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Quellenangabe:
Bericht über die Situation an der Serbisch-Kroatische Grenze (Berkasovo [SRB] - Bapska [HR]) (vom 12.10.2015),
URL: http://no-racism.net/article/4921/, besucht am 24.04.2024

[12. Oct 2015]

Bericht über die Situation an der Serbisch-Kroatische Grenze (Berkasovo [SRB] - Bapska [HR])

In den letzten Wochen waren mehrere Konvois, Gruppen oder Personen auf den verschiedenen Fluchtrouten in Südost-Europa unterwegs. Es wurden einige Berichte und Dokumentationen veröffentlicht. Wir waren Ende September/Anfang Oktober mit der Soli-Vokü "Ain't No Border High Enough" an der kroatisch-serbischen Grenze unterwegs und wollen ergänzend zu den vorhandenen Berichten, unsere Erfahrungen und Eindrücke schildern.

Zuerst ein kurzer Abriss über die Etappen der "offiziellen" Route von Mazedonien über Serbien nach Kroatien (...von dort weiter via Ungarn, Österreich etc.), den regierungs-organisierten sogenannten "Korridor".

Es gibt viele Wege nach Europa. Eine Route führt über den offiziell geöffneten Grenzübergang zwischen Mazedonien und Serbien. In dem Grenzort Presevo auf serbischer Seite werden die dort ankommenden Refugees namentlich und mit Fingerabdruck registriert. Außerdem wird ihr Gepäck durchsucht und z.B. Messer als Waffen definiert weggenommen. Unseres Wissens nach müssen sich seit dem 1. Oktober 2015 alle Refugees in Serbien dort registrieren lassen. Wer ohne Registrierung kontrolliert wird, wird nach Presevo zurück geschickt. Diese Verschärfung scheint uns eine Folge der gerade dort begonnen Europol-Operation "Kostana 2015" zu sein. Dabei werden mindestens Europol-Beamte, serbische und österreichische Bullen, sowie serbisches Militär eingesetzt. Tausende Menschen warten über Tage hinweg bei unzureichender Versorgung unter freiem Himmel vor der Registratur auf ihre Papiere zum Transit durch Serbien (siehe dazu :: Dringender Aufruf zur Unterstützung: Situation in Presevo am 11. Oct 2015).

Alle registrierten Refugees bekommen eine schriftliche Erlaubnis, sich 72 Stunden in Serbien aufzuhalten. Kein Aufenthalt, sondern ein Transit ist gewollt.

Von der mazedonisch-serbischen Grenze (Presevo) werden tausende Menschen von privat-wirtschaftlichen Busunternehmen direkt, zum Teil auch über Belgrad, an den Grenzübergang zu Kroatien gefahren (Fahrpreis p.P. ca. EUR 50,-). Anweisungen für den Zielort bekommen die Busfahrer_innen nach eigener Auskunft direkt von der Regierung. Der derzeit einzige für Refugees offiziell geöffnete Grenzübergang befindet sich zwischen dem serbischen Berkasovo und dem kroatischen Bapska (auf die Situation in Berkasovo gehen wir weiter unten ein). Dieser sonst geschlossene Übergang wurde nach dem Chaos und den Ereignissen an der Grenze zwischen Sid (Serbien) und Tovanik (Kroatien) extra hierfür geöffnet (siehe :: Migrant crisis: Scuffles on Croatian border, BBC und :: #tovarnik).

Die Grenze müssen die Menschen zu Fuß passieren.

Auf Kroatischer Seite werden sie mit Bussen in ein riesiges Zeltlager bei Opatovac gebracht. Zwischendurch mussten auch Tausende die 18 km lange Strecke laufen. Opatovac ist ein sog. 'Hotspot', der von Militär, Polizei und Roten Kreuz betrieben und kontrolliert wird. An dieser Stelle verweisen wir auf Texte, die die Entwicklung und Situation in Opatovac darstellen (:: [Kroatien] PM zum Eingreifen des Militärs in Opatovac, Kurzbericht von der Serbisch-Kroatischen Grenze Tovarnik, Bapska, Opatovac).

Von diesem militärischen Lager aus werden die Leute per Bus und Bahn an die ungarische Grenze nach Botovo gefahren. Durch Ungarn hat die Regierung einen Transit nach Nickelsdorf (Österreich) eingerichtet. Siehe dazu z.B. :: "Fluchthilfe Ungarn/Deutschland - ein Bericht".


Zur Situation am Grenzübergang Berkasovo [SRB] - Bapska [HR]


Am 28.09. erreichten wir den Grenzübergang bei dem Dorf Berkasovo in Serbien. Es waren mehrere Hilfsorganisationen vor Ort (das Rote Kreuz, World Vision, Evangelische Humanitäre Hilfe aus der Nachbar_innenschaft, UNHCR, Ärzte ohne Grenzen sowie eine große Gruppe von Volunteers aus Tschechien). Zudem waren ein Regierungsbeauftragter, zwei Bullen und Presse anwesend. Es regnete ununterbrochen und die Wege verwandelten sich mit zunehmender Benutzung zu rutschigen Schlammpisten. Die ca. 15 Dixi-Toiletten waren völlig verdreckt und es gab keine Möglichkeit sich die Hände zu desinfizieren. Unter notdürftig aufgehängten Planen sammelten sich die in Reisebussen ankommenden Geflüchteten.

Wir bauten die Küche und einen Ausgabestand eingereiht neben dem Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen auf. Dort gaben wir ab der Ankunft durchgängig Stunden warmes Essen und Tee aus. Warmes Essen und Chai waren wichtig, da die anderen Hilfsorganisationen nur kalte abgepackte Nahrung (vor allem Fischkonserven, Äpfel und trockenes Weißbrot) verteilten und abends bzw. nachmittags ihre Sachen einpackten. Nachts kamen jedoch die meisten Geflüchteten an.

Bei Ankunft der Busse wurden die Geflüchteten meistens in Empfang genommen, notdürftig über die Situation informiert und konnten sich unter Zeitdruck und in Hektik an den Ständen versorgen. Meistens bekamen es nicht alle mit oder Infos fehlten völlig. Viele fragten an unserem Stand nach, in welchem Land sie sich befanden, wie weit die Grenze entfernt sei oder was passieren wird.

Danach mussten sie sich sammeln und wurden in Gruppen von höchstens 50 Personen eingeteilt und in Richtung Grenze geführt. Dies wurde vor allem von den tschechischen Volunteers gemacht, die ein Stück weiter auf dem Weg einen Versorgungspunkt mit u.a. Kleidung und Wasser aufgebaut hatten. An der Grenze selbst waren nur drei kroatische Grenzbullen, die die Leute in Gruppen haben passieren lassen.

Jede Menschengruppe wurden von den tschechischen Volunteers an die Bullen übergeben. Diese Reglementierung und enge Kooperation war das Resultat von einer Eskalation einige Tage zuvor. Mehrere tausend Menschen wollten gleichzeitig über die Grenze, worauf die kroatischen Bullen mit Schlagstöcken und Tränengas reagierten und mehrere Menschen durch sie im Gedränge verletzt wurden.

Auch wir haben Ansagen der Regierungsbeauftragten und Bullen Folge geleistet (Transpi abhängen), da wir es nicht riskieren wollten, nicht weiter kochen zu dürfen. Die Frage nach dem eigenen Handlungsoptionen führte zu Diskussionen bei uns: Wie weit darf eine Kooperation mit Staat und Bullen gehen? Was sind mögliche Konsequenzen bei Widerstand für Geflüchtete? Wie weit können wir gehen? Was wir jedoch selber bestimmen können, ist unser Verhalten gegenüber Geflüchteten. Wir lehnen jeglichen paternalistischen und autoritären Umgang ab, den wir häufig bei anderen Freiwilligen und Hilfsorganisationen beobachtet haben.

Die ganze Situation wurde durch den Regen und Schlamm erheblich erschwert, insbesondere für Menschen mit körperlichen Einschränkungen und kleine Kinder. Viele Menschen hatten nur dünne Kleidung an und kaum Gepäck dabei. Es gab nicht genügend Platz, sich unterzustellen und so wurden Leute nass und froren. Zwar wurden Regenponchos verteilt, diese reichten aber oft nicht für alle.

In der Nacht zum 30.9. hörten wir, daß ab dem nächsten Morgen 6000 Geflüchtete erwartet würden. Zwischen 5 und 7 Uhr morgens kamen dann ununterbrochen sehr viele Busse an. Danach nur noch vereinzelte nicht vollbesetzte Busse. Die Hilfsorganisationen bauten sich ab dem Morgen auf, auch die Presse war wieder vor Ort, aber man wartete in dieser Szenario vergeblich auf Geflüchtete. Es kursierte das Gerücht, dass Busse wieder nach Presevo (Mazedonische Grenze) zurückgeschickt wurden, um eine Registrierung durchzuführen.

Dann begannen die Diskussionen mit dem UNHCR der kroatischen Seite und beiden serbischen Regierungsbeauftragten, die unserer Küche vorwarfen, verantwortlich für Magen-Darm-Erkrankungen der Geflüchteten zu sein und uns aufforderten, die Ausgabe von Essen einzustellen. Es wurde uns so dargestellt, dass es zu Konflikten zwischen den beiden Staaten kommen würde, wenn in Serbien nichts dagegen unternommen werden würde, dass Menschen mit Krankheiten nach Kroatien einreisten. Der Hinweis, dass es nicht an der Küche liegen könne, da alle - auch die anderen Volunteers und Leute der Hilfsorganisationen - davon versorgt wurden, wurde ebenso wie die Wichtigkeit von warmen Essen und Tee für die Geflüchteten abgetan. Die anwesenden Ärzt_innen berichteten, dass die Menschen wegen der unzureichenden Versorgung in den Tagen zuvor bereits mit Magen-Darm-Erkrankungen ankamen. Dass Menschen seit Tagen kein richtiges Essen zu sich nehmen konnten, wurde mit völliger Ignoranz oder Sätzen wie von einer UNHCR-Mitarbeiterin kommentiert: "Wenn Leute fünf Tage nichts gegessen haben, und einen weiteren nichts bekommen, verhungern sie nicht gleich".

Später trafen Mitarbeiter_innen des Gesundheitsamtes aus Belgrad ein, die im Schlepptau der Bullen zur Küche kamen. Nach längerer Diskussion stellte sich heraus, daß sie "nicht zum Diskutieren, sondern zum Befehlen" erschienen waren und stellten uns ein Ultimatum von zwei Stunden den Ort zu verlassen. Wir entschlossen uns zu gehen. Auch alle anderen Organisationen mussten - teilweise in noch kürzerer Zeit - zusammen räumen, was dazu führte, daß viel Material und große Mengen Essen dort gelassen werden mussten.

Wie schon Leuten in Kroatien zuvor, machten auch wir die Erfahrung, dass staatliche Instanzen und das Rote Kreuz versuchen, selbstorganisierte Strukturen zu verdrängen bzw. zu kontrollieren. Freiwillige ohne Akkreditierung werden vom Roten Kreuz nicht mehr geduldet, ihnen der Aufenthalt und ihre Arbeit untersagt. Es soll keine emanzipatorischen Ansätze in der Unterstützung der Menschen auf der Flucht geben. Geflüchtete stellen für Staat und Rotes Kreuz eine anonyme Masse dar, die kontrolliert, gelenkt und verwaltet werden soll. Menschlichkeit und Solidarität haben dort nicht nur keinen Platz, sondern werden strategisch verhindert. Die immer mehr zunehmende Militarisierung war anhand der Eindrücke an den Grenzen und im Lager Opatovac deutlich sichtbar.

Unter diesen Aspekten messen wir der praktischen Solidarität und Unterstützung für Geflüchtete zwar eine wichtige Bedeutung zu, wollen aber nicht darin stehen bleiben. In unserem Handeln nimmt dies eine wichtige Rolle ein, aber die politische Arbeit sollte darüber hinaus Perspektiven (weiter-)entwickeln. Besonders wichtig finden wir die Vernetzung, Zusammenarbeit und Unterstützung von selbstorganisierten Strukturen (wie z.B. No Border Serbia) und der Kämpfe und Autonomie der Refugees. Diese gilt es zu stärken.

Unser Aufenthalt vor Ort an der Grenze hat uns in dieser Einschätzung bestärkt, aber auch unsere Fragen wie wir das umsetzen können, nicht beantwortet bzw. neu aufgeworfen.

In diesem Sinne:

No Charity, But Human Rights
Open The Borders
No One Is Illegal
No Nation, No Border

Artikel zuerst veröffentlicht am 12. Oct 2015 auf :: linksunten.indymedia.org. Dort finden sich weitere Fotos u.a. vom Grenzübergang Berkasovo-Bapska und dem militärischen Lager in Opatovac (HR).