Quellenangabe:
'Wir wählen unser Recht auf Stadt!' (vom 03.05.2015),
URL: http://no-racism.net/article/4730/,
besucht am 21.11.2024
[03. May 2015]
Die Inititative Mietenwahnsinn stoppen! aus Wien hat sich mit der Wiener Wohnungspolitik auseinander gesetzt und vier konkrete Forderungen aufgestellt.
Wohnen in Wien hat sich in den letzten Jahren rapide verändert. So sehr die Stadt mit ihren Slogans und Werbekampagnen auch versucht, eine scheinbar heile Welt vorzugaukeln, so sehr kämpfen mittlerweile die Bewohner_innen tagtäglich mit den Auswirkungen sich verschlechternder Lebensbedingungen und Wohnverhältnisse. Die Stadt und ihre repräsentativen Organe schafften es bislang immer wieder gekonnt, kritische Stimmen, die auf Versäumnisse im Wohnungsbau hinwiesen, im Keim zu ersticken. Viel wichtiger war ihnen, das Image und den Status einer "Vorzeigestadt" aufrecht zu erhalten, in der es, ganz im Gegensatz zu anderen europäischen Städten, eben keine horrenden Mieten, keine Verdrängung im Sinne von Gentrifizierung, auch keine segregierten Viertel oder No-Go-Areas gebe. Doch mittlerweile scheint es fast so, als hätte sich die Stadt zu lange auf dem Mythos des "Roten Wien" ausgeruht und den ehemals funktionierenden Wohlfahrtsstaat nach unternehmerischen Kriterien umgestaltet. Spätestens seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Beitritt zur Europäischen Union wurden Wettbewerbsfähigkeit und investorenfreundliche Stadtentwicklung zum obersten Postulat. Dies führt heute dazu, dass genau jene negativen Erscheinungen, von denen die Regierung lange Zeit nichts wissen wollte, stärker denn je zu Tage treten.
Wien galt lange als Nachzüglerin, wenn es um die Neoliberalisierung der Stadt und ihrer politischen Institutionen ging. Schritt für Schritt, und immer unter der Obhut einer sozialdemokratischen Vorherrschaft, veränderten sich aber auch hier sukzessive die politischen Rahmenbedingungen und das neoliberale Dogma prägt mittlerweile die Stadtpolitik nachhaltig. Es ist zwar wichtig zu betonen, dass wir uns, wenn wir über Probleme z.B. am Wohnungsmarkt in Wien reden, noch immer auf einem sehr hohen Niveau bewegen - die Stadt Wien besitzt immerhin noch knapp 220.000 Wohnungen. Nichtsdestotrotz stimmen die konkreten Erfahrungen der Bewohner_innen mit der positiven Selbstdarstellung der Stadt nicht mehr überein. Zu den realen Veränderungen zählen neben der oben genannten Gentrifizierung und Verdrängung auch die damit in Zusammenhang stehenden, massiven Mietsteigerungen, sowie die steigenden Kosten für Strom, Gas und öffentliche Verkehrsmittel in den letzten Jahren.
Aber was heißt das nun konkret? In Wien leben ca. 60% der Bevölkerung in einer durch öffentliche Gelder geförderten Wohnung. Pro Jahr kommen ca. 5.000 neue, geförderte Wohnungen hinzu; das ist immerhin die Hälfte der gesamten Bauleistung. Der Ursprung dieser Logik ist im Roten Wien (1918-1934) zu suchen: Ende des 1. Weltkriegs erzwingen kämpfende Arbeiter_innen als Folge der Wohnungskrise die Einführung der Mieterschutzverordnung (1917/18) und des Mietengesetzes (1922). Der Immobilienmarkt wurde fortan unprofitabel für privates Kapital und Grundstücke konnten seitens der Stadt günstig erworben werden. Die Stadt schuf sich durch die Einführung unterschiedlicher Luxussteuern (Breitnersteuern), darunter auch die Wohnbausteuer, einen enormen finanziellen Spielraum. Erst dadurch war sie im Stande zwischen 1925 und 1934 etwa 64.000 Gemeindewohnungen für ca. 220.000 Arbeiter_innen zu bauen. Davor musste sich die Stadt aber noch zwischen zwei möglichen Optionen zur Lösung der Wohnungskrise entscheiden: entweder sie förderte Selbsthilfekooperativen, wie es zu der Zeit die Siedler_innenbewegung war, oder sie unterstützte den Bau von Gemeindewohnungen; sie entschied sich für Letzteres.
Die Zeit des "Austromarxismus" fand zwar 1934 ein gewaltvolles Ende, doch viele Ideen der sozialistischen Wohnbaupolitik wurden nach dem 2. Weltkrieg fortgesetzt. Bis eben 2004, als in der Rößlergasse 15 in Wien-Liesing, der letzte Gemeindebau errichtet wurde. Dieser Bruch steht aber nur am Ende einer langen Kette an Maßnahmen zur Aushöhlung und Abschaffung der sozialen Wohnbautätigkeit in Wien. Im Verlauf der 1980er und 1990er Jahre gab es schon massive Liberalisierungen und Deregulierungen im Bereich des Mieterschutzes und des Mietrechts, die u.a. die Einführung der befristeten Mietverträge zur Folge hatte. Auch die sukzessive Verlagerung des geförderten Wohnbaus, vom Gemeindebau zu gemeinnützigen (teilweise auch gewerblichen) Wohnbauträgern, ist Teil einer neuen Strategie, in der die Stadt nicht mehr als Bauherrin oder Vermieterin auftritt, sondern sich vermehrt um die Verwaltung ihrer Liegenschaften kümmert und die Bautätigkeit anderen überlässt. Zusätzlich entzog die Stadtregierung durch die (Teil-) Privatisierung, Auslagerung und Zusammenfassung von ehemals städtischen Betrieben und Magistratsabteilungen in Holdings, Unternehmungen, Stiftungen und Fonds dem Gemeinderat die Kontrolle. Die Folge davon sind Entdemokratisierung und Intrasparenz bei der Vergabe- und Auftragspolitik.
Dieser Wandel im Bereich des Wohnens lässt sich mittlerweile ganz gut in Zahlen fassen: zwischen 2000 und 2010 stiegen die Mieten in Wien um 37%, im privaten Sektor sogar um 67%. Der Ausgabenanteil vom Einkommen an der Miete ist seit 2004 von 16% auf 25% gestiegen und die Anzahl der erfassten Wohnungslosen hat sich seit 2006 verdoppelt. Auch die Zahl der Delogierungen steigt. Insbesondere im Gemeindebau werden aufgrund der steigenden Mieten fast 1000 Wohnungen pro Jahr (2011) zwangsgeräumt; das bedeutet im Schnitt bis zu sieben Wohnungen pro Tag. Weitere absurde Hürden in der Unterstützung ärmerer Bevölkerungsschichten im Bereich des Wohnens, sind die Regel, dass erst ab einem gewissen Mindesteinkommen die Möglichkeit der Wohnbeihilfe besteht; d.h. zu niedriges Einkommen verunmöglicht den Bezug von Wohnbeihilfe!
Für uns als Recht auf Stadt-Kollektiv der Initiative "Mietenwahnsinn stoppen!" ist wichtig, einen kritischen Blick auf aktuelle städtische Transformationsprozesse in Wien zu werfen und gegen diese negativen Auswirkungen anzukämpfen. Wir wollen mit der hegemonialen Selbstdarstellung der Stadt brechen und nicht nur auf die soziale Ungleichheit im Wohnungsbau hinweisen, sondern auch positive Utopien jenseits der paternalistischen SP-Grünen Stadtpolitik entwickeln, auf Aktivierung und Selbstermächtigung setzen, anstatt auf eine intransparente, klientelistische Vertretungspolitik. Wie das funktionieren könnte sehen wir international an vielen Orten des Widerstandes gegen Delogierung, Mietensteigerung und Gentrifizierung wie aktuell in Spanien.
Aber auch in Wien kämpfen die Menschen auf vielen Ebenen gegen die Wohnungskrise, wir sehen das beim Widerstand der PizzeriA gegen einen privaten Immobilieninvestor, der solidarischen Unterstützung gegen die Delogierung von Monika R. oder dem tagtäglichen Kampf gegen Wohnungslosigkeit beim neunerhaus sowie dem Kampf gegen Vertreibung von Marginalisierten. Besonders tragisch bleibt uns der Fall Cafer I. in Mariahilf in Erinnerung. Cafer war der letzte verbleibende Mieter eines Zinshauses, das nun saniert wird. Er wurde unter noch immer nicht geklärten Umständen tot vor seiner Wohnung aufgefunden. Delogierungen passieren auch in Wien bis zu sieben Mal pro Tag und jede einzelne Räumung ist eine zu viel. Unsere vier zentralen Forderungen sind daher:
1. ZWANGSRÄUMUNGEN STOPPEN, KEIN RAUSMOBBEN VON ALTMIETER_INNEN!
Wir fordern den sofortigen Stopp von Delogierungen von Mieter_innen, die sich ihre Miete nicht mehr leisten können. Genauso fordern wir Schritte gegen das Rausmobben von Altmieter_innen, um eine Immobilie aufwerten zu können. In beiden Fällen ist die Stadt gefragt, durch sozialpolitische Maßnahmen, wie der Übernahme von Mietschulden, oder der Entziehung von Baubewilligungen im Zuge von Renovierungen, entgegen zu wirken. Der Aufwertung ganzer Grätzel inklusive Verdrängung oftmals weniger zahlungskräftiger Mieter_innen könnte eine an sozialen Kriterien orientierte Mietobergrenze entgegenwirken. Lagezuschläge müssen generell abgeschafft werden.
2. HER MIT DEM GEMEINDEBAU!
Wir fordern die generelle Wiederaufnahme des Gemeindebaus. Kommunaler Wohnbau fand in den letzten Jahren nur mehr über den geförderten Wohnbau statt. Dabei ist klar, dass der geförderte Wohnbau als Mittelschichtssubventionierung, gerade in Zeiten immer prekärer werdender Arbeits- und Lebensbedingungen für viele Menschen immer schwerer leistbar wird. Im Februar 2015 gab Bürgermeister Häupl zwar bekannt, das die Stadt wieder Gemeindewohnungen bauen wird. Es bleibt aber abzuwarten, ob diese Ankündigung reine Wahlkampfrhetorik bleibt bzw. wieviel und unter welchen Bedingungen dann auch wirklich umgesetzt wird.
Wir fordern ebenso Offenheit für neue Schritte der Kommunalisierung, besonders durch die Stärkung der demokratischen Mitgestaltung, etwa in Form der schon existierenden Mieter_innenräte, die Stärkung Urbaner Commons (Gemeingüter) und die Berücksichtigung von Wohn- und Lebensformen, jenseits des Kleinfamilienmodells.
3. SPEKULATION VERHINDERN! LEERSTAND BESETZEN!
Wer Wohnraum oder auch Büroflächen trotz oder gerade wegen steigender Mietpreise leerstehen lässt, sollte nicht nur, wie unlängst von der SP gefordert, durch eine Leerstandsabgabe besteuert werden, sondern dieser Leerstand muss der Gesellschaft wieder zur Verfügung stehen. Wir fordern hier die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Rekommunalisierung von leerstehendem Wohnraum und Büroflächen. Darüber hinaus gilt es demokratische Institutionen auf lokaler Ebene zu schaffen, um diesen Leerstand gemeinsam zu verwalten und über dessen Nutzung zu bestimmen. Mit der Kriminalisierung von Leerstandsbesetzungen muss Schluss sein.
4. KEINE PROFITE MIT DER MIETE! WOHNRAUM DARF KEINE WARE SEIN!
Des Recht auf Wohnen gehört wie das Recht auf (Teilhabe an der) Stadt zu den grundlegenden Sozialen Rechten, die gewährleisten, dass alle Menschen ein gutes und würdiges Leben führen können. Dementsprechend darf Wohnen keine Ware sein. Die marktförmige (De-)Regulierung von Wohnraum produziert Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Wohnraum muss daher dem Markt entzogen und vergesellschaftet werden und allen hier lebenden Menschen, egal welcher Herkunft, zur Verfügung stehen.
Wien, April 2015