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Quellenangabe:
Der Weg ist nicht das Ziel (vom 19.06.2002),
URL: http://no-racism.net/article/617/, besucht am 19.04.2024

[19. Jun 2002]

Der Weg ist nicht das Ziel

Seit über 50 Tagen demonstrieren Roma aus NRW gegen ihre drohende Abschiebung nach Ex-Jugoslawien.

Emran Elmacti ist noch nie geflogen. Bald könnte er das erste Mal an Bord eines Flugzeugs gehen. Aber der 12-Jährige freut sich nicht darauf. Im Gegenteil. Denn die Maschine wird ihn in ein Land bringen, das ihm fremd ist. Ein Land, aus dem seine Eltern vor dreizehn Jahren geflohen sind. Emran ist einer von tausenden Roma aus NRW, die nach Ex-Jugoslawien abgeschoben werden sollen.

Weil sie Angst vor dem haben, was sie dort erwartet, haben sich die Elmactis zusammen mit 650 anderen Roma auf den Weg gemacht, um für ein dauerhaftes Bleiberecht demonstrieren. 53 Tage dauert der Protest schon, den sie bisher nach Essen, Bremerhaven, Berlin, Hannover, Bielefeld, Münster, Dortmund und Wuppertal getragen haben. Seit gestern protestieren sie in Köln.

"Roma gelten als Abschaum"

Emrans Eltern, Ardem und Biterema, stammen aus Sremcica, einem Vorort von Belgrad. Schon immer seien sie dort Anfeindungen ausgesetzt gewesen, berichtet Ardem Elmacti: "Roma gelten als Abschaum." Ende der achtziger Jahre, als sich die Auflösung Jugoslawiens abzeichnete, sei der Druck unerträglich geworden, die Roma seien unter Zwang für die Armee rekrutiert worden - das Ehepaar beschloss mit dem vierjährigen Sohn Demail und der knapp ein Jahr alten Tochter Esma zu fliehen.

Als dann die Dekade der Balkankriege begannen, erhielten die Elmactis den Status von geduldeten Flüchtlingen. Seither leben sie in Essen, wo die Kinder Kindergarten und Schule besuchten und auch Emran geboren wurde. Jetzt sollen sie zurück in ihre Heimat - die für die Kinder keine mehr ist: Demail, heute 17 Jahre, gekleidet in buntes T-Shirt und Jeans, gegelte Frisur, Goldkette um den Hals, sagt in leichtem Ruhrdeutsch-Slang: "Deutschland ist mein Heimatland, mein Herz ist hier. Ich kann ja nicht einmal serbisch sprechen. Ich habe einfach Angst, zurückzugehen."

An seiner Schule war Demail Schulsprecher, stand kurz vor seinem Realschulabschluss. "Durch unsere Demonstration konnte ich die Schule nicht besuchen. Aber was bedeutet schon das bisschen Schulausfall, wenn`s um den Rest meines Lebens geht." Der Protestzug bedeute für ihn auch ein stück Sicherheit durch die Gemeinschaft: "So können sie uns wenigstens nicht abholen und abschieben", glaubt er.

Hintergrund der drohenden Abschiebungen sind Verhandlungen zwischen Deutschland und Ex-Jugoslawien im Juni vergangenen Jahres: Dort wurde die Rückführung der in Deutsch-land lebenden Flüchtlinge beschlossen. Abschiebungen nach Serbien und Montenegro sind nach Ansicht von NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) unproblematisch, obwohl "die wirtschaftliche und soziale Lage weiterhin als schwierig anzusehen" sei.

Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, formuliert es drastischer: "Viele Roma leben unter entsetzlich erbÀrmlichen Umständen, häufig unterhalb menschenwürdigen Niveaus." Ein Problem ist auch, dass in Ex-Jugoslawien immer noch Hunderttausende Flüchtlinge der Balkankriege leben, darunter nach schätzungen der "Gesellschaft für bedrohte völker" 70 000 Roma, die aus dem Kosovo geflohen sind: Das berÃŒhmte Boot scheint übervoll.

Mit im Pulk der Protestler sind auch Roma aus dem Kosovo. für sie hat die Innenministerkonferenz (IMK) kürzlich eine Schonfrist beschlossen: Zwar meint Fritz Behrens, dass "die Lage im Kosovo sich so entspannt hat, dass Roma und andere Gruppen nicht auf ein Bleiberecht bei uns angewiesen sind", wegen warnender Hinweise des UNHCR und der UN-Kosovo-Verwaltung entschied die IMK allerdings, die bestehenden Abschiebestopps noch aufrecht zu erhalten. "Roma sind im Kosovo nach wie vor mit ernsthaften Sicherheitsproblemen konfrontiert", berichtete das UNHCR. "Roma werden häufig Opfer von polizeilicher Gewalt, sind Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt", erklären auch amnesty international und Pro Asyl. Die Innenminister ließen aber verkünden, dass mit der zwangsweisen Rückführung noch in diesem Jahr begonnen werden könne. Ein dauerhaftes Bleiberecht wie von den Roma gefordert schlossen sie kategorisch aus.

Mit einer Ausnahme: Laut der "Altfallregelung für Erwerbstätige aus dem ehemaligen Jugoslawien" vom 21. Juni 2001 bekommen Flüchtlinge ein dauerhaftes Bleiberecht, die seit sechs Jahren in Deutschland leben, seit mehr als zwei Jahren in Lohn und Brot stehen und dringend von ihrem Arbeitgeber gebraucht werden. Das Problem ist nur: Es ist für Menschen mit Flüchtlingsstatus fast unmöglich, in Deutschland zu arbeiten. Bevor ein Flüchtling einen Job bekommt, schaut das Arbeitsamt, ob nicht ein Deutscher, ein EU-bürger, ein Ausländer mit Aufenthaltsgenehmigung oder ein Ausländer, der bereits eine Arbeitserlaubnis hat, sich um die Stelle bemüht.

Dzoni Sichelschmidt, Sprecher der Roma, würde das gerne geändert sehen: "Wir fordern, dass alle Roma, die länger als fünf Jahre in Deutschland sind, ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Die anderen sollten eine dreijährige Chance bekommen, um sich für die deutsche Gesellschaft einzusetzen."

Bis sie ihr Ziel erreicht haben, wollen die Roma weiter marschieren. Wenn es sein muss, nach Straßburg oder Brüssel, um den Protest auf die EuropäischeBühne zu hieven. Nur einen Weg werden sie nicht einschlagen, sagt Ardem Elmacti: "Nach Jugoslawien gehen wir nicht mehr zurück."

18.06.2002 JAN JESSEN

NEUE RUHR ZEITUNG 19.6.2002