Quellenangabe:
Nationalen Konsens brechen - Gegen Festung Europa und ihre Fans (vom 08.03.2016),
URL: http://no-racism.net/article/5040/,
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[08. Mar 2016]
Aufruf der autonomen antifa w zum linksradikalen Block auf der Demo "Flüchtlinge willkommen! Nein zur Festung Europa!" am 19. März und zu Aktionen gegen den rassistischen FPÖ-Aufmarsch am 14. März 2016 in Wien!
Österreich im Jahr 2016: Die österreichischen Regierungsparteien der konservativen ÖVP und der Sozialdemokraten haben eine "gemeinsame Linie" in der sogenannten "Flüchtlingskrise" gefunden und überbieten sich seitdem mit immer restriktiveren Vorschlägen zum Umgang mit Flüchtenden. Man müsse die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung ernst nehmen und den Zuzug von Flüchtenden stoppen. Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) meint: "Wir werden in nächster Zeit sicher keine Marokkaner aufnehmen können". Alle scheinen sich einig zu sein, dass Österreich an die Grenzen seiner Belastbarkeit gelangt sei. Das Boot ist voll. Der "Kurswechsel" der Regierung ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Diese verlieren sich gerade in einem hyperaktiven Kundgebungs- und Demonstrationsmarathon. Beinahe täglich finden rassistische und rechtsextreme Kundgebungen in ganz Österreich statt, manchmal mit bis zu 500 Teilnehmenden. Diese Entwicklung ist neu für Österreich. Die rechtsextreme FPÖ, welche gute Kontakte zum Neonazismus pflegt und rechts neben sich keinen Platz lässt, konnte den Rassismus und Autoritarismus für ihre Wahlerfolge kanalisieren. Auf der Straße war der Rechtsextremismus schon lange nicht mehr so präsent wie heute, dafür aber immer schon im Parlament. Nun drängen neofaschistische bis neonazistische Gruppen auf die Straße, auch weil sie den Rückenwind spüren den das gesellschaftliche Klima in Österreich erzeugt.
Während Rechtsextreme auf der Straße gegen Migrant_innen hetzen und von ihrer ethnisch reinen Volksgemeinschaft träumen, erfüllen die Regierungsparteien den Herzenswunsch der FPÖ-Anhänger_innen und setzen neben einer rechtswidrigen Obergrenze für Geflüchtete auch eine Untergrenze (!) für Abschiebungen. So sollen mehr als 50 000 Menschen abgeschoben und dafür Hercules-Militärflugzeuge eingesetzt werden. Diese Zugeständnisse an den rassistischen Mob führen auf der einen Seite dazu, dass menschenverachtenden Positionen Legitimität verliehen wird und auf der anderen Seite Rechtsextreme immer härtere Forderungen stellen. Dieses Ping-Pong zwischen Rechtsextremen und Regierung führt in weiterer Folge zu einer Radikalisierung des Diskurses. Durch diesen fühlen sich rassistische und rechtsextreme Gewalttäter_innen im Recht und als "Vollstrecker des Volkswillens", mit lebensgefährlichen Folgen für ihre Opfer. Rassistische Mobilmachungen auf der Straße haben ein nicht zu unterschätzendes Politisierungspotential das die Hemmschwelle zu tätlichen und gefährlichen Angriffen entscheidend herabsetzt. Um den rassistischen Mob von heute von den Pogromen von morgen abzuhalten sind antifaschistische Aktionen also bitter nötig! So auch am 14. März in Liesing. An diesem Tag ruft die FPÖ zu einer Kundgebung gegen eine Geflüchtetenunterkunft auf, bei der die prominentesten Parteimitglieder, wie etwa Heinz- Christian Strache oder Johann Gudenus Reden halten werden.
Die Funktion von Abschottung in kapitalistischen Gesellschaften besteht im vergeblichen Bemühen, sich gegen die Migrationsbewegung nach Europa zu stemmen. Die Mitverantwortung europäischer Staaten und des globalen Kapitalismus für die Ursachen von Migration und Flucht, etwa durch Waffenexporte oder Überfischung großer Gebiete wird hierbei geflissentlich verschwiegen. Nur einige Beispiele für die Bestrebungen der Abschottung sind etwa, die Errichtung europäischer Abschiebelager an den EU-Außengrenzen; der Ausbau der militarisierten Abwehr von Flüchtenden durch Wärmebildkameras, meterhohe Zäune, Bewegungsmelder, Pfefferspraykanonen; die Ausstellung von "europäischen Rückführpassierscheinen" beim Fehlen von Pässen; das Ausspielen von Entwicklungshilfe gegen die Rücknahme von Geflüchteten oder die Ermächtigung von Frontex, künftig eigene Abschiebeaktionen durchzuführen. Diese scheinbare Handlungsfähigkeit deckt den Mantel des Schweigens aber nur unzureichend über die Ohnmacht des Staates angesichts der Autonomie der Migration. Diese schafft Fakten, denen sich auch die Politik nie entziehen konnte oder kann. Damit beugt sich die Politik der Realität, die von den Flüchtenden selbst geschaffen wurde. Vor diesem Hintergrund erscheinen die jetzt täglich aufploppenden Vorschläge zu weiteren Restriktionen nicht mal mehr als Symbolpolitik als vielmehr als Bankrotterklärung.
Zudem nehmen die Möglichkeiten ab legal nach Europa einzureisen und dann dort mit einem legalen Status zu leben. Damit fungiert Abschottung auch als eine systematische Entrechtung der Betroffenen. Dies ist eine Voraussetzung für die europäische Schattenwirtschaft, in der illegalisierte Migrant_innen auf Obst- und Gemüseplantagen oder im Pflegebereich ohne Anspruch auf Rechte zu arbeiten gezwungen sind. Die ideologische Basis hierfür, ist die Trennung von Bürger- und Menschenrechten. Abschottung und Selektion gehören im Kapitalismus zusammen. Nach Verwertbarkeitskriterien soll Migration "gemanagt" werden, die Überflüssigen werden entrechtet und abgeschoben.
Eine gegen Abschottung eingestellte Öffentlichkeit kann erst entstehen, wenn politische und rechtliche Praktiken infrage gestellt werden und Widerstand geleistet wird. Die aktive Fluchthilfe und Konvois aus Wien waren hierfür ein gutes Beispiel. Es sind die Flüchtenden selbst, die dafür sorgen, dass sich die bürgerliche Wohlfühlzone beständig mit der eigenen Abschottung auseinandersetzen muss. Mehr noch: durch das Bestehen auf ihre Rechte und deren Einklagbarkeit, wie etwa bei Abschiebungen, bedrohen sie die Konstruktion des Nationalstaates als Kollektiv von Staatsbürger_innen. Das ist unser Anknüpfungspunkt und unsere Möglichkeit, sie in ihrem Kampf bei der Überwindung der Trennung von Hilfsbereitschaft - aus der nichts folgt - und politischer Solidarität zu unterstützen. Das Brechen der Regeln und Überwinden der Grenzen durch Refugees ermöglicht es uns erst, ihren Kampf in die Öffentlichkeit zu tragen und mit unseren Zielen zu verknüpfen. Die sichtbaren Kämpfe der letzten Jahre machen deutlich, dass Geflüchtete eine eigene Stimme haben und diese auch zu nutzen wissen. Damit ist es möglich, die bisher individualisierten Kämpfe gegen Abschiebungen mit kollektiven Maßnahmen zu erweitern, zu unterstützen und transnational zu vernetzen.
So fest der nationale Konsens auch scheint, er ist angreifbar. Denn die Bewegungsfreiheit von Menschen institutionell einzuhegen, ist ein politischer Kraftakt. Er braucht Kollaborateur_innen und jedes Glied der Abschiebekette ist eine mögliche Bruchstelle. An jedem Hebel kann sich gegen die Sortierung von Menschen und ihre Misshandlung in Namen staatlicher Bevölkerungskontrolle entschieden werden, überall kann Sabotage greifen. Von den politischen Parteien, die schreiendes Unrecht in Gesetze gießen, über Amtsärzt_innen, Cops und Pilot_innen, die mitspielen müssen, bis hin zu den Unternehmen, die an der Kasernierung von Geflüchteten, dem Bau von Grenzzäunen und den Abschiebungen verdienen lässt sich ansetzen und Druck aufbauen!
Angesichts der Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses um Flucht und Migration gibt es für uns keinen anderen Ausweg, als die Flucht nach vorn: An der Abschaffung des Kapitalismus zu arbeiten!
Kapitalistische Verwertungslogik und (nationalstaatliche) Ausgrenzung bedingen sich gegenseitig. Auch Fluchtursachen wie Hunger, Krieg und Elend (ganz zu schweigen von Perspektivlosigkeit) lassen sich nicht im Bestehenden überwinden. Zudem beweisen die am Kapitalismus verrückt gewordenen Freund_innen der "Österreich zu erst"-Fraktion, dass diese unvernünftig eingerichtete Gesellschaftsordnung zum Brutkasten menschenverachtender Ideologien verkommen ist. Gesellschaftliche Verteilungskämpfe werden rassistisch aufgeladen. Durch Konstrukte wie "Volk", "Geschlecht" und "Kultur" sollen Privilegien und Einschluss für die Einen, und Entrechtung und Ausschluss für die Anderen gerechtfertigt werden. Die Nation scheint vielen, im Bewusstsein der eigenen Überflüssigkeit und mit Abstiegsängsten konfrontiert, als sicherer Hafen. Doch die wohlige Wärme des nationalen Kollektivs ist nichts als Illusion. Menschen, die sich den Herrschaftsimperativen des Staates und den Verwertungsimperativen des Kapitals nicht unterordnen wollen oder können, fallen raus. Der völkische Nationalismus beantwortet die undurchschauten gesellschaftlichen Zwänge und Dynamiken in dem er blind um sich schlägt. Ständig fühlt er sich von inneren und äußeren Feinden des "Volkes" verraten. Die von ihm ins Feld geführte Vorstellung einer Einheit von Staat und "Volk" ist nur durch Gewalt und Vernichtung zu haben. Wir als radikale Linke stehen dem gegenüber für ein gutes Leben für alle Menschen jenseits von Konkurrenz und Herrschaft.
14. März 2016 :: Gegen den FPÖ-Aufmarsch in Liesing!
19. März 2016 :: linksradikaler Block auf der Großdemonstration