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Quellenangabe:
Jahresbericht ANAR 2001/2002 (vom 13.06.2002),
URL: http://no-racism.net/article/679/, besucht am 20.04.2024

[13. Jun 2002]

Jahresbericht ANAR 2001/2002

Jahresbericht des Austrian Network Against Racism, Zeitraum Juli 2001 bis April 2002

Historischer Hintergrund



In österreich sind die Voraussetzungen für die Erzeugung gesellschaftlicher Bewegung gegen Rassismus ziemlich ungÜnstig. Sehr alte Traditionen von Antisemitismus, Rassismus bis hin zu neueren Entwicklungen wie Islamfeindlichkeit gibt es auch in anderen Staaten. Besonders österreichisch ist allerdings der historisch durchgängig erhaltene Antislavismus, der bis heute Öffentlich auch auf der Ebene der EntscheidungsträgerInnen erhalten ist (siehe Temelin-Volksbegehren, Ortstafelstreit, Serbenfeindschaft, usw.); im Gegensatz zu Deutschland, wo die Feindschaft gegen "die Polen" keine nennenswerte Rolle mehr spielt. Dazu kommt der spezifisch österreichische Umgang mit der NS-Tradition, deren konstitutives Element der Rassismus war. Um die rassenhygienischen und sozialtechnokratischen Programme konstituierten sich die Träume der Humangenetik, die von den Nazis als Verbindung von rassistischer Artikulation und technischer Rationalität umgesetzt wurden. Dabei gingen biologistische und kulturalistische Aspekte stets Hand in Hand. Die "Arier" wurden als Kulturgründer und "die Juden" als KulturzerstÖrer stilisiert. Im Vergleich dazu hat das rassistische Moment im Faschismus italienischer oder franzÖsischer PrÀgung nur eine Nebenrolle gespielt.

Nach dem zweiten Weltkrieg nutzte die politische Elite österreichs die NS-Geschichte legitimatorisch und staatsbildend aus, indem österreich als erstes Opfer der nationalsozialistischen Expansionspolitik ausgegeben wurde. Gerade durch die Kreation des Opfermythos gelang es auch, die MitTäterschaft zu verleugnen und MitTäterInnen in die neuen politischen Strukturen zu integrieren. Den aus dieser Integrationsleistung resultierenden starken politischen Traditionslinien, die nicht nur in der FPÖ ihren Ausdruck finden, steht nichts Gleichwertiges - nicht einmal ein ausgeprägt liberales BildungsbÜrgertum - gegenüber. Von der Gegenreformation über den Metternichschen Polizei- und Spitzelstaat bis zum Austrofaschismus und zum Nationalsozialismus existiert in der Geschichte österreichs eine Kette von Perioden, in denen kritische Diskurse, Politiken und emanzipatorische Bewegungen immer wieder erfolgreich systematisch unterdrÜckt und die politisch Denkenden verfolgt, vertrieben oder getötet wurden.

Kein einziges Mal hat es im Gegensatz zum Rest der "westlichen" Welt in der österreichischen Geschichte so etwas wie eine erfolgreiche Revolution gegeben. Auch die nach dem zweiten Weltkrieg quasi oktroierte Demokratisierung hat nichts daran geändert, dass sich Politik hierzulande hauptsächlich in tendenziell undemokratischen technokratischen und interventionistischen Formen vollzieht und Gewaltenteilung (insbesondere zwischen Gesetzgebung und Verwaltung) nur formal existiert.

Im Gegensatz zu anderen Europäischen Staaten fehlt der breiten Mehrheit der BevÖlkerung hierzulande jegliches subversive GedÀchtnis, eine Erinnerung an die Herausforderbarkeit und Anfechtbarkeit von Herrschaftsverhältnissen. Der Erstickung und Passivierung von politischer Aktivität durch bÜrokratische Verwaltungsapparate (inklusive Gewerkschaften und Parteien) sind seit dem nationalistischen Schwenk der sozialistischen Partei im ersten Weltkrieg (Abstimmung für die Kriegskredite 1914) in nennenswertem Umfang und weit abgedrängt von den Gremien der allgemeinverbindlichen Struktursetzung nur noch subversive Ansätze im Bereich des Kunstschaffens (Östrreichischer Aktionismus, Anti-Heimat-Literatur) entgegengetreten. Auch die Impulse, die in österreich von der StudentInnenbewegung von 1968 ausgingen, sind nur in sehr abgemilderter Form in den Kernbereich des Politischen vorgedrungen.

Ausgehend von antirassistischen Subkulturen (BetreuungsNGOs, MigrantInnen-Selbstorganisatioen und politischen Gruppen) wurde nach Jahren der Stillhaltung im Anschluss an das Lichtermeer 1993 Ende der 90er Jahre ein neuer emanzipatorischer Anlauf gegen Rassismus gestartet. Marksteine waren die Gründung von ANAR, die Proteste gegen die TÖtung von Marcus Omofuma und die vielfältigen Aktivitäten gegen die schwarzblaue Regierung. Erste Erfolge dieses Anlaufs sind die ZurÜckdrängung und Delegitimation des sogenannten moralischen Antirassismus in NGO-Kreisen. Nach 3 Jahren Arbeit ist es in der antirassistischen Szene weitgehend Konsens, dass Rassismus gesetzliche Verankerungen hat und nicht nur ein moralisches Übel bzw. eine individuelle Krankheit/ Fehlleistung darstellt. Die bloß moralische Anklage des Rassismus hat den rassistischen Struktursetzungen (nach dem Motto "Gesetze statt Hetze") bis zu einem gewissen Grad sogar den Weg geebnet. So wurde in den 90er Jahren von einer Koalition aus SozialdemokratInnen und Konservativen Gesetze entlang der Vorgaben des offiziell verdammten freiheitlichen sogenannten Ausländervolksbegehrens geschaffen. Damit wurde auch der Boden für die rechte Regierungsübernahme des Jahres 2000 bereitet. Politische Linie von ANAR

Das Austrian Network Against Racism (ANAR) ist in einen Prozess der politischen Rassismusbekämpfung eingetreten. Mittels empowerment und networking v.a. mit kleineren MigrantInnen-Organisationen werden die diskursiven Positionen des politischen Antirassismus verbreitet und wird zur Erzeugung von gesellschaftlicher Bewegung gegen Rassismen beigetragen. Networking ist wie TeppichknÜpfen. An den Rändern des durch intensive interne Kommunikation dichten horizontalen Geflechts des antirassistischen Netzwerks werden ständig neue InformationskanÀle wie FÀden ausgelegt. Je nach politischer Konjunktur mit mehr oder weniger Attraktivität verdichten sich die FÀden zu Diskursen und gemeinsamen diskursiven Positionen.

Die Positionen des politischen Antirassismus breiten sich seit 1998 vorwiegend in der antirassistischen Szene aus. Im Rahmen der Protestbewegung gegen die rechts-rechtsextreme Regierung konnte diese Position eine weitere Verbreitung finden. Antirassismus hat in den letzten beiden Jahren eine deutlich gesteigerte Bedeutung im kritisch-emanzipatorischen Spektrum der Zivilgesellschaft erlangt.
Die vielfältige Öffentlichkeitsarbeit, die von den in ANAR lose zusammenarbeitenden NGOs und Gruppen betrieben wird, konzentriert sich kaum auf das politische Rechtsaussen oder auf deklarierte RassistInnen. Vielmehr zielt die Öffentlichkeitsarbeit vorwiegend auf den nationalstaatlich verfassten rassistischen Konsens der politischen Mitte. Die politische Mitte will von ihrem Selbstverständnis her nicht rassistisch sein und muss daher in die Auseinandersetzung über die neue Definition von Rassismus einsteigen. Fokus für die Öffentlichkeitsarbeit bilden bestimmte Konflikte rund um das Agieren, das ZÖgern oder Nichtagieren gegen Rassismen. Dabei erfolgt der Angriff seitens der antirassistischen Gruppen v.a. im Protest gegen rassistische Strukturen, im Absprechen von Legitimität oder Seriosität des antirassistischen Tuns oder in der Vorhaltung, dass bestimmte antirassistische AnsprÜche nicht eingelÖst wurden.
Durch die politische Einbringung der Position der NichtbÜrgerInnen im Nationalstaat als neue AkteurInnen kommt es nicht nur zu einer thematischen Erweiterung sondern zu einer Umformung der gesamten politischen Landschaft und damit des Politischen per se. Kehrseite dieser Einlassung der vergleichsweise schwachen neuen AkteurInnen in die Auseinandersetzung mit den etablierten Kräften ist die Gefahr der Instrumentalisierung, der Legitimations- und Akzeptanzverschaffung für die ach so aufgeschlossenen und bemÜhten VertreterInnen der bestehenden Ordnung. Dementsprechend heikel und umstritten ist die Ausgestaltung des verhältnisses zu Parteien und bestehenden Interessengruppen.

Demokratisierung und equality targets spielen im Inneren des Netzwerkes eine große Rolle, um nach aussen hin legitim auftreten zu können. Ganz zentral war im Bereich der Repräsentation der Schritt des Aufbaus von legitimen Sprechpositionen von MigrantInnen und die Verdrängung der nicht diskriminierten StellvertreterInnen durch "organische Intellektuelle".


Das Netzwerk



Durch die FÜlle der Aufgaben entstehen in organisatorischer Hinsicht neue Netzwerk-Knoten (kleine, sich mehr oder weniger personell überschneidende Arbeitsgruppen mit funktionalen Schwerpunkten) (bzw. werden bestehende Organisationen zu einem Teil des Netzwerks). Die Knoten ziehen bunt arbeitsteilig einigermaßen am selben Strang. Von ihnen ausgehend werden neue FÀden zu neuen potentiellen VerbÜndeten gesponnen.

Die Nutzung des Internet zum Aufbau von schnellen Informationssystemen ermÖglicht auch die effiziente Anbindung an transnationale policy- und lobbying-Netzwerke. Mit der GrÖße des Netzwerkes wachsen die RÜckkoppelungs- und Synergieeffekte. Dabei wuchert das Netzwerk nicht chaotisch vor sich hin, sondern wird über mehrseitig offene InformationskanÀle, dadurch mÖgliche Interessenintegration und (nur für InsiderInnen) transparente Entscheidungsprozeduren "weich" gesteuert.

Solchermaßen entwickelt sich abseits des institutionell verankerten hegemonialen Arrangements eine Gegenmacht, die nicht auf Representation sondern auf Partizipation beruht. Damit treffen zwei vollkommen unterschiedliche Konzepte von Demokratie aufeinander, was ständig für Konfliktstoff sorgt. Obwohl das Netzwerk die Einmischung in politische Prozesse betreibt, kann es niemals zu einem neuen systemischen politischen Gegengewicht im Sinne des Gewaltenteilungkonzepts werden. Niemand kann für das gesamte Netzwerk sprechen. Bisher sind alle Initiativen zur Gründung einer (antirassistischen) MigrantInnen-Partei abgelehnt worden. Vielmehr betreibt das Netzwerk eine sukzessive Unterminierung staatlich-hierarchischer Steuerung, indem es der Hierarchie langsam die Gefolgschaft abgrÀbt. ANAR arbeitet dafür, dass dieser Prozess in Richtung Emanzipation und Selbstverantwortung weitergeht und letztendlich FrÜchte im Sinne effektiver Gegenmacht tragen wird.

Dabei gilt es, das enge Korsett der Identitätspolitik zu verlassen. Ein Ergebnis dieser überwindung sind neu entstehende KoalitionsmÖglichkeiten unter bislang getrennt agierenden Gruppen, auch außerhalb des unmittelbar dem Antirassismus verschriebenen Spektrums. Der Einfluss der Wiener Wahl Partie auf den Wiener Wahlkampf 2001 zeigt, wie erfolgreich die politisierte KünstlerInnenschaft, die Kulturszene, die Organisationen für eine "minoritäre Allianz", die niedrigschwelligen sozialarbeiterischen Jugendeinrichtungen und die politisch antirassistische StrÖmung in den neuen Netzwerkstrukturen zusammenarbeiten können.


Antirassistische Konfrontationen



ANAR-Tirol
ANAR-Tirol hat im vergangenen Jahr insbesondere 2 Aktionen in Angriff genommen. Zum einen wurde offiziell beim FlÜchtlingsbeauftragten des Landes Tirol eine Inspektion der FlÜchtlingsheime angekÜndigt und auch durchgeführt. Nach dieser fact finding mission wurde der FlÜchtlingsbeauftragte aufgrund der Misstände Öffentlich angegriffen, konnte aber nicht zum RÜcktritt bewegt werden. Kritisiert wurde v.a. die Isolation von FlÜchtlingen innerhalb österreichs durch Dezentralität der FlÜchtlingslager gleichbedeutend mit Verhinderung des Zugangs zur Integrationsinfrastruktur in den Städten.
Zweitens hat ANAR-Tirol im abgelaufenen Jahr ein Radioprojekt im freien Radio Tirol aufgebaut. Bei "Radio Freirad" sollen ebenfalls v.a. FlÜchtlinge eine Basis für politische Artikulation erhalten.

ANAR-Koroska
ANAR-Koroska ist in den Prozess der überregionalisierung eingetreten. Das Friedenshaus in Galizien ist nur mehr ein Standort von ANAR-Koroska, das sich selbst nunmehr gleichsam als Organisation für ein zehntes österreichisches Bundesland versteht und dementsprechend nicht nur in Kärnten sondern auch in Niederösterreich (v.a. Amstetten) agiert. ANAR Koroska hat sich insbesondere im mobilen Einsatz bei BehÖrden im Rahmen der Aktion "Racism Buyout" engagiert.

(ANAR) Oberösterreich
In Oberösterreich wurde die Anbindung an ANAR durch die Anbahnung einer Kooperation im Rahmen eines EQUAL-Projekts von Wiener Gruppen gemeinsam mit MAIZ in Linz vorangetrieben. Eine "reguläre" Regionalgruppe von ANAR in Oberösterreich (mit VertreterInnen von mehreren NGOs) hat sich jedoch noch nicht entwickelt.

ANAR-Wien
ANAR-Wien war nach dem Ende der Wiener Wahl Partie im März 2003 nach aussen hin nur durch vereinzelte diskursive Interventionen aktiv. Die politische Arbeit der ANAR-AktivistInnen hat sich insbesondere auf den neuen Zusammenschluss "österreich FÜr Alle Gleich" (ÖFAG) und auf die "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" verlagert. ÖFAG hat sich insbesondere um eine Koordination der Aktivitäten gegen den sogenannten "Integrationsvertrag" bemÜht. Dieser "Integrationsvertrag" sieht Zwangsdeutschkurse für MigrantInnen samt Geldstrafen und Abschiebedrohung bei Nichtbestehen der PrÜfungen vor. Dagegen hat auch die Wiener Integrationskonferenz eine Resolution verabschiedet (siehe http://www.no-racism.net/ANAR/integrationsvertrag/index.htm). ÖFAG hat die Mobilisierung der MigrantInnenvereine in dieser Angelegenheit vorangetrieben.
Die Plattform FÜr eine Welt ohne Rassismus hatten ihren AktivitätshÖhepunkt im Berichtszeitraum zunächst rund um die Proteste zur Freilassung der "Volxtheaterkarawane" im Juli und August 2001 und danach im März und April 2002 anlässlich des Prozesses gegen die 3 Fremdenpolizisten, denen die TÖtung von Marcus Omofuma zur Last gelegt wurde. Dabei wurden alle 11 bisweilen ganztägigen Gerichtstermine von mitschreibenden ProzessbeobachterInnen besucht. Das Verfahren wurde solchermaßen detailiert dokumentiert und der Öffentlichkeit (v.a. den JournalistInnen, die nicht immer beim Prozess sein konnten) via http://www.no-racism.net/racismkills/index.htm zugänglich. Anlässlich der Gerichtstermine gab es mehrere Aktionen, die parallel zur Dokumentation das Presseecho zu diesem Prozess verstärkt haben.

ANAR-homepage
Obwohl im Berichtszeitraum erste EntwÜrfe für eine eigene homepage von ANAR erstellt und diskutiert wurden, mangelte es doch an Arbeitskraft, um diese EntwÜrfe dann zum Leben zu erwecken. So hat sich innerhalb von no-racism.net nur ein Teilbereich einer ANAR-homepage, nämlich zum Thema "Integrationsvertrag" entwickelt (siehe oben). Allerdings sehen die AktivistInnen diesen Umstand nicht besonders negativ, denn es gibt keine wirkliche Markt- und InformationslÜcke im antirassistischen Feld, die durch eine ANAR-homepage dringen zu fÜllen wäre. Der gesamte virtuelle Raum von no-racism.net, zu dem ANAR-AktivistInnen ständig beitragen, hat mittlerweile gewaltige Dimensionen angenommen und ein großes LeserInnenpotential.