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Quellenangabe:
Interview mit Ljubomir Bratic zum Integrationsvertrag (vom 03.05.2002),
URL: http://no-racism.net/article/541/, besucht am 19.04.2024

[03. May 2002]

Interview mit Ljubomir Bratic zum Integrationsvertrag

... ich hoffe, dass die MigrantInnen in diesem Staat einmal die gleichen Rechte wie alle anderen bekommen werden. Bis dahin wird es noch lang dauern und sie brauchen eure Unterstützung.

1. Die FPÖ hat sich einen langgehegten Traum verwirklicht: MigrantInnen zu einer von ihr definierten "Integration" zu zwingen. Westenthaler behauptet, die inländische Bevölkerung wolle das eben so. Nun soll mit den MigrantInnen ein "Vertrag" abgeschlossen werden. Aber was ist das für ein Vertrag, bei dem nur ein Teil zur Einhaltung von Verpflichtungen gezwungen werden soll?

Wir erleben zur Zeit, auch wenn es nicht so explizit genannt wird, eine Erweiterung der Techniken der Disziplinierung von MigrantInnen, die einige Schlussfolgerungen nach sich ziehen, die mir mehr als interessant erscheinen. Erstens wird es langsam klar, was die Säulen der FPÖVP "± Migrationspolitik sind. Zweitens glaube ich nicht, dass das unbewusst passiert, das heißt, dass wir es mit einer gewissen bewussten Änderung der Machtpositionen zu tun haben, wofür auch die Voraussetzungen jetzt geschaffen werden. Und die Reduktion auf FPÖ ist in diesem Zusammenhang eher verwirrend, würde ich sagen. Da haben die ÖVP mit ihrem im Frühling beschlossenen "Bonussystem", die Wirtschaftskammer mit ihrem Wunsch nach billiger Arbeitskraft und versteckt (weil sie schweigen) der öGB auch ihre Finger im Spiel.

Die Säulen der Migrationspolitik dieser Regierung sind auf der Ebene des Arbeitsmarktes der Ausbau und die Erweiterung des Saisoniers- und Erntehelfermodells. Auf der Ebene der Volkskörper oder besser gesagt Gesundheit der Volksgemeinschaft wird der sogenannte Gesundheitscheck für MigrantInnen, vor allem im Kärnten aber sonst auch anderswo, wenn wir uns an die letzten Jahre erinnern, vorangetrieben. Auf die Ebene des Staates erleben wir einen Versuch der Dezentralisierung der Migrationpolitik in der Form der Eigenständigkeit der Bundesländer bei der Anwerbung der MigrantInnen aus Nachbarländern. Sozusagen: die katholischen MigrantInnen wollen wir nehmen, die "außerEuropäischen Muslime" (eine dÃŒmmliche Wortkonstruktion eines in der FPÖ beheimateten Anwaltes) aber nicht. Die Frage, ob der öGB weiterhin die bisherige starke Position bei der Steuerung der Migration beibehalten wird, gehört hier zumindest gestellt. Und erst als vierte Säule ist der Integrationsvertrag zu erwähnen, der sich auf der Ebene der Disziplinierung der MigrantInnen entfaltet und bisher praktizierte Methoden in den Rang des Gesetzes erhöht. Die Deutschkurse sind keine Neuerung. Alle sogenannte Integrationsmaßnahmen bis jetzt haben nur Deutschkurse beinhaltet. Interessant ist, dass jetzt dieses in Wien von der SPÖ praktizierte Integrationsverständnis auf der Bundesebene von FPÖVP angewendet wird. Allerdings im Unterschied zu den bisherigen Kursen sind das nicht mehr individuelle, sondern kollektive maßnahmen und Sie beinhalten StrafMöglichkeiten. Etwas anderes scheint mir aber auch wichtig zu sein; das Spektrum der KontrolleurInnen erweitert sich. Ab jetzt ist für die erwünschte Art des Funktionierens von MigrantInnen nicht nur die Fremdenpolizei, wie es bisher der Fall war, zuständig, sondern es entsteht eine neue KontrolleurInnenkaste, die wahrscheinlich die PÀdagogInnen, die LehrerInnen, die SozialarbeiterInnen und NGO-s einbeziehen und beinhalten wird. Damit wird einmal klar, wer für was zuständig ist. Diese Beziehung, die MigrantInnen mit dieser neue Kaste eingehen werden, kann man nicht Vertrag nennen. Es handelt sich um eine einseitige, den MigrantInnen auforktroierte, Zwangsmaßnahme, die Form einer kollektiven Bestraffung erstrebt.

2. Die Bundeshymne und die Bundespräsidenten der Ersten Republik fehlerfrei aufsagen - so schreibt zumindest die "Krone" - oder es setzt Strafen bis hin zum Verlust des Aufenthaltsrechts. Ich hätte als geborene Österreicherin bei einem solchen Test keine Chance. Aber angeblich geht es hier um den "Willen" zur Integration. Was bedeutet dieser Diskurs um Willen oder Unwillen zur Integration? (Sollen hier die "braven" von den "bösen" MigrantInnen unterschieden werden? Und: Was bedeutet überhaupt "Integration"?)

Ich glaube, dass wir dann am nähesten der Intention dieses Vorhaben sind, wenn wir den Spieß einmal umdrehen. Vielleicht sind die MigrantInnen, in den verborgenen Phantasien dieser Menschen, diejenigen, die, weil eine Möglichkeit des Zwanges in diesem Bereich gegeben ist, zu besseren ÖsterreicherInnen ausgebildet gehören. Der Wille zur Integration, die in die MigrantInnen hineinprojiziert wird, ist ein Wille zur Erneuerung der Homogenität des Volkskörpers. Wobei das in Österreich ein wenig lächerlich erscheint, wenn wir die Geschichte der Entstehung dieses Staates beRücksichtigen. In diesem Diskurs bedeutet also Integration ein Bestreben nach wiederholter SchÃŒpfung eines kompakten nationalen körpers, der durch den Zerstreuungseffekt, um Seyla Benhabib, eine Migrantin in Amerika zu zitieren, langsam aber sicher verloren geht. Es ist dieser Wille, der hier am Werk ist und sich in die migrantische Gruppe, diesem hier als ein großer, homogen verstandener Einheitskörper, setzt. Der "böse" Migrant ist derjenige, der die gleichen Rechte wie die StaatsbürgerInnen (was auch ein Recht auf Differenz beinhaltet) für sich beansprucht. Ein "guter" ist in dieser Phantasie derjenige, der sich zum SuperÖsterreicher modellieren lässt. An und für sich ein interessanter Gedanke, allerdings sind die Erfolgsausichten für so etwas nicht mehr gegeben. Der Volksgeist, zu dessen Organ sich die Krone hier stilisiert, kämpft auf einem schon verlorenen Posten.


3. Die Sprache des Einwanderungslandes zu beherrschen, so wird argumentiert, sei die Grundlage für ein erfolgreiches neues Leben. Die hohe Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen sei auf die mangelnden Deutschkenntnisse zurückzuführen. Abgesehen davon, dass das Aufsagen der Bundeshymne keinen Arbeitsplatz ganatiert - welches sind die wahren Probleme, die es den meisten MigrantInnen unmöglich machen, sich in Österreich ein gesichertes Leben aufzubauen?


Die Sprache wird hier als eine kollektives GedÀchtnis verstanden. Alle, die wie wir sprechen sind Teil von uns, von unserem nationalem körper. Darum die Hymne als alle vereinheitlichende musikalische und sprachliche Struktur. Das ist das, was unter erfolgreichem neuem integrierten Leben verstanden wird. Die Arbeitslosigkeit, Aggressionen, Delinquenz usw. sind nur Phänomene, die herangezogen werden, um diese Intention der Stärkung des Volkskörpers zu stützen. NaTürlich handelt es sich hier um Äpfel und Birnen, aber wenn kÃŒmmert es, wenn von den hier konstruiertem Gegensatzpaar ÖsterreicherInnen "± MigrantInnen nur eine Seite was zu melden hat. Diese Konstruktion ist auch falsch, weil auch unter den ÖsterreicherInnen nur sehr wenige was zu sagen haben. Aber sie wird in der Öffentlichkeit trotzdem so in dieser Form reproduziert, weil sie wirkt, weil sie durch die Ideologie des Nationalstaates einen verführerischen Gehalt bekommen hat, der scheinbar allen "einleuchtet".

Die wahren Probleme der MigrantInnen kann man alle aus der Tatsache, dass sie bis heute eine Position der altgriechischen Methoken in der Österreichischen Gesellschaft einnehmen, herauslesen. Diese zwar nicht der versklavte, aber der total entrechtete immanente Bestandteil der Gesellschaft, vor allem im wirtschaftlichen Sinne, und soll für die diskursdiktierende Elite dieses Landes dort bleiben, wo sie sind, als letztes Zehntel der gesellschaftlichen Skala. Das ist nicht nur eine Bestrebung der Rechten, sondern vieler anderer auch. Ich habe vor Kurzem ein Gespräch geführt, wo mir ein, der Gewerkschaft nahe stehender, Psychotherapeut erklärte, dass die Sicherheit in Wien vor allem deswegen gewährleistet ist, weil die MigrantInnen entrechtet sind. In seinem Verständnis sind also diese zwei Phänomene miteinander verbunden, und wenn man keine Kriminalität wünscht, dann muss man die Rechtlosigkeit von 19% der Bevölkerung akzeptieren. Ich erwähne es hier, weil es symptomatisch ist für eine Sichtweise, die nicht nur der FPÖVP Regierung zuzuschreiben ist.

Das zentrale Problem der MigrantInnen ist, dass diese nicht VertragspartnerInnen sein können. Sie haben nichts zu bieten, keine Wählerstimme, keine Lobby, kein Geld usw. Sie haben kein politisches Gewicht innerhalb des Machtkampfes und so dienen sie vor allem als willkommenes ManÃŒvrierpotential. Ihre einzige Habe ist ihre Arbeitskraft und allein auf diesem Gebiet, dank der Angst des öGB, haben sie großteils gleiche soziale Rechte wie die einheimische Arbeiterschaft. In realitas scheint auch das ein wenig anderes, denn es ist Tatsache, dass die Männer unter MigrantInnen 15% weniger als ihrer einheimischen Kollegen verdienen (die Frauen 30%) und dass sie für ihre Wohnungen 15% mehr zahlen müssen. Diese Liste mit Benachteiligungen ist sehr lang sein und umfast alle gesellschaftlichen Bereiche.

4. Welche Widerstandshandlungen können gegen eine solche maßnahme wie der "Integrationsvertrag" gesetzt werden, sowohl von MigrantInnen (individuell oder organisiert) als auch von anderen? Welche politischen Forderungen sollten jetzt erhoben werden?

Die kollektiven Strafmassnahmen werden mit sich auch ein gewisses Bewusstsein der kollektiven Benachteiligung bringen. Wir dürfen noch dazu nicht vergessen, dass der Einzelne sich selbst immer durch die Normen, denen er unterworfen ist, erkennt. Diese Normen, die also, wie gesagt nicht mehr nur von der Polizei, sondern in Zukunft auch von PÀdagogInnen sanktioniert werden, werden auch zu gewissen Änderungen der bisherigen Widerstandsformen führen. Wie diese konkret ausschauen werden, kann ich naTürlich nicht sagen, aber ich möchte nicht zu denjenigen PÀdagogInnen gehören, die diese Strafmaßnahmen durchführen. Es gab schon vergleichbare Versuche. So zum Beispiel versuchte die Lagerleitung des Flüchtlingslagers im alten AKH in Wien alle bosnischen Flüchtlinge ohne Rucksicht auf den Status, Schichtzugehörigkeit, Ausbildung, Alter usw. Deutsch lernen zu zwingen. Die Erlebnisse, die dort die LehrerInnen hatten, sprechen bänder über die Möglichkeiten des individuellen Widerstands. Dieser Widerstand wird mit sich eine "berschreitung der aufoktroyierten Normen bringen, und wir werden in Zukunft der Realität eines Einwanderungslandes in die Augen blicken und nicht irgendwelchen Träumen nationalhegemonialen Art. NaTürlich bedeutet das viel Zeit, viel Geld, viele Verletzungen, viel menschliche Grüße usw., die da investiert wird, es gibt aber, so scheint es, keinen anderen Weg zur Gleichberechtigung als diesen permanenten der Auseinandersetzung. Und die MigrantInnen brauchen auf diesem Weg selbstverständlich Unterstützung. Ich hoffe, dass die Annäherung der verschiedenen Minderheitengruppen, die in letzten zwei Jahren zustande kam, sich vorsetzt. Ich hoffe, dass die moralischen Antirassistinnen endlich begreifen, dass sie einem ganz bestimmten Machtblock dienlich sind. Ich hoffe, dass der öGB seine protektionistische Stellung aufgibt und endlich eine Aufhebung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes vorantreibt. Ich hoffe, dass die baldige Einführung der politischen Rechte für MigrantInnen diese zu VertragspartnerInnen macht. Ich hoffe, dass endlich die MigrantInnen selbst ihre Sicht der Dinge präsentieren können. Und ich hoffe, dass die MigrantInnen in diesem Staat einmal die gleichen Rechte wie alle anderen bekommen werden. Bis dahin wird es noch lang dauern und sie brauchen eure Unterstützung.