Quellenangabe:
Libyen: Ärzte ohne Grenzen fordert sofortige Freilassung (vom 02.09.2017),
URL: http://no-racism.net/article/5240/,
besucht am 22.12.2024
[02. Sep 2017]
Hilfsorganisation fordert sofortige Freilassung von willkürlich eingesperrten Flüchtlingen und Migrant_innen aus menschen- unwürdigen Internierungslagern in Libyen.
Teams der Organisation leisten seit mehr als einem Jahr medizinische Hilfe in sieben Internierungslagern in Tripolis, welche offiziell unter Kontrolle des Innenministeriums der international anerkannten Einheitsregierung stehen. Insgesamt haben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen 16 solcher Gefängnisse besucht. Mit der Publikation:: "Human Suffering - Inside Libya's migrant detention centers" dokumentiert die Organisation in Fotos und Texten die entsetzlichen Haftbedingungen.
"Die Situation in den libyschen Internierungszentren ist verheerend. Es ist inakzeptabel, dass die Europäische Union die libyschen Behörden dabei unterstützt, Menschen unter diesen Bedingungen willkürlich einzusperren und an der Flucht aus dem Bürgerkriegsland zu hindern", sagt Mario Thaler, der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich. "Die Internierungszentren in Libyen befinden sich unter der Zuständigkeit verschiedener Gruppierungen, darunter bewaffneter Milizen und krimineller Banden, die keinen Gedanken daran verschwenden, ob die Grundrechte der Festgehaltenen gewahrt werden. Dass nun immer mehr Menschen dort ohne Grund festgehalten werden, ist eine direkte Auswirkung der Bestrebungen europäischer Politiker und Politikerinnen, die eine Abschottung Europas anstreben, ohne den Betroffenen in Libyen jedoch eine Alternative zu bieten. Wir fordern Bundeskanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz dringend dazu auf, die libyschen Behörden zur Freilassung der willkürlich eingesperrten Männer, Frauen und Kinder zu drängen."
Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln in den Internierungszentren jeden Monat mehr als tausend willkürlich inhaftierte Flüchtlinge und Migrant[_inn]en. Ihre häufigsten Beschwerden sind Atemwegsinfekte, Durchfallerkrankungen, Harnwegsinfektionen, Krätze und Befall durch Läuse. Viele der Lager sind vollkommen überbelegt. Die Menschen haben oft nicht einmal genug Platz, sich zum Schlafen hinzulegen. Es gibt wenig Tageslicht und kaum Durchlüftung. Immer wieder haben die Gefangenen nichts zu essen bekommen, so dass selbst Erwachsene an Mangelernährung leiden. Einige dieser Patienten und Patientinnen müssten sofort ins Krankenhaus gebracht werden.
"Den Gefangenen wird in den Internierungslagern jede Menschenwürde abgesprochen. Sie werden misshandelt und haben keinen Zugang zu medizinischer Hilfe", beschreibt Sibylle Sang, medizinische Leiterin der zuständigen Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen. "Unsere Teams sehen täglich, wie viel unnötiges Leid den Menschen zugefügt wird, indem man sie unter solchen Bedingungen einsperrt. Wir können kaum etwas tun, um dieses Leid zu lindern."
Im Zustand völliger Gesetzlosigkeit in Libyen gibt es kaum eine Aufsicht über die Internierungslager, geschweige denn eine Regulierung. Selbst grundlegende gesetzliche und verfahrensrechtliche Maßgaben zum Schutz vor Folter und Misshandlung werden nicht beachtet. Es gibt keine formale Registrierung der Eingesperrten und keine Dokumentation von Inhaftierungen und Entlassungen. Sobald Menschen in einem Internierungslager eingesperrt werden, kann niemand herausfinden, was mit ihnen geschieht. Das macht auch eine längerfristige Behandlung von Patienten und Patientinnen äußerst schwierig. Von einem Tag auf den nächsten werden Gefangene in andere Internierungslager verlegt oder an unbekannte Orte gebracht. Manche Betroffene verschwinden einfach spurlos. Die medizinische Hilfe, die Ärzte ohne Grenzen unter diesen Umständen leisten kann, wird dadurch extrem behindert.
Der Zugang zu Internierungslagern ist zudem eingeschränkt, wenn es in Tripolis zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Milizen kommt. Selbst die Kontrolle über Internierungslager ändert sich manchmal über Nacht, sodass der Zugang der medizinischen Teams zu ihren Patienten und Patientinnen mit den neuen Machthabern erst wieder ausgehandelt werden muss. Ärzte ohne Grenzen hat wegen der anhaltenden Gewalt und Unsicherheit in Tripolis keinen Zugang zu zahlreichen Internierungslagern.
Um das Leid der Flüchtlinge und Migrant[_inn]en in Libyen zu lindern, reicht der Ansatz der EU, einfach mehr Geld zu zahlen, nicht aus. Dieser verengte Fokus auf eine Verbesserung der Haftbedingungen läuft Gefahr, ein System willkürlicher Inhaftierung ohne jegliche rechtsstaatliche Kontrolle zu legitimieren und zu verstetigen und die Menschen somit auf Dauer Gefahr und Ausbeutung auszusetzen.
Die Web-Publikation "Human Suffering - Inside Libya's migrant detention centers" kann :: hier abgerufen werden.
A new group of detainees enters Abu Salim detention centre. © Guillaume Binet/Myop
Mother and child in Sorman women's detention centre. © Guillaume Binet/Myop
Ärzte ohne Grenzen leistet seit einem Jahr medizinische Hilfe für willkürlich inhaftierte Flüchtlinge und Migrant[_inn]en in Tripolis. Darüber hinaus leisten Teams medizinische Hilfe in vier Internierungslagern in der Region Misrata. Pro Monat behandeln sie dort etwa 100 Patient[_inn]en und überweisen etwa zwölf Patient[_inn]en, die eine umfassendere Behandlung benötigen, in Gesundheitseinrichtungen der Region. Zuletzt wurden mobile Kliniken in Misrata und südlich der Stadt für Flüchtlinge und Migrant[_inn]en außerhalb der Internierungslager eingerichtet.
Seit 2011 unterstützt die Organisation medizinische Einrichtungen in Libyen durch Medikamente und medizinisches Material und verschiedentlicher Hilfe. In Bengasi behandelt ein Team Kinder und Frauen, insbesondere Schwangere, und leistet psychologische Hilfe.
Pressemitteilung von Ärzte ohne Grenzen vom 01. Sep 2017, übernommen von :: aerzte-ohne-grenzen.at.