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Quellenangabe:
Wissen über den eigenen Rassismus (vom 12.10.2001),
URL: http://no-racism.net/article/50/, besucht am 24.04.2024

[12. Oct 2001]

Wissen über den eigenen Rassismus

...als Voraussetzung antirassistischen Handelns. Wer gegen Rassismus handeln will, muß ihn auf allen Ebenen, wo er existiert, produziert oder zumindest erhalten wird, erkennen.

von Gamze Ongan

Verschiedene Existenzbedingungen und Ausdrucksformen des Rassismus bedingen jeweils bestimmte Formen der Analyse und der Intervention. Diese machen aber nur dann Sinn, wenn der Zusammenhang zwischen den Handlungsebenen nicht außer acht gelassen wird.

Eine spezielle Form der antirassistischen Arbeit sind die sogenannten Antirassismustrainings.
Diese wurden in den siebziger Jahren als "racial awareness trainings" in den USA entwickelt und werden in veränderten Formen seit Anfang der achtziger Jahre in den Niederlanden und seit etwa 1990 in der BRD praktiziert. Seit 1993 werden Antirassismustrainings auch in Österreich angeboten.
Die Methode, die sich hauptsächlich an dem Antirassismustraining von Lida van den Broek orientiert, wurde unter BeRücksichtigung der speziellen Österreichischen Situation und der neueren Ergebnisse der Rassismusforschung modifiziert und von einem Training zu einem Seminar mit eingebautem Trainingsteil entwickelt.
Die Seminare beinhalten folgende Schwerpunkte:
- Training zur Sichtbarmachung der rassistisch geprägten Sozialisation
- Theoretische Auseinandersetzung mit der Geschichte und den heutigen Erscheinungsformen des Rassismus, der nicht mehr in seiner unmißverständlichen Form auftritt, sondern durch ein neues Vokabular und hinter dem Aushängeschild des "Lobes der Differenz" versucht, Ausgrenzung von Personengruppen zu fordern und moralisch zu legitimieren
- Erproben von Handlungsweisen, um rassistischen Situationen im Alltag wirksam entgegentreten zu können.

Wie jede Aktivität, die sich gegen den Rassismus richtet, bergen auch Antirassismustrainings bestimmte Gefahren in sich und öffnen sich somit der Kritik. Das Gemeinsame an der Kritik an Antirassismustrainings besteht im Vorwurf, diese würden von der Annahme ausgehen, daß Rassismus ein Problem der Individuen sei und ihn auf der Ebene der Psychologisierung und Selbsterfahrung bekämpfen, ohne dabei die gesellschaftliche Verflochtenheit sichtbar werden zu lassen. Das Gesamtproblem würde nicht wirklich durchdrungen und verarbeitet.

Sowohl die rassistischen verhältnisse, als auch der rassistische Diskurs bestehen ohne Zweifel auf allen gesellschaftlichen Ebenen vom Alltag bis hin zur Politik und Gesetzgebung. Das rassistische Denken ist somit ein "selbstverständlicher" Bestandteil des eigenen Denkens. Zur Veranschaulichung dieser Komplexität eignet sich das von Margret Jäger vorgeschlagene Bild von einem Netz, in das jede/jeder verstrickt ist. Ohne sich der eigenen Verstricktheit bewußt zu werden, läuft jede Art antirassistischer Aktivität Gefahr, wirkungslos zu bleiben, ja sogar das Gegenteil des Beabsichtigten zu produzieren. Genau dieser Aspekt der eigenen Verstricktheit in den rassistischen Diskurs ist der Ausgangspunkt der Antirassismusseminare. Die Trainings sind eine von vielen Methoden, die im Kampf gegen den Rassismus eingesetzt werden können. Doch sollte die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, wie sie im Rahmen dieser Trainings stattfindet, am Anfang oder parallel zu weiteren Aktivitäten geschehen. Weder Antirassismustrainings noch andere Methoden antirassistischer Arbeit können für sich allein den Anspruch erheben, das alleinige Rezept gegen den Rassismus zu sein. Es wäre auch zu einfach, ein Phänomen wie den Rassismus, der über vierhundert Jahre Zeit gehabt hat, sich im kollektiven Gedächtnis der Menschheit zu verankern und sämtliche gesellschaftliche und politische Institutionen zu durchdringen, in ein Paar Jahrzehnten abzuschaffen, "wegzutherapieren".

Die wichtigsten Ziele der Antirassismusseminare sind:
1) das bewußtwerden der Verstricktheit jeder/jedes Einzelnen in den Rassismus;
2) die Sensibilisierung für die versteckten, unterschwelligen Erscheinungsformen des Rassismus und seine gesellschaftliche Verflochtenheit;
3) die Erkenntnis, daß die Ursache des Rassismus nicht in der "Andersartigkeit" seiner Opfer liegt, weil diese permanent neu konstruiert werden und im Prinzip austauschbar sind. Dem Rassismus mit AufKlärungsarbeit über seine Opfer zu begegnen wäre nichts anderes, als den Argumenten des rassistischen Denkens mit Gegenargumenten entgegenzutreten und sich somit auf dem selben Terrain zu bewegen;
4) daß es in der antirassistischen Arbeit nicht (nur) um fremde Interessen geht, sondern um ureigene, nämlich um das demokratische Selbstverständis der Gesellschaft, in der jede/jeder lebt.

...ursprünglich in der Zeitschrift Frauensolidarität erschienen.