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Quellenangabe:
Mit Yachten gegen die Blockade der Seenotrettung (vom 14.07.2018),
URL: http://no-racism.net/article/5392/, besucht am 28.03.2024

[14. Jul 2018]

Mit Yachten gegen die Blockade der Seenotrettung

Seit private Organisationen vor einigen Jahren die fehlende Verpflichtung der europäischen Staaten zur Seenotrettung im Mittelmeer übernahmen, werden sie von Politiker_innen behindert und diffamiert. Nachdem ihnen nun u.a. das Anlegen an sicheren Häfen verwehrt wird, sollen Yachtbesitzer_innen dazu aufgerufen werden, bei den Rettungsaktionen zu helfen.

Seenotrettung ist eine internationale Verpflichtung. Menschen die sich in Seenot befinden, sich selbst zu überlassen, ist ein Verbrechen. Doch dies hält die verantwortlichen Politiker_innen in Europa nicht davon ab, genau die zu tun: Mit allen Mitteln dafür zu sorgen, dass möglichst wenigen Menschen geholfen wird. Die Beweggründe und das Ziel dieser Politik ist allgemein bekannt: Rassismus als bestimmende Ideologie in Europa bietet die Grundlage für dieses menschenverachtendes Vorgehen. Die Rechnung der Rassist_innen: Je mehr Menschen von der Überfahrt abgehalten werden, je mehr Menschen im Meer ertrinken, desto weniger Menschen erreichen Europa. Gleichzeitig geben Politiker_innen wie Kurz, Seehofer, Salvini oder Macron, dass aufgrund ihrer Maßnahmen weniger Menschen im Mittelmeer ertrinken würden.

Die neue Politik der Abschottung und der damit verbundenen Seeblockade, die es den Booten mit Geflüchteten und Migrant_innen unmöglich machen soll Europa zu erreichen, kostete allein im vergangenen Monat (Juni 2018) mehr als 600 Menschen das Leben. Während Leute in Seenot geraten und ertrinken, werden die privaten Rettungsschiffe am Auslaufen gehindert. So wird z.B. die Lifeline derzeit in Malta festgehalten und ihr Kapitän wegen der Rettung von 234 Menschenleben angeklagt.

In den vergangenen Jahren wurden insbesondere seitens der italienischen Regierung Maßnahmen ergriffen, um die Rettungsschiffe von ihren Missionen abzuhalten, es kam zu Beschlagnahmungen und langwierigen Gerichtsverfahren. Die Menschen im Meer, die oft in nicht seetüchtigen Schlauchbooten die Überfahrt nach Europa riskieren, sollen ihrem Schicksal überlassen werden. Laut der Internationalen Organisation für Migration sind seit Anfang 2014 mindestens 16 780 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Diese Zahl beinhaltet lediglich die dokumentierten Fälle, wie viele Menschen einfach verschwanden, ohne dass davon Notiz genommen wurde, ist unbekannt.


Rettung und Hilfe statt Blockade


Während die Zusammenarbeit der privaten Rettungsorganisationen mit den zuständigen Seenotrettungsstellen über mehrere Jahre gut klappte, hat die neue rechtsextreme Regierung, insbesondere Innenminister Salvini von der faschistischen Lega, die Rettungsstelle in Rom dazu gebracht, dass sie sich nicht mehr zuständig erklärt für die Seenotrettung von aus Libyen aufgebrochenen Booten. Diese Aufgabe solle nun die von Italien und der EU ausgebildete und finanzierte libysche Küstenwache übernehmen. Die Menschen sollen so direkt nach Libyen zurück gebracht werden, wo ihnen Inhaftierung, Folter und Misshandlung droht.

Dass dies gegen internationale Rechte verstößt und Menschen damit direkt an ihre Verfolger_innen ausgeliefert werden, stört die Politiker_innen nicht. Dies ist vielmehr Teil ihres von Rassismus geformten Weltbildes, dass den Menschen unterschiedliche Rechte und Wertigkeiten zuspricht. Menschen die sich gegen diesen angeblichen „Konsens“ der europäischen Gesellschaften richten, werden selbst zur Zielscheibe der hetzerischen Politik - und verantwortlich dafür hingestellt, dass Menschen nach Europa flüchten. Trotz massiver Kriminalisierung wollen die privaten Initiativen zur Seenotrettung nicht aufgeben - einige sammeln derzeit Geld zur Finanzierung neuer Schiffe.

Doch was, wenn es neue Rettungsschiffe gibt, diesen aber weiterhin das Anlegen an sicheren Häfen verwehrt wird, fragte die Frankfurter Rundschau einen Vertreter von Mission Lifeline: „Für diesen Fall haben wir einen Plan B. Wir sind bereit, uns vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in die Häfen einzuklagen.“ Darüber hinaus wollen die Retter_innen „alle Yachtbesitzer[_innen], die sich mit ihren Booten in der Nähe befinden, darum bitten, Geflüchtete von unserem Boot abzuholen.“ Denn: „Viele Yachtbesitzer[_innen] pflegen die Seefahrertradition und die steht im Einklang mit dem Völkerrecht: Wer in Seenot gerät, dem wird geholfen.“

Dass die Kriminalisierung der Seenotrettung auch die Besatzungen von Yachten treffen kann, ist klar. Viel zu oft wurden insbesondere Fischer_innen, die Geflüchtete vor dem Ertrinken im Mittelmeer retteten angeklagt - sowie ihre Boote beschlagnahmt und damit ihre Existenzgrundlage zerstört. In prominenten Fällen wie der Cap Anamur endeten die Gerichtsprozesse letztendlich mit Freisprüchen, doch nicht alle Menschen verfügen über so viel Öffentlichkeit und Unterstützung. Deshalb wird in diesem Zusammenhang auf :: Refugee Konvois verwiesen, die sich im Jahr 2015 aufmachten, um Menschen aus Südosteuropa abzuholen und auf ihrer Reise nach Mittel- und Zentraleuropa zu unterstützen. Zwar kam es auch damals vereinzelt zu Verhaftungen und Menschen wurden wegen ihren aktiven Fluchthilfe kriminalisiert, doch die Masse an Menschen, die bereit waren, sich dadurch nicht einschüchtern zu lassen, brachte die Politiker_innen dazu, schlussendlich selbst die Weiterreise der insbesondere in Ungarn gestrandeten Menschen zu organisieren.

Und nun im Mittelmeer stellt sich eine ähnliche Situation, wobei es sich um eine viel gefährlichere Fluchtroute handelt. So setzen die zivilen Retter_innen auf „Selbstermächtigung“, um die Politik zum Umdenken zu zwingen: Was würde geschehen, wenn plötzlich 100 Yachten aufbrechen, um Menschenleben zu retten?