Quellenangabe:
2 Jahre nach dem Marsch von Traiskirchen nach Wien. Refugee-Aktivisten ziehen Bilanz (vom 26.11.2014),
URL: http://no-racism.net/article/4677/,
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[26. Nov 2014]
Zwei Jahre ist es nun her, dass mehr als 200 protestierende Flüchtlinge von Traiskirchen nach Wien marschierten. Das Refugee Protest Camp Vienna im Sigmund-Freud-Park wurde errichtet und es folgte die mehrmonatige schutzsuchende Besetzung der Votivkirche. Einige Aktivisten der Refugee Bewegung legen nun ihre Einschätzung der Entwicklungen seit damals dar.
Am 24.11.2012 marschierten mehr als 200 protestierende Flüchtlinge von Traiskirchen nach Wien. Am selben Tag wurde das Refugee Protest Camp Vienna im Sigmund-Freud-Park errichtet und es folgte die mehrmonatige schutzsuchende Besetzung der Votivkirche. Die Refugees protestierten gegen die Zumutungen des österreichischen Asylsystems und stellten Forderungen nach grundlegenden Rechten: freie Wahl des Aufenthaltsortes und Zugang zum öffentlichen Wohnbau; keine Transfers gegen den Willen der davon Betroffenen; Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung; Stopp von Abschiebungen und Abschaffung der Dublin II-Verordnung; eine unabhängigen Instanz zur Prüfung aller negativ beschiedenen Asylverfahren; Anerkennung von sozio-ökonomischen Fluchtmotiven; Löschung der Fingerabdrücke von Geflüchteten und das Recht, weiterzuziehen.
Die heutigen Zustände in Traiskirchen und anderen Lagern in Österreich zeigen eindringlich, dass alle diese Forderungen heute aktuell sind. Von den Beteiligten der Refugee-Protestbewegung haben es manche geschafft, ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erlangen, während 8 abgeschoben wurden und 6 Personen sich mit einer Kriminalisierungskampagne unter dem Vorwurf der sogenannten "Schlepperei" konfrontiert sehen. Zahlreiche Beteiligte der Wiener Refugeeproteste stehen vor einer ungewissen Zukunft, da ihnen bis heute eine Entscheidung über ihre Asylanträge vorenthalten wird. Mehrere Refugee-Aktivisten ziehen vor diesem Hintergrund Bilanz über 2 Jahre Protestbewegung und darüber, wo die Gesellschaft in Österreich heute steht:
Adalat K. (Swat-Tal, Khyber Pakhtunkhwa, Pakistan), anerkannter Refugee:
"Vor allem bin ich der Zivilgesellschaft dafür dankbar, nach zehn Jahren als asylsuchender Flüchtling in Europa endlich internationalen Schutz bekommen zu haben. Doch es fällt schwer sich zu freuen - als einer von nur sieben Personen aus dem Refugee Protest Camp Vienna, denen Asyl zuerkannt wurde. Diese sieben Personen sind für mich ein Beleg dafür, wie Österreich mit der Vergabe von Schutz umgeht: Regionale Probleme wie Bombenangriffe, Selbstmordanschläge, Drohnenangriffe und gezielte Tötungen betreffen nicht nur diese sieben Personen, sondern tausende von Menschen aus meiner Region, die davor flüchten. Manche von ihnen schaffen die Flucht, nur wenige kommen in Europa oder gar in Österreich an. Doch Schutz wird ihnen hier selten zuerkannt.
Es ist ein unmenschliches System. Teil des Systems ist es auch, unsere erhobenen Stimmen gewaltvoll unterdrücken zu wollen. Teil des Systems ist es ebenfalls, einzelne Personen aus unserer Protestbewegung zu kriminalisieren und somit ein schlechtes Bild von allen Flüchtlingen zu zeichnen. Wir ersuchen nochmals die österreichische Gesellschaft jene Personen, die nach wie vor auf ihre Bescheide im Asylverfahren warten, zu unterstützen. Ganz besonders jene, die unter dem Vorwurf der Schlepperei, monatelang in Untersuchungshaft waren und denen nun seit März 2014 ein großer Prozess gemacht wird. Der letzte Verhandlungstag findet am 4. Dezember 2014 statt. Wir möchten alle Menschen auffordern, hinzukommen und die Angeklagten sowohl symbolisch als auch politisch zu unterstützen."
Rahim I., (Swat-Tal, Khyber Pakhtunkhwa, Pakistan), Refugee-Aktivist im laufenden Asylverfahren:
"Nach zwei Jahren Refugee Protest Vienna und den verschiedenen damit verbundenen Stationen - dem Sigmund-Freud-Park, der Votivkirche, dem Servitenkloster, Unterkünften bei Unterstützer*innen und für einige von uns schließlich dem Refugeehaus - ist die Protestbewegung sehr vielen Menschen ein Begriff geworden. Auch die Behörden kennen uns sehr gut, wie auch unsere Fluchtgeschichten. Die Behörden sind immer noch dabei, sehr viele unserer noch offenen Asylverfahren zu prüfen.
Viele dieser auf Schutz wartenden Refugee-Aktivisten stammen aus sehr gefährlichen Regionen: Waziristan, dem Swat-Tal, Khyber Agency, Kurram Agency, Khyber Pakhtunkhwa, Stammesgebieten in Pakistan und Afghanistan. Unter uns befinden sich Personen aus exakt denselben Gegenden: Manche von ihnen bekamen Asyl, sehr viele warten aber noch immer vergeblich darauf. Ich warte mit Freunden aus der Refugeebewegung bereits seit 2,5 Jahren. Was sollen wir tun in dieser Zeit? Der Arbeitsmarkt bleibt uns verschlossen, wir dürfen nicht studieren. Uns bleibt Essen und Schlafen übrig. Das ist kein menschenwürdiges Leben. Es gleicht viel eher einem Gefängnis, welches für Refugees in ganz Europa, Kanada, den Vereinigten Staaten oder Australien existiert und aufgerüstet wird. Es sind mächtige und reiche Länder dafür verantwortlich. Länder, welche groß von Menschenrechten sprechen. Doch es erscheint mir lediglich als eine Farce. Diese Länder sind verantwortlich für weltweite Kriege und Krisen und begegnen den Menschen, die davor flüchten müssen, mit zusätzlichen Menschenrechtsverletzungen.
Viele von uns sind gut ausgebildet, besitzen Berufserfahrung, auch im sozialen Bereich und warten darauf, endlich ein sicheres Leben beginnen zu dürfen. Es gibt kaum etwas Schlimmeres als die Ungewissheit. Persönlich werde ich immer Menschlichkeit und Menschenrechte unterstützen. Wir werden unsere Kämpfe fortführen, bis allen Menschen die gleichen Rechte zugestanden werden. Menschenrechte sind vor Religionen gereiht. In diesem Land wird aber sehr viel Stimmungsmache gegen Geflüchtete gemacht. Die Menschen, die hier Schutz suchen, sind meist selbst vor Krieg oder Terrorismus geflüchtet und möchten ein friedliches und sicheres Leben führen. Wir möchten die österreichische Gesellschaft deshalb auffordern, gemeinsam mit uns für Menschenrechte einzutreten!"
Numan M., Aktivist der Refugee-Bewegung, Student in Wien:
"Die Refugeebewegung blickt nach wie vor voraus, Änderungen in der Flüchtlingspolitik zu bewirken. Eine Priorität ist es, das Recht auf Arbeit(szugang) für Asylsuchende zu erzielen. Außerdem fordern wir positive Entscheide der Asylgerichte für all jene, die sich noch immer im Verfahren befinden. Was genau zu diesem Zeitpunkt in Fieberbrunn in Tirol passiert, verdeutlicht, dass es bis zum heutigen Tage keine Lösungen für Asylwerber*innen in Österreich gibt. Deshalb solidarisiert sich der Refugee Protest Vienna mit den Menschen, die in Tirol kämpfen und unterstützt deren Forderung, das Isolationslager Bürgelkopf/Fieberbrunn zu schließen. Wir fordern die zuständigen Behörden außerdem auf, rechtliche Schritte gegen diejenigen zu setzen, die das Flüchtlingslager vor Kurzem angegriffen haben!
Die Taten der Rechtsextremen in Tirol erinnern stark an Zustände in Griechenland, wo Asylsuchende von Rassist*innen der "Golden Dawn" terrorisisiert und angegriffen werden. Was uns in Griechenland begegnete, möchten wir in Österreich nicht wiederholt sehen! Zwei Jahre nach dem Protestmarsch möchten wir anklagen, dass sich die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Traiskirchen nur verschlechtert haben: Diese finden keine menschenwürdige Unterbringung vor, einige werden aus dem Lager sogar hinausgeworfen, ihnen wird Eintritt verweigert und sie finden sich auf der Straße wieder. Die Menschen sollten sich bewusst sein, dass eine weitere Protestbewegung immer entstehen wird, wenn schutzsuchenden Personen Unterkunft verweigert wird und sie keinen Raum zum Leben haben! Innerhalb Wiens wiederum fällt die starke Präsenz von Polizeikräften um U-Bahnstationen auf. Diese Repression durch Polizei an öffentlichen Räumen richtet sich nicht nur gezielt gegen Migrant*innen, sondern auch gegen junge Menschen aller Nationalitäten. Wir schätzen die Protestbewegungen in unseren Nachbarländern und senden wärmste solidarische Grüße! Vor allem an jene Refugees in Münschen, die gegenwärtig in einen neuen Hungerstreik getreten sind."
Aus aktuellem Anlass weisen wir nochmals darauf hin, dass für 4. Dezember die Abschlussplädoyers und schließlich die Urteilsverkündung im "Schlepperei"-Prozess am Landesgericht in Wiener Neustadt geplant ist. Verschiedene Gruppen laden dazu ein, an diesem Tag ein starkes Signal der Solidarität mit den Angeklagten, gegen die Kriminalisierung von Migration und Flucht und für die Abschaffung des rassistischen "Schlepperei"-Paragraphen §114 FPG zu setzen.
Refugee Protest Camp Vienna, 25. November 2014