Quellenangabe:
Kurzer Rückblick auf das Refugee Camp in Wien (vom 20.01.2013),
URL: http://no-racism.net/article/4374/,
besucht am 21.12.2024
[20. Jan 2013]
"Einige Anarchistinnen und Anarchisten" lassen auf :: linksunten. indymedia.org knapp zwei Monate Refugee Protest Camp Vienna revue passieren - externe und interne Entwicklungen. no-racism.net dokumentiert den lesenswerten Beitrag.
Am 28. Dezember haben dutzende Kiwara [wienerisch für Bullen, Anmerk.] in Kampfmontur und Bullen in zivil, unter ihnen auch das LVT, das Refugee Camp im Sigmund-Freud-Park in mitten von Wien geräumt. Mit der Unterstützung der MA 48 und der Firma Toman haben sie die komplette Infrastruktur wie Zelte, Öfen, Beleuchtung, Gewand, Essen usw. innerhalb weniger Stunden in Schrott verwandelt. Zum sachgerechten Abbauen eines Zeltes können sich die Exekutivbeamt_innen anscheinend nur mit Baggern helfen. Aber keine Sorge, die Besitzer_innen der entfernten Gegenstände können sich gerne bei der MA 48 melden und aus einigen LKW Ladungen Müll ihr Eigentum zusammensuchen. Auch wenn die Räumung in Jahren gerichtlich als illegal eingestuft wird, werden weder die entstanden Kosten ersetzt werden noch hilft es zu irgendeiner Zufriedenstellung.
Von Beginn an wollte die Polizei klar machen dass die sie aus eigener Initiative handelt, da gegen die Campierverordnung verstoßen und am Camp einige Verwaltungsübertretungen beobachtet wurden. Eigeninitiative der Cops und die Forderung der FPÖ dass Camp innerhalb 24 Stunden zu räumen [die kurz vorher ausgelaufen war, Anmerk.]passen prinzipiell ja gut zusammen, wäre da nicht mehr dahinter. Die folgenden Tage nach der Räumung ließen Interviews verschiedener Autoritäten durchsickern dass sowohl Innenministerium, Stadt Wien, Polizei und die verschiedenen Magistrate, ja auch das Schundblatt Heute von der Räumung schon vorher Bescheid wussten und wahrscheinlich auch an der Planung beteiligt waren. Beteuerungsversuche der Grünen Parteivorsitzenden die rot-grüne Stadtregierung hat von nichts gewusst sind einfach nur Heuchelei, so bewiesen durch ein Interview mit Bürgermeister Häupl - ja Herr Bürgermeister hoffentlich dreht es Ihnen beim nächsten Gspritzten wirklich den Magen um! Blöd wenn der Plan, die Polizei als Sündenbock herzuhalten, nicht einen Tag hält. So ist es klar, dass alle Institutionen und Parteien die Campierverordnung als Mittel hernehmen um emanzipatorischen, sogar legal angemeldeten Protest zum Schweigen zu bringen wollten. Gegen wen ermittelt der Verfassungsschutz dann nochmal?
Einige Refugees und Unterstützer_innen haben sich schon Tage vor der Räumung dazu entschlossen die benachbarte Votivkirche zu besetzen. Der Pfaff der Kirche, der noch vor Wochen zugesichert hatte bei Problemen im Camp die Türen seiner Kirche offenzuhalten und Schutz vor Polizei zu bieten, fühlte sich durch die Belebung seines Gotteshauses jedoch verletzt. Durch die große öffentliche Präsenz der Aktion konnte man das Sprechen natürlich nicht mehr den Betroffenen und deren Unterstützer_innen überlassen, so dass die Caritas als Vermittlerin ins Geschehen platzte. Es brauchte auch nicht lang bis die ersten Spaltungsversuche zwischen Refugees und Unterstützer_innen in den Raum gestellt wurden. Sämtliche Parteiaussendungen, und Medien von Orf über Krone bis zum Standard fanden daran Gefallen und druckten brav was die Kerzerlfresser predigten. Dass Betroffene selbst wissen wo der Schuh drückt und wissen was sie brauchen um ihr Leben zu verbessern und dies sogar noch fordern, ist Mann in diesen autoritätshörig-katholischem Land nicht gewohnt, also können da nur extremistische Subversive (am besten noch aus Deutschland) dahinterstecken, die das Leid anderer für sich nutzen. Amen.
Wenige Tage nach der Besetzung der Kirche und der Räumung kam es zu verzweifelten Annährungsversuchen seitens des Innenministeriums an die Refugees. Ihnen wurde zugesichert sich um jeden Fall einzeln zu kümmern, auch ein Bus würde zu Verfügung gestellt werden um die Protestierenden aus der kalten Kirche in irgendwelche Caritas Lager zu locken. Völliges Unverständnis und Verstörung ist bei Caritas und Leuten des Innenministeriums aufgetreten, als das Angebot verweigert wurde. Im politischen Alltag ist es eben nicht üblich dass Leute sich nicht abschassln lassen und weiter mit radikalen Forderungen die Umstrukturierung eines festgefahrenen rassistischen Apparats fordern. Logisch wäre nur mitzuspielen, immerhin verdienen genug Menschen ein Vermögen mit illegalen Arbeiter_innen, der Zuverfügungstellung der Abschiebelogistik und der Militarisierung des Inneren und der Außengrenzen Europas. Wer sich dann noch dem rassistischen Normalzustand vehemment entgegen stellt, muss so und so wahnsinnig sein.
Wir sehen uns selbst in einer sehr priviligierten Position. Die meisten von uns haben eine weiße Hautfarbe, einen europäischen Pass, wir dürfen arbeiten gehen und sind versichert, und wenn wir nicht wollen, bekommen die meisten Geld vom Soz und sind trotzdem versichert. Einige von uns haben auch noch das "Glück" als BioMann auf die Welt gekommen zu sein oder mindestens so wahrgenommen zu werden. Einige von uns sind aus einem reichen Elternhaus abgehauen oder kommen aus einer angenehmen Mittelschichtfamilie. Die meisten haben aber irgendwann kapiert dass hier irgendetwas falsch rennt. Eins radikalisiert sich, bildet sich, liest, rebelliert, verbindet sich und sucht einen Weg um gegen das Bestehende zu kämpfen. Wir bauen Netzwerke auf mit Menschen die das gleiche Verlangen haben, die gleichen Sehnsüchte oder Ängste. Trotzdem legen wir unsere Privilegien nur selten ab, manchmal weil wir uns deren nicht bewusst sind oder aber auch gar nicht von selbst können oder wollen.
So sehr der Protest der Refugees auch unterstützt wurde, wollten viele nicht wahrhaben Forderungen an Institutionen und Autoritäten zu stellen die prinzipiell abgelehnt werden. Doch schnell kam die Frage auf, welche anderen Optionen es gibt - und dies oft, ohne mit Refugee darüber diskutiert zu haben. So ist es oft geschehen dass immer wieder Situationen entstanden sind, welche durch polarisierende Diskussionen in "was fordern die" und "was unterstützen/können wir" geprägt waren. Entstanden ist dadurch oft ein Klima, in welchem starke Hierachien zu spüren waren, teils durch die oben genannten Privilegien der Unterstützer_innen, durch sexisistsches und extrem autoritäres Auftreten von in den Protest involvierter Personen. Leider wurde sich selten die Zeit genommen um über auftretende Missstände zu diskutieren und reflektieren, oft aber auch wurden angesprochene Problematiken, egal ob von Unterstützer_innen oder Refugees, ignoriert oder aggressiv negiert. Einige Menschen sahen keinen anderen Ausweg, als den inhaltlichen Diskussioen fern zubleiben, wenn überhaupt noch gelegentlich infrastrukturelle Arbeit zu leisten oder sich ganz zurück zuziehen.
Trotzdem war es auch erstaunlich zu merken, wie stark versucht wurde ein antidiskriminierenden Umgang miteinander zu finden, schnelle konsensuale Lösungen entstanden sind und der Eine oder die Andere aktiv oder durch Zufall auf ihre Privilegien aufmerksam gemacht wurden und Reflexionsprozesse begonnen haben. Interessant war auch zu sehen wie ein gemeinschaftlicher Kampf aussehen kann, der aus verschiedenen Ausgangssituation geführt wird und verschiedene Vorstellungen von Lösungen für die Probleme vorhanden sind. Dies sind wahrscheinlich nur einige Gründe warum in diesem Kampf auch eine Dynamik enstanden ist, die in letzter Zeit in Wien kaum zu finden war. Es wurden Erfahrungen ausgetauscht, diskutiert, gelacht, getanzt, gekämpft, sich auf ein unbespieltes Terrain begeben und neue Taktiken und Strategien ausprobiert. In diesem Protest sind Freund_innenschaften entstanden und neue Verbündete gefunden worden, die sich durch Repression wohl nur schwer zerstören lassen.
Wir rufen dazu auf weiterhin Solidarität mit den Refugees zu zeigen und sie bei den Protest mit allen möglichen Mitteln und Wegen zu unterstützen. Seid subversiv!
Einige Anarchistinnen und Anarchisten
*Der Text spiegelt persönliche Eindrücke, Erfahrungen und Gefühle wieder und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Zuerst erschienen auf :: linksunten.indymedia.org. Übernommen und leicht bearbeitet von no-racism.net.