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Quellenangabe:
Schleppereiprozess: Wikipedia als Beweis (vom 13.03.2014),
URL: http://no-racism.net/article/4603/, besucht am 29.03.2024

[13. Mar 2014]

Schleppereiprozess: Wikipedia als Beweis

Interview mit einer Gruppe solidarischer Menschen, die die acht Menschen begleiten, gegen die am 17.03.2914 wegen dem Vorwurfs der Schlepperei am Landesgericht Wiener Neustadt ein Prozess beginnt. Zuerst erschienen im MALMOE 66, von no-racism.net dankend übernommen.

MALMOE: Wie ist der aktuelle Stand? Wann soll der Prozess beginnen?

Der Termin ist noch immer unklar. Sechs von acht Personen sitzen nach über einem halben Jahr immer noch in Untersuchungshaft. Die Anklageschrift wurde von zwei der Beschuldigten beeinsprucht, jedoch vom Oberlandesgericht für rechtskräftig erklärt. Jetzt ist das Gericht in Wiener Neustadt wieder zuständig und muss einen Termin festlegen.

Was genau wirft die Staatsanwaltschaft den Leuten vor?

Der Vorwurf lautet "Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung", dieser ist im Paragraph 114 Fremdenpolizeigesetz geregelt. Durch das Gesetz ist es de facto kaum mehr möglich, Menschen zu unterstützen, die die Grenze aufgrund der rassistischen Gesetzgebung illegalisiert übertreten müssen, ohne sich dabei strafbar zu machen. Eine Verurteilung aufgrund des Schleppereiparagraphen ist mit besonders hohen Haftstrafen verbunden, vor allem wenn sie mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung kombiniert wird. Allein der angebliche Vorsatz einer Bereicherung ist strafbar.

Es ist nicht nur die Hilfe direkt beim Grenzübertritt verboten, sondern jede Form der Unterstützung, wie z. B. Personen vom Zug abzuholen, bei sich schlafen zu lassen oder mit dem Auto ein Stück mitzunehmen, wenn irgendeine Form der Bereicherung unterstellt wird. Es gab in Deutschland Fälle, bei denen Mitfahrgelegenheiten angezeigt wurden, weil sie Personen ohne Papiere mitgenommen haben und wie üblich etwas Geld für Benzin verlangt haben. So werden Privatpersonen dazu gedrängt, polizeiliche Repressionsmaßnahmen durchzuführen und Ausweise zu kontrollieren.

Welche Strafe droht im Falle von Verurteilungen?

Die Haftstrafen für Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung betragen von einem bis zu zehn Jahre.

Wie ordnet ihr die Vorwürfe und die Festnahmen und Hausdurchsuchungen direkt nach den Abschiebungen nach Pakistan (politisch) ein?

Es ist eine Kriminalisierung und Diffamierung der Refugee-Proteste, die sich gegen den rassistischen Normalzustand richten. Im Juli wurden acht Refugee-Aktivisten nach Pakistan abgeschoben, danach gab es eine breite gesellschaftliche Unterstützung und solidarische Aktionen. Zwei Tage nach den Abschiebungen wurden acht weitere Refugees festgenommen. Als das Innenministerium kolportierte, dass sie "beinharte Bosse der Schleppermafia" seien, die Millionen kassiert hätten, nahmen die Medien das dankbar auf. Es kursierten absurde Geschichten über die angeblich eingenommenen Beträge und wie skrupellos die Beschuldigten gewesen seien. Diese sind jetzt alle widerlegt. Seitdem ist es auch medial stiller geworden um den Fall. Dennoch sitzen immer noch sechs Leute im Häfn, alle acht warten auf die Verhandlung.

Was sind die Besonderheiten in diesem Fall, was ist wichtig dabei? Warum dauert es so lang bis zum Prozess?

Wir wissen weder, warum es solange dauert, noch warum die Behörden in Wiener Neustadt zuständig sind. Das macht es aber deutlich schwieriger, sie zu besuchen, die Beschuldigten werden zusätzlich isoliert. Außerdem wurden die Besuche in den ersten fünf Monaten überwacht. Es war verboten, über den Fall zu sprechen. Teilweise wurden Gespräche unterbrochen, weil gefragt wurde, ob die Anwältin bereits zu Besuch war. Aber das sind noch keine Besonderheiten, da für Menschen ohne österreichische Staatsangehörigkeit die Haftbedingungen meistens um einiges miserabler sind. Schlechte Übersetzungen, vorgeschriebene Sprachen für Besucher_innen und rassistisches, schikanierendes Verhalten der Behörden sind die Regel.

Auffällig ist in diesem Fall aber ein besonders absurdes Vorgehen der Behörden. Die Anklage und der polizeiliche Abschlussbericht bestehen zu großen Teilen aus Vermutungen und pauschalen Aussagen. Als Beweis für die angebliche kriminelle Vereinigung wurden Passagen aus Wikipedia kopiert. Außerdem werden Annahmen als Fakten präsentiert, weil sie den Erfahrungen von Beamten entsprächen. Diese Dinge sind echt unglaublich und wurden auch von Anwält_innen bereits medial skandalisiert.

Was macht ihr als Gruppe, wie sieht eure Arbeit aus? Warum macht ihr das?

Wir versuchen solidarische Prozessbegleitung zu leisten. Die Beschuldigten werden besucht, wir organisieren Rechtsbeistand und sammeln Geld für die Prozesskosten. Wir halten auch Kontakt zu den Familien, weil die meisten Inhaftierten nach wie vor nicht telefonieren dürfen und ihre Familien teilweise monatelang nicht wussten, was los ist.

Wir sehen unsere Tätigkeit als Solidaritätsaktionen für Repressionsbetroffene. Auch persönliche Bekanntschaften spielen eine Rolle. Das ist auch problematisch, weil so jene, die weniger soziale Kontakte knüpfen konnten, auch weniger Unterstützung erhalten. Allgemein, unabhängig von diesem konkreten Fall, sehen wir den Schlepperei-Paragraphen als Ausdruck des europäischen Grenzregimes, das es für viele Menschen unmöglich macht, Grenzen regulär zu übertreten.

Stellt ihr auch die juristische Vertretung oder seid ihr mit dieser in Kontakt?

Wir sammeln Geld, um die Kosten der Vertretung zu decken, deshalb sind wir auch mit Anwält_innen in Kontakt. Hierbei stellt es sich als besonders schwierig heraus, an den Akt zu kommen. Allein die Kopierkosten sind kaum zu decken: Das Gericht will etwa 60 Cent pro Kopie und der Akt hat geschätzte 10.000 Seiten. Und die sind dann bloß voll mit Vermutungen, Pauschalisierungen und unbegründeten Annahmen.

Was können Menschen tun, um die Inhaftierten zu unterstützen? Wie kann man euch als Gruppe am besten unterstützen?

Solidarische Briefe schreiben, um die Isolation der Inhaftierten zu durchbrechen, uns kontaktieren, Geld spenden für Prozesskosten, Augen und Ohren offen halten für solidarische Aktionen und solche selber starten.

Kontakt zur Gruppe: solidarityagainstrepression [at] riseup.net

Zuerst erschienen in :: MALMOE 66