Quellenangabe:
Abschiebung nach Tschetschenien: Akute Bedrohung für viele in Österreich lebende Menschen (vom 14.11.2018),
URL: http://no-racism.net/article/5489/,
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[14. Nov 2018]
Beunruhigende Nachrichten für die tschetschenische Community: Viele Familien, die längst in Österreich eine neue Heimat gefunden haben, sind nach Treffen von Kickl mit dem russischen Innenminister akut von Abschiebung nach Russland bzw. die "Teilrepublik Tschetschenien" bedroht.
Am 1. November 2018 traf sich der österreichische Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Kolokolzew in Moskau. Am Programm standen unter anderem schnellere Abschiebungen nach Russland. Einem :: Bericht des Kurier zufolge wurde diese Entwicklung von der tschetschenischen Community mit großer Sorge beobachtet.
Laut Kickl hätten insbesondere Tschetschen*innen nach einer Abschiebung nach Russland nichts zu befürchten, sie seien sicher. Dem wird jedoch von vielen Seiten widersprochen. So droht ihnen sowohl in Russland Verfolgung durch Behörden und Geheimdienste, als auch in der mit russischer Hilfe errichteten russischen Teilrepublik Tschetschenien. Dort werden Menschenrechte nicht garantiert und es gibt immer wieder Kritik an Menschenrechtsverletzungen - und die :: Verfolgung von Menschenrechtsaktivist*innen.
Zur Erinnerung: Es war der russischen Autokrat Putin selbst, der den Krieg gegen Tschetschenien inszenierte - als "Krieg gegen den Terror" - und damit an Popularität in Russland gewann, was ihm später dabei half, das Amt des Präsidenten einzunehmen. Putin und sein Apparat hatten die Menschen aus Tschetschenien pauschal zu "Terrorist*innen" erklärt und einen erbarmungslosen Krieg begonnen, vor dem viele Menschen flohen.
In Österreich leben derzeit geschätzt 35.000 Geflüchtete aus Tschetschenien. Ein Exilpolitiker, der selbst vor 13 Jahren politisches Asyl in Österreich bekommen hat und in Wien den tschetschenischen Kulturverein Ichkeria leitet, sagte im Interview mit dem Kurier: "Österreichs Regierung soll nicht vergessen, dass es bei uns keinen Bürgerkrieg, sondern zwei äußert blutige Kriege zwischen Russland und der tschetschenischen Republik Itschkerien in den Jahren 1994 bis 2006 gab. Menschen haben Tschetschenien verlassen, weil sie sich Russland nicht unterwerfen wollten". Der Exilpolitiker war prominenter Anhänger einer tschetschenischen Eigenstaatlichkeit und enger Mitstreiter des 2005 vom russischen Geheimdienst getöteten Präsidenten Aslan Maschadow.
Die geplanten Abschiebungen von Menschen aus Tschetschenien sind nicht losgelöst von (jahrelanger) rassistischer Hetze gegen diese Gruppe zu sehen. Denn diese werden auch hier stereotypisiert und pauschal als gewalttätig dargestellt. Der Kurier dazu: "Dass man einer ganzen Gruppe mit 35.000 Menschen, aus der 40 bis 50 in den Krieg nach Syrien aufgebrochen sind, den Vorwurf von Jihadismus macht, ist wie alle Österreicher zu 'Fritzls' zu erklären", sagte er (der Exilpolitiker, Anm.) und betonte, dass das Kapitel Syrien mittlerweile abgeschlossen sei. Auch das Verhalten von 50 fehlgeleiteten Halbwüchsigen, die auf den Straßen Wiens für Unruhe sorgten, auf die gesamte Volksgruppe zu beziehen, sei falsch.
Doch wie gewohnt setzten Rassist*innen auf die Stigmatisierung und Stereotypisierung ganzer Gruppen, u.a. um repressive Maßnahmen rechtzufertigen. Dies ist nichts neues in Österreich - und hat eine lange Tradition innerhalb der FPÖ. Deshalb sind die Befürchtungen der tschetschenische Community ernst zu nehmen. Denn eine Abschiebung nach Russland ist in den meisten Fällen gleich bedeutend mit der Auslieferung an Unterdrücker*innen.
Im folgenden Informationen vom 8. November 2018 von :: Border Crossing Spielfeld:
Tschetschenische Familien vor der Abschiebung: "Мы сейчас едем в аэропорт" - "Wir sind auf dem Weg zum Flughafen" - Letzte Nachrichten von An. und Ma.
N. aus Melk, enge Freundin eines tschetschenischen Ehepaares, musste gestern Nacht mitansehen, wie ein 12-köpfiges Polizeikommando das Ehepaar und 3 Kinder im Alter von 6 und 9 Jahren zur Abschiebung abholte. "Mitten aus dem Schlaf, besser gesagt aus ihrem LEBEN gerissen!!!" schreibt sie gestern um 23 Uhr abends. "ABGEHOLT UND ABGESCHOBEN!!! Von 12 Polizisten!!!! Eine tschetschenische Familie mit 3 Kindern, eines davon schwer krank. Seit 2 Jahren in Österreich. Um 22 Uhr nachts abgeholt... EINFACH NUR SPRACHLOS"
Die Familie wird noch gestern Abend in die Familienschubhaft PAZ Zinnergasse in Wien überstellt. Den ganzen Morgen über laufen dort hektische Abschiebungsvorbereitungen, die obligate amtsärztliche Untersuchung, deren Ergebnis schon feststeht, eine letzte Rechtsberatung, die nur die Aussichtslosigkeit weiterer Schritte feststellen wird.
Um 12 Uhr am selben Tag geht das Abschiebeflugzeug. Eile ist angesagt. Um 10 Uhr morgens meldet sich An. noch bei N. am Weg zum Flughafen.
Familie T. ist vor 2 Jahren nach Österreich gekommen. In Rekordzeit von nur 12 Monaten ist das erste Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen. Auch der Folgeantrag wird abgelehnt, obwohl in der Heimat regelmäßig der Geheimdienst nach An. fragt. Doch das BFA glaubt dem Familienvater nicht. Er habe bei der ersten Einvernahme nicht glaubhaft machen können, dass er verfolgt wird. Sein Wiener Anwalt zweifelt jedoch daran, dass bei dieser Einvernahme alles korrekt protokolliert wurde.
Familie T. wurde offenbar schon Tage vor der Verhaftung beobachtet. Die Volksschuldirektorin erhält einen Anruf, Beamte erkundigen sich, ob die tschetschenischen Kinder regelmäßig zur Schule kommen. Auch beim Anwalt geht eine ähnliche Anfrage ein. Ein Polizeiauto hält immer wieder in der Nähe des Wohnhauses.
Bereits seit Jänner 2018 waren die T.s ohne Abschiebeschutz. Dass diese nun ausgerechnet wenige Tage nach dem Treffen des österreichischen und russischen Innenministers erfolgen soll, kann kaum ein Zufall sein. Auch andere tschetschenische Familien waren für eine Abschiebung mit demselben Flug abgeholt worden.
N. in Melk wartet seit Mittag auf ein Lebenszeichen von An. und Ma. Um 17.10 h Ortszeit soll die Linienmaschine in Moskau landen. Wir hoffen das beste für An., Ma. und ihre Kinder. Menschlichkeit sieht anders aus.
Österreich 2018 am Vorabend der Gedenktage zur November-Pogromnacht.