Quellenangabe:
Update aus Presevo (mazedonisch-serbische Grenze) (vom 14.10.2015),
URL: http://no-racism.net/article/4927/,
besucht am 22.12.2024
[14. Oct 2015]
Das ist ein Bericht zur aktuellen Situation (Dienstagmorgen, 13. Oct 2015) aus Presevo an der mazedonisch- serbischen Grenze.
Momentan hat sich die Situation leicht entspannt, es hat aufgehört zu regnen (erst für Ende der Woche ist wieder Regen gemeldet). Die Registrierung der Menschen läuft momentan schneller und organisierter, Die Registrierung wird nun in zwei Schlangen statt nur einer organisiert, bei der die Schutzsuchenden ein 72 Stunden Aufenthaltspapier für Serbien bekommen (Ohne das Papier werden die Menschen an der serbisch-kroatischen Grenze nicht rübergelassen, es gibt einzelne Berichte von Leuten die vom dortigen Grenzort Sid wieder zurück nach Presevo zur Registrierung zurückgeschickt wurden).
Nach einer sehr sehr kalten Nacht (um die vier Grad) waren gegen sechs Uhr morgens keine Schutzsuchenden mehr im Camp, nur noch einige, die kein Geld für den Bus hatten. Es sind wegen Problemen an der Grenze zu Mazedonien keine Schutzsuchenden im Verlauf des Vormittags angekommen, werden aber in den kommenden Stunden erwartet. Laut einzelnen Medienberichten sind in den vergangenen vier Tagen in Presevo mehr als 24.000 Flüchtlinge registriert worden.
Durch die leichte Entspannung hatten die Volunteers vor Ort und auch die Küche, die die letzten Tage 24 Stunden durchgekocht hat, eine kurze Pause sich zu organisieren und vor allem ein paar Stunden auszuruhen. Es sind ein paar neue Volunteers aus der Schweiz angekommen. Die Küche wird in zwei Schichten mit tagsüber etwa sechs und nachts etwa vier Menschen gestemmt. Insgesamt sind zwischen 25-30 Freiwillige Helfer_innen vor Ort, ausgenommen der NGOs
Es kommt mit den Hilfsorganisationen aber auch unter den Helfer_innen aufgrund der angespannten und sehr überfordernden Situation immer wieder zu Spannungen. Die Hilfsorganisationen sind tagsüber stark präsent (nur im Camp) aber wenig kooperativ und stellen nachts ihre komplette Versorgung ein. Mittlerweile gibt es zwei Ärzteteams vor Ort, eines am Anfang der Schlange vor dem Camp, eines auf dem Platz hinter dem Camp, dort wo die Menschen in Busse Richtung Kroatien steigen. Innerhalb der Freiwilligenstrukturen gab es Meinungsverschiedenheiten über die Verteilung von Hilfsgütern, da einzelne Personen innerhalb der Freiwilligen sehr autoritär und gegenüber den NGOs und Polizei sehr zurückhaltend auftreten. Dabei geht es in erster Linie darum, den Menschen, die zum Teil barfuß in Kälte, Müll und Regen stehen unmittelbar zu helfen und sich nicht auf das Machtspiel mit den Behörden und unter den NGOs einzulassen, wodurch die Hilfe erschwert und verlangsamt wird. Immer wieder ist auch das politische Kalkül der Regierungen vor Ort spürbar, die auf Abschreckung und Einschüchterung setzen.
Es gibt jedoch immer mehr Infrastruktur vor Ort. Die Volunteers konnten mehrere Räume zum Aufwärmen einrichten, zum Beispiel ein leeres Geschäft und zwei Pavillons, wo Familien oder Schwangere schlafen und sich ausruhen können. Es werden Massen an Tee und auch rund um die Uhr Essen ausgegeben. Aus Zeltspenden wird vor der Registrierungsstelle mehr Schutz vor Regen und Kälte aufgebaut, wo sich die Menschen ausruhen können.
Die Taxifahrer_innen werden zunehmend aggressiv und drohen den Freiwilligen mit Gewalt, wenn sie unter den Schutzsuchenden weiterhin Informationen über ihre Abzocke verbreiten und die Leute von den Taxis abhalten, die sie für Wucherpreise irgendwohin in die Umgebung bringen und sie dort einfach rausschmeißen. Mit den Taxis können die Refugees aber ohnehin nicht weiterreisen. Die Taxifahrer haben den Infopoint der Freiwilligen am Ortseingang nach Presovo umringt, die Menschen bedroht und vertrieben. Daraufhin wurde die Polizei von einer Organisation eingeschaltet, sodass Taxifahrer_innen nun vermehrt kontrolliert werden.
Das Militär fährt weiterhin täglich mit Armeetransportern auf, in denen auf der Ladefläche Soldat_innen mit Gewehren sitzen und zeigt martialische Präsenz. Die Polizist_innen vor Ort sind weniger und auch kooperativer geworden, tatsächlich wurden Freiwillige von Beamt_innen gefragt, ob müllsammelnde Schutzsuchende deren Erlaubnis dafür haben.
Daraus entwickelt sich gerade das nächste und größte Problem: Auf den Straßen und im Camp hängt überall ein unfassbarer Gestank, überall liegt nach den regnerischen und chaotischen vergangenen Tagen Müll in Massen herum. Die fünf Dixietoiletten vor Ort sind völlig überfüllt, die Straße ist voller Müll und Schlamm, eine Lagerhalle ist wegen der Überflutung und dem Müll als Unterstand und Lager unbenutzbar geworden. Es gibt keine Leute vor Ort, die Müll sammeln könnten, da alle Freiwilligen völlig überlastet und die Schutzsuchenden zu entkräftet sind oder die Registrierungsschlange nicht verlassen dürfen.
Internationale und lokale Presse ist kaum vor Ort und viele Berichte der Situation vor allem in Serbien liefern eine verzerrte Darstellung der Versorgung vor Ort und den Anschein einer behördlich kontrollierten Normalsituation, während hunderte durchnässte und frierende Frauen, Männer und Kinder über 12 Stunden lang nur von einer Handvoll Volunteers mit dem Nötigsten versorgt im Stehen und Sitzen ausharren müssen, angeschrien, geschlagen und wie Tiere behandelt werden.
Es werden weiter dringend Unterstützer_innen gesucht, die die Menschen vor Ort entlasten und in den kommenden Tagen ablösen können. Die Volunteers in Presevo sind zum Teil seit mehreren Tagen fast ohne Schlaf rund um die Uhr am Arbeiten. Außerdem werden noch Volunteers gesucht, die in einem weiteren schwer zugänglichen Camp in Miratovac auf serbischer Seite helfen können.
Auch auf mazedonischer Seite ist die Lage nach wie vor angespannt. Dort kommen am Bahnhof in Tabanovtse kurz vor dem Grenzübergang nach Serbien in unregelmäßigen Abständen tausende Menschen auf einmal mit Zügen an, es gibt nur ein einziges Klo. Hilfsgüter werden kaum durch die Grenze gelassen. Vor allem nachts, wenn UNHCR und Rotes Kreuz weg sind, wird dringend Unterstützung benötigt, um die ankommenden Menschen mit dem Nötigsten wie warmer Kleidung, Wasser und Essen zu versorgen bevor sie zu Fuß Richtung serbischer Grenze laufen müssen. Die Situation wird sich die kommenden Tage und Wochen nicht entspannen, da weiter tausende Menschen auf dem Weg von den griechischen Inseln nach Europa sind, auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung.
Wenn ihr spenden wollt oder euch diese Woche Autos anschließen wollt, die für mehrere Tage runterfahren, kontaktiert ihr am besten den :: SOS Konvoi in Wien oder die :: IHA Help.
Für aktuellen Infos siehe :: Updates von den Grenzen - kommentierte Linkliste und Chronologie der Berichte auf no-racism.net.
Artikel zuerst veröffentlicht am 13. Oct 2015 auf :: linksunten.indymedia.org.