterstützt.
Es kam für die Votivkirche und insbesondere den Pfarrer wohl überraschend: Mitten in der Vorweihnachtszeit waren da plötzlich Gäste, denen nur wenige Wochen zuvor angeboten worden war, im Fall von Problemen in der Votivkirche Schutz zu bekommen. Unübersehbar, im Sigmund-Freud-Park vor der Votivkirche befand sich seit dreieinhalb Wochen das Protestcamp, das Flüchtlinge aus Traiskirchen und Wien gemeinsam mit Unterstützer_innen errichtet hatten. Hier forderten sie ihre Rechte.
Der Dienstag, 18. Dezember 2012 wurde wohl auch deshalb für den Schritt in die Kirche gewählt, weil dieser Tag zum globalen Aktionstag für die Rechte von Migrant_innen und Flüchtlingen erklärt wurde und seit letztem Jahr :: verstreut über den Globus Aktionen statt finden und die alltäglich stattfinden Proteste sichtbarer gemacht werden.
Das Motto des diesjährigen Aktionstages lautete :: "Wir migrieren um zu leben, nicht um zu sterben. Nie mehr vermisste Personen". Angesichts der zahlreichen Toten vor allem an Europas Südgrenze bzw. im Mittelmeer und im Zuge der vorgelagerten militärischen Überwachung der Grenzen, oder der Abschottung der USA gegenüber Menschen aus Mittel- und Südamerika hatten sich in mehreren Treffen Aktivist_innen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen und Ecken dieser Welt auf dieses Thema geeinigt. Mit zahlreichen Aktionen sollte einmal mehr der kritische Blick auf die rassistische Abschottungspolitik der reichen Länder gelenkt werden. Es geht einfach nicht, dass die Menschen in Europa im Luxus leben, während jene, auf deren Kosten dieser Luxus produziert wird, kein Recht haben, nach Europa zu reisen und mit massiver Gewalt daran gehindert werden; damit nicht genug, kommt es immer wieder zu Morden an den Grenzen ebenso wie bei Abschiebungen und in Gefängnissen. Die von den Staaten bezahlten Täter_innen müssen mit keinen Konsequenzen rechnen, sie werden viel mehr gedeckt und somit ihre auf Rassismus und Ausgrenzung basierende Gewalt legitimiert.
Viele Leute gelangen trotz der Politik der Abschottung bis ins Innere der Festung Europa, sehen sich aber hier erneut der Ausgrenzung konfrontiert. Flüchtlinge werden dazu gezwungen, in Lagern zu leben, oft irgendwo an entlegenen Orten. Es ist eine Politik der Isolation, die die Flüchtlinge durchbrechen wollten, als sie sich dazu entschlossen, ihren Protest auf die Straße und somit in die Öffentlichkeit zu verlagern, denn hinter den Zäunen, Gittern und Mauern regt sich seit Jahren permanenter Widerstand, ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt. Doch nun, nach einem 35km langen Protestmarsch von Traiskirchen nach Wien und mehr als drei Wochen Protestcamp im Zentrum der Bundeshauptstadt, können selbst die ignorantesten Rassist_innen nicht mehr verschweigen, dass Flüchtlinge aktiv für ihre Rechte kämpfen. Sie entsprechen nicht dem stereotypen Bild der passiver Opfer, sondern ergreifen das Wort und teilen mit, dass sie nichts anderes wollen, als hier zu leben. Doch genau das wollen ihnen viele - allen voran die Politiker_innen mit samt ihrem riesigen Beamt_innenapparat - verweigern.
Nachdem die Proteste es schnell in alle Medien schafften und erstmals in der jüngeren Geschichte dieses Landes ihre Forderungen wahrgenommen und darüber berichtet wurde, verschwand das Thema nach zwei Wochen wieder aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Flüchtlinge werden offenbar nach wie vor als Objekte wahrgenommen, über die berichtet und geurteilt wird, als hätten sie keine eigene Stimme. Wie laut diese Stimmen sind, wurde immer wieder bewiesen - die zahlreichen Demonstrationen der vergangenen Wochen waren viel lauter als es sonst in Wien gewohnt ist: Auf die Frage: "What we want?" erschallte immer wieder: "Our rights". "We demand our rights / Wir fordern unsere Rechte" - eine Botschaft, die klar und deutlich geäußert wurde. Und vor der sich schlussendlich auch die Vertreter_innen von Kirche und Caritas nicht verschließen konnten.
Die Flüchtlinge hatten ihre Forderungen überarbeitet und im Zuge des Betretens der Kirche verkündet: Es handelt sich dabei um die Grundversorgung unabhängig vom Rechtsstatus, freie Wahl des Aufenthaltsortes und Zugang zum öffentlichen Wohnbau, keine Transfers an entlegene Orte gegen den Willen der davon Betroffenen, Zugang zu Erwerbsarbeitsmarkt, zu Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung für alle in Österreich aufhältigen MigrantInnen, Stopp aller Dublin II Abschiebungen, Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur inhaltlichen Überprüfung von Asylverfahren und die Anerkennung von sozioökonomischen Fluchtmotiven (die vollständig formulierten Forderungen finden sich :: hier).
Nachdem in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch bis 3:00 Uhr morgens ergebnislos verhandelt wurde, änderte sich die Situation am Mittwoch Vormittag. Zuerst luden die Flüchtlinge zu einer Pressekonferenz in die Votivkirche, zu der zahlreiche Medienvertreter_innen erschienen. Dort stellten sie einmal mehr ihre neuen Forderungen dar (siehe :: Video vom 18. Dez bei Labournet Austria, :: Videos vom 19. Dez auf YouTube).
Etwas später hatten Kirche und Caritas zu einer weiteren Pressekonferenz geladen (:: O-Töne beider Pressekonferenzen auf cba.fro.at). Auch hier setzten sich einige der Flüchtlinge aufs Podium und verkündeten erneut ihre Position. Und etwas, was am Vortag kaum für möglich gehalten wurde, trat ein: Sowohl Kirche als auch Caritas stellten sich schützend hinter die Flüchtlinge und gaben bekannt, dass sie deren Forderungen unterstützen, wie Caritasdirektor Michael Landau und Bischofsvikar Dariusz Schutzky im Rahmen der Pressekonferenz versicherten. Weiteres forderten sie einen einen Runden Tisch von Regierung, NGOs und Religionsvertreter_innen, um "strukturelle Probleme im Asylbereich" zu diskutieren, inklusive der Forderungen der Flüchtlinge. Laut Medienberichten zeigte sich das Innenministerium, dass bisher jegliches Gespräch und jegliches Eingehen auf die Forderungen der Flüchtlinge verweigerte, nun interessiert. Allerdings mit der Einschränkung, dass nach wie vor nicht die Flüchtlinge selbst als die eigentlichen Gesprächspartner_innen gelten, sondern lediglich Bereitschaft zu einem "Dialog in der Flüchtlingsfrage mit der Caritas" signalisiert wurde. Ein runder Tisch der Caritas solle so bald wie möglich stattfinden - und das Innenministerium hätte nichts dagegen, wenn die Caritas dazu Flüchtlinge einlade. Daraus kann gefolgert werden, dass nach wie vor über und nicht mit den Flüchtlingen gesprochen wird, doch zumindest kam mal eine Bewegung in die ganze Angelegenheit.
Es bleibt abzuwarten, ob es sich um vorweihnachtliche Versprechungen handelt, oder ob nach den Feiertagen tatsächlich Schritte zu einer konkrete Verbesserungen der Situation von Flüchtlingen eingeleitet werden. Hinsichtlich des Zuganges zum Erwerbsarbeitsmarkt, der seit langem von vielen Seiten gefordert wird, blockte das Innenministerium gleich ab: Dies falle in den Zuständigkeitsbereich des Sozialministeriums. Ob dieses zu Gesprächen und einer Änderungen der gesetzlichen Lage bereit ist, ist nicht bekannt. Doch angesichts der Verhandlungspartner_innen, deren Politik seit Jahren vor allem durch die permanente Einführung neuer rassistischer Schikanen gekennzeichnet ist, können die Erwartungen nicht allzu groß sein.
Es ist nach wie vor notwendig, Druck zu erzeugen. Im Protestcamp im Sigmund-Freud-Park und nun auch in Votivkirche besteht die Möglichkeit, die Proteste der Flüchtlinge zu unterstützen. Kommt vorbei, bringt euch ein und zeigt Solidarität!
Informationen, wie das Protestcamp unterstützt werden kann, gibt es vor Ort oder online auf :: refugeecampvienna.noblogs.org, wo u.a. ein Plan mit Schichten vor allem für die Nachtstunden darauf wartet, befüllt zu werden und eine Wunschliste regelmäßig darüber informiert, was am Camp alles so gebraucht wird. Am besten ist es jedenfalls vorbei zu kommen und sich vor Ort ein Bild zu machen - und am Protest für die Rechte der Flüchtlinge teil zu haben.