Quellenangabe:
Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung mit European Homecare (vom 15.05.2004),
URL: http://no-racism.net/article/749/,
besucht am 22.11.2024
[15. May 2004]
Die Firma European Homecare (EHC) bietet Betreuung in deutschen und seit einem halben Jahr auch Österreichischen Flüchtlingslagern an. Vom Innenministerium werden Leistungen von NGOs gekauft, von denen kritiklose Aufgabenerfüllung erwartet werden kann.
Die Versorgung von AsylwerberInnen ist in der Genfer Flüchtlingskonvention als Aufgabe des Staates klar geregelt. In Österreich ist damit das Innenministerium verantwortlich. Die Grundversorgung für AsylwerberInnen war in Österreich schon in der Vergangenheit nur rund einem Drittel, im letzten Jahr nur noch einem Fünftel der Schutzsuchenden zugänglich, nicht zuletzt durch die rechtswidrige Richtlinie, die Staatsbürger aus bestimmten Staaten von vornherein ausschloss. spätestens nach dem zweiten Urteil des Obersten Gerichtshofs im September 2003 war klargestellt, dass der Bund für die Versorgung aufzukommen hat.
Statt diesen Gerichtsbeschlusses umzusetzen, änderte Minister Strasser die gesetzlichen Grundlagen so, dass wiederum viele AsylwerberInnen auf die strasse gesetzt werden konnten. Im Dezember vereinbarte Strasser mit den karitativen Organisationen eine Winterlösung für AsylwerberInnen. Der "Weihnachtsfrieden", der die Unterbringung aller AsylwerberInnen bis Ende April sicherstellen sollte, beschert nun EHC ein völlig überfülltes Lager in Traiskirchen, aber auch entsprechende Einnahmen. Wer sich nach Traiskirchen begibt und den AusFührungen des Leiters von European Homecare, Eckhart Wilcke, lauscht, dem offenbart sich der triste Alltag eines Flüchtlingslagers, das nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt wird.
"European Homecare GmbH" ist ein seit 1989 bestehendes Unternehmen mit rund 220 MitarbeiterInnen und versorgt in Deutschland im staatlichen Auftrag rund 4000 Flüchtlinge in 20 Heimen, vorwiegend in ehemaligen Kasernen im Osten Deutschlands. In Österreich erregte EHC erstmals durch die Rückkehrberatung in Traiskirchen Aufsehen, mit der sie Mitte Oktober 2002 ohne öffentliche Ausschreibung vom Innenministerium beauftragt wurde. Die deutsche Firma hatte bis dahin keine Erfahrungen mit dieser sensiblen Materie und betrieb sie anfangs sehr unprofessionell, da sie glaubte, eben erst Angekommene Rückkehren zu können, ohne auf den Zermürbungsfaktor Österreich zu setzen. "Jetzt läuft s sehr gut", so Wilcke.
Seit 1.Juli 2003 ist European Homecare für den Betrieb der vier Bundesbetreuungseinrichtungen in Traiskirchen, Thalham, Bad Kreuzen und Reichenau zuständig. Das Konsortium aus erfahrenen NGOs wurde von EHC ausgebootet, denn es hatte in seinem Konzept die Kosten für die Betreuung höher als bisher angesetzt. Doch das ministerielle Schlagwort "Professionalisierung und mehr Qualität für Asylwerber" misst sich offensichtlich einzig am Preis. Davor betrug der Satz für einen Tag in Bundesbetreuung pro Person 15 Euro; EH bietet diese "Dienstleistung" zum Dumpingpreis von 12,89 Euro an.
Bei einer derzeitigen Belegung von 1741 Flüchtlingen bedeutet dies Einnahmen von rund 673.244 Euro monatlich. Davon sind 50 MitarbeiterInnen (davon 15 SozialbetreuerInnen) und die Mitarbeiter des Österreichischen Wachdienst, die Kosten für die Unterbringung sowie für die Verpflegung, Winterbekleidung, Hygieneartikel, Schulunterlagen und Transporte zu bezahlen. "Es bleibt sehr wohl etwas übrig, aber sehr, sehr minimal" so Wilcke.
In Hinblick auf den Aufbau eines europaweiten Images und das Spekulieren auf Folgeaufträge kann es jedoch dienlich sein, Aufträge anzunehmen, die betriebswirtschaftlich nicht so rentabel sind wie vielleicht erhofft.
Obwohl JournalistInnen nicht mit Flüchtlingen sprechen dürfen und ständig unter Begleitung eines Innenministeriumsbeamten sind, sagt eine Frau mit einem kleinen Kind an der Hand in einem unbeobachteten Moment: "Lager Katastrophe, Essen Scheisse". Damit konfrontiert, miemt Wilcke Unverständnis: Das Essen sei völlig in Ordnung, denn er esse das auch täglich. Trotzdem sehen wir viele Menschen mit Lebensmitteln ins Lager kommen, die sie sich wohl nicht zum Spass von 40 Euro Taschengeld kaufen. Das Fleisch wird von der Firma Apetito aus Deutschland eingeflogen und hier aufgewärmt. Der Zufall will es, dass die Firma dem Bruder des Geschäftsführers Korte gehört. In Köln haben sich im Herbst 2002 Roma gegen die Zwangsversorgung durch Apetito mittels Blockade der Lagerzufahrt gewehrt, bis sie wieder Geld von der Stadt bekamen, um sich selbst versorgen zu können. In Traiskirchen sind die Menschen aber auf dieses Essen angewiesen und "es wird ja jeder satt".
Das Lager selbst wird vom Innenministerium zur Verfügung gestellt, der laufende Betrieb ist Sache von EHC. Auf den verwahrlosten Zustand der Gebäude angesprochen, meint Wilcke, er sei zu Renovierungsarbeiten "nicht befugt", denn er sei "angewiesen auf die Republik Österreich". Einerseits ist EHC "Auftragnehmer und Dienstleister", andererseits will es ein herzeigbares Lager verwalten, ohne jedoch Druck auf das Österreichische Innenministerium ausüben zu können oder zu wollen.
Die Flüchtlinge im Lager Traiskirchen leben in Häusern mit bis zu 900 Menschen, in Zimmern mit bis zu 50 Personen auf engstem Raum zusammen, unter miserablen sanitären Bedingungen, eine ungewisse Zukunft vor Augen, ohne zu wissen, ob und wie lange sie im Lager bleiben werden - sie wurden schon bisher nicht betreut, sondern verwaltet. Menschen, die meist traumatisiert oder zumindest durch Flucht, Festnahme und Lagerleben gezeichnet sind, wird keine therapeutische Unterstützung zuteil. Nach Aussagen von Wilcke sind von den momentan 1741 Menschen im Lager "zwei bis drei" traumatisiert. Auf die Nachfrage, wie das "geschulte" Personal sie erkennt: "Das sind die, die herumlaufen und nicht mehr wissen was sie tun".
EHC hat zugesagt, alle früheren staatlichen MitarbeiterInnen der Bundesbetreuung zu übernehmen, also Privatisierung mit staatseigenem Personal, und Wilcke ist sichtlich stolz, dass er "zu 95 oder gar 98 % Arbeitsplätze für Österreicher bietet". Folgen wir seiner Logik, müsste das Lager, das für rund 800 Menschen angelegt ist, überbetreut sein, denn nach deutschen Erfahrungen sei ein Betreuungsschlüssel von 1 BetreuerIn für 100 Flüchtlinge "mehr als ausreichend".
Die "Schulung" der MitarbeiterInnen sei EHC wichtig, doch scheint sich diese auf interne Besprechungen mit KollegInnen aus der Geschäftszentrale in Essen zu reduzieren und dass sie regelmäßig darauf "hingewiesen werden", dass alle "Schutzbefohlenen" gleich zu behandeln seien.
Da AsylwerberInnen nicht arbeiten dürfen, besteht die einzige legale Möglichkeit darin, Arbeiten im Lager für behördlich festgelegte 3 Euro pro Stunde zu übernehmen, in Deutschland liegt der Satz bei 1 Euro.
Der Regionalleiter von SOS Menschenrechte Traiskirchen, Klaus Neumann betont die Wichtigkeit dieser BeschäftigungsMöglichkeit im Lager, berichtet von Schwarzarbeit in der Wiener Gastronomie um 1,20 Euro und spricht in diesem Zusammenhang von Ausbeutung. Die muss demnach wohl irgendwo zwischen diesen beiden Beträgen beginnen.
für das Betreten des Lagers muss dem Wachdienst eine Karte vorgewiesen werden, die neuerdings mit einem Lesegerät geprüft wird. Es ist daher möglich auszuwerten, wer wann das Lager verlässt und wieder kommt, eine überwachung, die auch Rückschlüsse auf Arbeitsverhältnisse ermöglichen würde, doch Wilcke verwehrt sich dagegen, dass solche Daten weitergegeben werden könnten.
Dem Innenministerium, das als Auftraggeber fungiert, erwachsen neben der Kostenfrage zahlreiche Vorteile daraus, eine Firma zu beschäftigen. Ein abhängiges Dienstleistungsunternehmen stellt keine lästigen menschenrechtlichen Fragen oder plädiert gar für die Einhaltung von Mindeststandards. Eine Privatfirma lässt auch sicherlich keine öffentliche Kritik an den katastrophalen Zuständen im Lager verlauten. Sollte die Situation eskalieren, wie im Sommer 2003, als es zu einer MassenschlÀgerei gekommen war, die ein junger Tschetschene mit dem Leben bezahlt hat, oder wie bei den kürzlich verlauteten Vorwürfen der Vergewaltigung sowie Folter- und Misshandlung, ist es für Strasser praktisch, sich auf das Versagen der Privatfirma ausreden können. Die Verantwortung wird abgeschoben.
Dieselbe Strategie bietet sich auch für EHC an, wenn es um die Vergewaltigung einer Asylwerberin durch einen Mitarbeiter des von ihr engagierten Wachdienst geht. Wilcke behauptet im Interview, dass die Ermittlungen gegen den angeblichen Täter eingestellt seien, während dieser weiterhin in Untersuchungshaft ist und von einer Einstellung der Ermittlungen nicht die Rede sein kann. Mediales Herunterspielen und Anlassverbesserungen ändern nichts an den strukturell angelegten und fast zwangläufig skandalträchtige Vorfälle produzierenden Zuständen.
Heinz Patzelt, Generalsekretär von amnesty international Österreich sieht sich aufgrund der Foltervorwürfe gezwungen, Traiskirchen "als ein Lager zu qualifizieren, in dem Angst und Einschüchterung herrschen" - keine gute Reputation für EHC.
Doch EHC ist bereits mit der spanischen und englischen Regierung in Gesprächen über weitere Aufträge und sieht auch in der Osterweiterung eine Chance: "Die Flüchtlinge sind in ganz Europa und sie sind ja auch jetzt schon in den Beitrittsstaaten und auch diese länder, davon bin ich persönlich überzeugt, werden irgendwann dazu übergehen, an private Betreiber zu übergeben und dann wird es dort genauso Ausschreibungen geben und dann werden wir uns auch da beteiligen."
Auch in Bezug auf die Aufgaben ist EHC flexibel und hat keine Skrupel Aufgaben zu übernehmen, die NGO s bislang abgelehnt haben: "Wenn sich andere Bereiche anbieten werden wir das tun, so wie wir momentan auch Betreuung in einer Abschiebeeinrichtung machen in Deutschland". Wilcke sieht beispielsweise kein Problem darin, die Betreuung in Schubhaft mit Rückkehrberatung zu kombinieren - dass es keine `freiwillige` Rückkehr aus der Zwangssituation in Schubhaft geben kann, sieht er nicht.
Im Februar 2003 wurde der Vertrag für die Schubhaftbetreuung mit der Caritas und der Volkshilfe gekündigt und diese Aufgabe an den neugegründeten Verein Menschenrechte Österreich unter Günther Ecker übertragen. Der Zugang zu den Gefangenen ist seither erschwert und es dringen kaum noch Informationen nach aussen. Günter Ecker wurde bis jetzt aus beinahe allen NGO Zusammenhängen wegen seiner guten Beziehungen zum Innenminsterium ausgeschlossen. Er und alle Organisationen, die er noch gründen könnte, können unter dem Begriff GONGO (government organised Non-government Organisation) subsumiert werden. Auch von diesen kann eine kritiklose Aufgabenerfüllung erwartet werden.
Laut Verordnungsentwurf sind für die Erstaufnahmezentren die Gemeinden Traiskirchen (NÖ), Thalham in St. Georgen im Attergau (OÖ) und Schwechat (NÖ) vorgesehen. Zufälligerweise sind dies jene Bundesländer, in denen SOS Menschenrechte für die Schubhaftbetreuung und damit möglicherweise auch für die Beratung in den Erstaufnahmezentren zuständig sein wird.
Mit 1. Mai tritt das neue Asylgesetz in Kraft, aufgrund dessen nur die wenigsten Flüchtlinge zum Asylverfahren zugelassen werden. Der großteil kann dann gleich abgeschoben werden. Durch diese Reduzierung der AsylwerberInnenzahlen kann Strasser die gemeinsam mit den ländern finanzierte und bereits unterzeichnete Grundversorgungsvereinbarung umsetzen. Diese widerspricht allerdings in vielen Punkten der EU-Richtlinie, nach der alle AsylwerberInnen ab 5. Februar 2005 untergebracht werden müssen, denn auf die staatliche Versorgung besteht weiterhin kein Rechtsanspruch.
Diese faktische Abschaffung des Asylrechts bedeutet für die privatisierte Flüchtlingsbetreuung lediglich eine Änderung des Geschäftsfeldes: In Lagern wie Traiskirchen erhöht sich wahrscheinlich nur die Durchlaufgeschwindkeit, hinzu kommen werden ein erhöhter Aufwand für die Sicherheit, da ein unbegründetes Verlassen des Areals untersagt ist, und neue Aufgaben in der Rückkehrberatung - an denen European Homecare sicherlich auch wachsen wollen wird, um sich gegen die anderen international tätigen Mitbieter behaupten zu können.
Auch andere internationale Organisationen im MigrationsGeschäft sorgen für die Umsetzung einer restriktiven Asyl- und Rückkehrpolitik, die Sicherung der Festung Europa und eine Zerschlagung der Fluchtrouten nach Europa. Die International Organisation for Migration oder das International Center for Migration Policy Development betrachten die nationalen Regierungen als ihre Kunden, für die sie selbstverständlich alles machen können. Vermehrt steht nicht der Schutz der Flüchtlinge, sondern das vermeintliche Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung im Vordergrund. Bei der Verwahrung in Abschiebegefängnissen profitieren Firmen wie der weltweit zweitgrößte Sicherheitskonzern "Group 4 Falck", der unter anderem sechs britische Schubgefängnisse bewacht. Auch Abschiebungen werden zum Geschäft, an dem ReiseBüros und Fluglinien verdienen, wenn beispielsweise die Niederlande in den nächsten drei Jahren insgesamt 26.000 abgelehnte Asylsuchende abschieben.
Die Situation in den Flüchtlingslagern interessiert abseits von Skandalen medial nicht. Die gefährliche Kombination aus Verschwiegenheit seitens der Lagerleitung und abhängigkeiten seitens der gekauften NGOs macht es immer schwerer, Informationen zu bekommen und öffentlich Kritik zu üben. Die Asyl- und Abschiebmaschinerie funktioniert immer reibungsloser.
Auch das AbschiebeGeschäft könnte in Zukunft nach ministerieller Ausschreibung zu den tätigkeitsfeldern von Privatanbietern gehören. Wilcke, ehemaliger Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und nun Leiter einer aufstrebenden Firma, meint dazu: "Wir transportieren ja heute schon Flüchtlinge, nämlich von Traiskirchen in irgendwelche Gasthöfe und ob das nun ein Bus ist, ein Zug oder ein Flugzeug, ist egal, weil wir betreuen die Leute bis zum Schluss."
von Irene Messinger, erscheinen unter dem Titel "Outsourcing der Menschenverwaltung - Privatisierung der Flüchtlingsbetreuung mit European Homecare" in contextxxi 2-3/2004