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Quellenangabe:
Rechte statt Verbote, statt Restriktionen und (Kunden) Bestrafungen! (vom 02.06.2016),
URL: http://no-racism.net/article/5134/, besucht am 28.03.2024

[02. Jun 2016]

Rechte statt Verbote, statt Restriktionen und (Kunden) Bestrafungen!

Sexarbeiter_innen sind nicht per se Opfer! Presseaussendung zum internationalen Hurentag am 2. Juni 2016 von sexworker.at, LEFÖ, maiz, SXA-Info, PiA und iBUS.

Den 2. Juni, den Internationalen Hurentag, möchten wir als Beratungsstellen für (migrantische) Sexarbeiter_innen gemeinsam mit der Selbstorganisation sexworker.at erneut nützen, um auf rechtliche Missstände und die prekäre Arbeitssituation von Sexarbeiter_innen hinzuweisen.

Die Selbstorganisation und Plattform sexworker.at, die Vereine LEFÖ (Wien), maiz (Linz), SXA-Info (Graz), PiA (Salzburg) und iBUS (Innsbruck) fordern ein Ende der gesellschaftlichen Doppelmoral, der Diskriminierung von Sexarbeiter_innen und damit einhergehend ein kritisches Hinterfragen aktuell hegemonialer Diskurse über Sexarbeit und Sexarbeiter_innen. Sexarbeit soll endlich anderen Erwerbstätigkeiten gleich gestellt werden! Auf politischer Ebene muss die Thematik ohne moralische Vorbehalte verhandelt werden, um Sexdienstleister_innen den lange überfälligen rechtlichen Schutz zu garantieren. Sexarbeiter_innen müssen in diese Diskussionen miteinbezogen werden, denn sie sind die Expert_innen!

In medialen und politischen Debatten wird Sexarbeit vorwiegend mit Frauenhandel und Zuhälterei in Verbindung gebracht und somit permanent die "Frage der Freiwilligkeit" gestellt. Die starke Vermischung der Debatten über Sexarbeit und Menschen- bzw. Frauenhandel verzerrt jedoch reale Verhältnisse und macht Sexarbeiter_innen (per se) zu Opfern. Dass jedoch nicht Sexarbeit an sich ein Nährboden für Arbeitsausbeutung ist, sondern restriktive Migrationsregelungen, fehlende Arbeitsrechte und ein beschränkter und ungleichberechtigter Arbeitsmarktzugang für Migrant_innen diese begünstigen, wird meist ausgeblendet.

Es schützen weder Verbote, wie z.B. das Sexkaufverbot in Schweden, welches mit der Bestrafung von Kund_innen einhergeht, noch unverhältnismäßige Vorschriften und Restriktionen vor Ausbeutung, da diese zu einer Illegalisierung und Prekarisierung der Tätigkeit führen und Diskriminierung und Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen bedeuten. Die häufig, auch von politischer Seite artikulierte Forderung nach Schutz für Sexarbeiter_innen, widerspricht somit den rechtlichen Rahmenbedingungen in durchwegs allen europäischen Ländern. Denn, so ein zentraler Slogan international aktiver Sexarbeiter_innen-Selbstorganisationen: "Only rights can stop the wrongs!"

Die Viktimisierung von Sexarbeiter_innen hingegen ist Teil ihrer Stigmatisierung, da ihnen oftmals jegliche Handlungsmacht und Selbstbestimmung abgesprochen wird! Wir fordern daher Rechte - denn je mehr Rechte und legale Arbeitsmöglichkeiten, umso mehr Selbstbestimmung kann garantiert werden. Wir positionieren uns gegen moralische und voyeuristische Perspektiven, die Sexarbeiter_innen viktimisieren und deren Meinungen und Perspektiven ignorieren!

In diesem Zusammenhang betonen die Organisationen abermals ihre langjährigen Forderungen:



2. Juni 1975: Proteste und Kirchenbesetzung von Sexarbeiter_innen in Frankreich

Vor 41 Jahren besetzten über hundert Sexarbeiter_innen die Kirche Saint-Nizier in Lyon. Unter dem Slogan "Der Staat ist der größte Zuhälter" protestierten sie in erster Linie gegen die schikanöse Polizei, die ihnen die Arbeit fast verunmöglichte und mit willkürlichen Strafen wegen des "Anwerbens" von Kunden viel Geld abnahm. Zeitgleich riefen die Prostituierten einen Streik aus, der sich auch auf andere französische Städte ausweitete. Nach acht Tagen ließ der Innenminister die Kirche räumen, mit der Begründung, die Frauen würden allesamt von Zuhältern kontrolliert, die auch die Anstifter dieser Aktion seien. "Es reduziert damit einen Frauenkampf, der weltweite Schlagzeilen gemacht hat, zu einer Rangelei zwischen Männern: hier 'Zuhälter' - da 'Ordnungskräfte'", schreibt Pieke Biermann in ihrem Buch "Wir sind Frauen wie andere auch! Prostituierte und ihre Kämpfe". Diese Strategie ist noch heute üblich, um Sexarbeiter_innen, die sich öffentlich äußern, zu diffamieren und Sympathien in der restlichen Bevölkerung zu zerstreuen.


Quelle :: sexworker.at, 02. Jun 2016.