Quellenangabe:
Spielfeld - Niemandsland der Willkür (vom 07.11.2015),
URL: http://no-racism.net/article/4984/,
besucht am 22.12.2024
[07. Nov 2015]
Ein Bericht von "Die schweigende Mehrheit sagt JA" zur Situation am Grenzübergang Spielfeld am ersten November Wochenende.
Die Ankunft in Spielfeld wirkt surreal: Österreichfahnen von circa 400 Pegida-Österreich Anhängern und Anhängern der Identitären wehen uns entgegen, während in Sprechchören "Wir sind das Volk" und "Festung Europa, macht die Grenzen dicht" gerufen wird.
Rund 20 Polizisten begleiten den faschistischen Aufmarsch auf der gesperrten Straße in Richtung der slowenisch - österreichischen Grenze. Die 15 antifaschistischen Gegendemonstranten werden zur selben Zeit von etwa 30 Polizisten ein paar Meter vor einem Kreisverkehr, an dem die Demonstration vorbei geht, eingekesselt. Irgendjemand spielt auf einem Saxofon die österreichische Bundeshymne, aus dem Tankstellenbeisl schallt "Griechischer Wein" von Udo Jürgens.
Durchkommen, um helfen zu dürfen
Wir kommen zu fünft mit dem Auto an und wollen zur TWO, zur :: The Welcome Organisation gelangen, die in ihrer Suppenküche für die Ankommenden 24 Stunden täglich warmes Essen zubereitet. Der erste Exekutivbeamte versucht uns mit scharfen Worten weg zu scheuchen und will uns nicht durchlassen, da wir nicht auf seiner "offiziellen Liste" stehen.
Wir sehen uns gezwungen das Auto einige Kilometer weg abzustellen und umgehen zu zweit die Absperrung - durch das Gestrüpp und über die Bahngleise - da wir nicht mehr warten wollen. Nach mehreren Telefonaten werden dann endlich auch die anderen drei HelferInnen von der Exekutive hineingelassen.
Am Grenzübergang angekommen brauchen wir etwas Zeit um uns zu orientieren: überall stehen Zäune, Absperrungen, Gitter, etliche Einsatzkräfte von Polizei und Bundesheer riegeln das Gebiet großräumig ab. Hinter dem ersten Zaun, noch auf slowenischer Seite, warten ca. 400 Menschen, dicht an die Gitterstäbe gedrängt, darauf auf die österreichische Seite kommen zu dürfen.
Vor ihnen steht ein Panzer, aus dessen Lautsprechern "Don't Push!" über das ganze Areal gerufen wird. Vier Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma, die normalerweise als Türsteher in Nachtclubs arbeiten, übersetzen auf Arabisch. Einer von ihnen erzählt mir, dass sie versuchen, die Kinder und die Alten aus der Masse nach vorne zu holen.
Staatlich produzierte Massenpanik
Immer wieder müssen sie auch Leute, die im Gedränge kollabieren, aus der Menge rausziehen. Ein Anderer erzählt mir, dass gestern auf der slowenischen Seite eine Frau ihr Kind tot geboren hat, dass er denkt, es sei wegen der vielen Tritte, die man als Flüchtling im Laufe der Zeit immer wieder abbekommt.
Der enge Korridor, den die Exekutive geschaffen hat, führte im Laufe der letzten Tage immer wieder zu Panik bei den Schutzsuchenden, vor allem dann, wenn auf slowenischer Seite eine größere Menschenmasse durchgelassen wird und sich so immer wieder ein Rückstau von mehr als 1000 Leuten an dieser Stelle bildet.
Warmes Essen dank Freiwilligenhilfe
"Ich brauche drei Leute, die Kartoffeln schneiden. Schnell, jetzt kommen viele!", ruft der Koch aus der :: Welcome Kitchen.
Freiwillige HelferInnen kochen rund um Uhr, um den Ankommenden, die seit Stunden auf ein Weiterkommen warten, eine heiße Mahlzeit anbieten zu können. Die Temperaturen können in der Nacht bereits unter Null Grad fallen. Der heiße Linseneintopf bringt das verschnupfte Mädchen vor mir dazu zu lächeln, der geschwächte alte Mann hinter ihr sagt drei mal "Thank you!".
"Das BMI sagt, dass hier Tee, Bananen und Brot reichen müssen. Das ist zuwenig. Viele Menschen haben seit Tage nichts warmes gegessen", sagt der Küchenchef, der müde aber entschlossen die gespendeten Kartoffelsäcke stapelt.
Sind die Refugees endlich auf österreichischer Seite angekommen, heißt es wieder anstellen: für Essen, für einen Schlafplatz in den drei bereitgestellten Zelt, die wie ein leere Bierzelt auf Asphalt wirken.
Erinnerungen an Röszke
Wenn keine Busse mehr fahren, müssen sie dort am Boden schlafen, Feldbetten gibt es keine. Oder sie schlafen in den vollkommen verdreckten kleineren "Ruhezelten", die gleich neben den Dixi Klos stehen. Diese sind gerade mit einem Hochdruckreiniger "gereinigt" worden, da sie jedoch etwas höher als die Zelte stehen, rinnt das Wasser, vermischt mit Resten von Fäkalien die durch die Hochdruckreinigung mit geschwemmt werden, in Richtung der Zelte. Es erinnert an ein verdrecktes Festivalgelände nur mit dem Unterschied, dass die Menschen hier nicht entscheiden können, wann sie genug von der Musik haben und gehen.
Einige Polizisten tragen Schutzmasken um sich vor dem Gestank zu schützen, einer von ihnen fordert mich auf, sofort mit dem Filmen aufzuhören. Wir fühlen uns wie in einem Gefängnis, besonders dann, als ich Isaa aus Pakistan sage, dass er leider keine Zigaretten kaufen gehen kann, auch wenn die Tankstelle in Sichtweite ist.
Ich versuche seit Stunden für Ahmed aus Syrien seinen Freund in Österreich zu erreichen. Er will ihn fragen wo er hinfahren soll, weil er nicht weiß, wie es weitergeht. Mittlerweile haben sich vier Leute in den Hotspot eingeloggt, den ich mit meinem Mobiltelefon temporär zur Verfügung stellen kann. Immer mehr Leute fragen mich nach WLAN, um ihre Familien kontaktieren zu können.
Alle fragen mich, wohin die Busse fahren, aber auch ich kann das nicht herausfinden. Das Einzige was ich sehe ist, dass hinter dem Zelt in kleinen, mit Gittern abgetrennten rechteckigen Bereichen die Menschen seit Stunden am kalten Asphalt in Decken eingehüllt sitzen und warten, damit sie eine Weiterfahrt bekommen. Endlich sagt mir ein Übersetzer, dass die Busse nach Graz und an die Deutsche Grenze fahren, aber sie wissen nicht genau, wie lange noch.
Viele der Refugees versuchen auch in das Zelt des Roten Kreuzes zu kommen, aber vergeblich, da die Polizei sie wieder wegschickt. Wenn ich sie zu den Beamten begleite und erkläre was sie brauchen, geht es doch und sie bekommen Schmerzmittel und Wundsalben.
Ein freiwilliger Helfer sagt mir, dass er eine Eskalation der Lage befürchtet, wenn das Wetter umschlägt und es zu regnen beginnt.
Heimreise
Gegen drei Uhr nachts treten wir die Heimreise an. Zwei unserer neuen syrischen Freunde wollen mit uns nach Wien kommen, um von dort aus in der Früh den Zug nach Norwegen zu nehmen. Wir werden von einem Soldaten des Bundesheeres aufgehalten und darauf hingewiesen, dass das ohne Genehmigung der Polizei nicht erlaubt ist. Das Wort Schlepperei fällt.
Ich finde einen Polizeibeamten, der mich begleitet und schließlich seinem Kollegen sagt, dass es spät sei und keine Busse mehr fahren: "Wir machen eine Ausnahme".
Wir sind ihm unendlich dankbar für diese menschliche Entscheidung, da wir den ganzen Tages das Gefühl hatten, dass das Motto hier "Kontrolle vor Hilfe" lautet.
Unsere Forderungen:
- Wir fordern mehr Zelte und Busse in Spielfeld bevor das Wetter umschlägt und es zu einer humanitären Katastrophe kommt
- Wir fordern den Einsatz der Bundesheer-Küche
- Wir fordern die Entschärfung des Durchgangskorridors
- Wir fordern freie Wege über die Grenze
- Wir wollen keinen Zaun in Spielfeld
- Wir wollen freie Grenzen und Willkommenskultur