Quellenangabe:
Kommunique zur Freiraum-Schaffung in Wien (vom 26.07.2004),
URL: http://no-racism.net/article/895/,
besucht am 27.12.2024
[26. Jul 2004]
Folgendes Kommunique ist eine Moment- Aufnahme. Ziele und Wege sollen ständiger Modifikation durch die AktivistInnen unterliegen, ständig neu reflektiert und festgelegt werden.
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 um einen Ort und eine Infrastruktur zu haben, die es uns und auch euch ermöglicht, Ideen und Vorhaben zu verwirklichen, die das Leben besser machen. Wenn wir auch nur irgendwie an der Idee von einem selbstbestimmten und schönen Leben festhalten wollen, gilt es zuerst die Möglichkeiten von emanzipativer Gesellschaftskritik zu erweitern und radikale Versuche zu starten, um unsere Ideale experimentell umzusetzen.
Deshalb wollen wir ein offenes soziales Zentrum aufbauen!
- ein ständig offener Raum als Treffpunkt!
- Platz um Projektideen umzusetzen!
- ein autonomer Frauenraum
- eine offene Küche und Bar
- Kulturkritische Projekte und -veranstaltungen! (Galerie, Theater...)
- kritische (Nicht-)Universität! (Diskussionen, Lesekreise...)
- Kostnix-Laden!
- freie Kinderstube!
In unserer Gesellschaft wird Herrschaft nicht nur durch direkte Staatsgewalt und ökonomische Zwangzusammenhänge ausgeübt, sondern vor allem auch in unseren Köpfen, Vorstellungen und körpern. Sie funktioniert dadurch, dass sie unsere Wahrnehmung der Realität, unser Handeln und unsere Identitäten strukturiert und dadurch schafft. Macht wird so vor allem in unserem alltäglichen Leben, in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen und in den Bildern, die wir von uns selbst und der Welt haben, reproduziert. So sind auch Konzepte wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Volk, Nation und Klasse u.a. nichts naTürliches, sondern gesellschaftlich produzierte errschaftsmechanismen, mit deren Hilfe Unterscheidungen zwischen Menschen gezogen werden und dadurch Ausbeutungsverhältnisse aufrechterhalten werden. Dabei sollten wir uns im klaren sein, dass wir selbst Teil dieser Gesellschaft sind und all diese Herrschaftsachsen verinnerlicht haben. Eine sich als emanzipativ verstehende Praxis muss deswegen vor allem in Auseinandersetzung mit uns selbst ansetzten.
Die Ordnung, die wir den Dingen und Ereignissen geben; die Welt, die wir sehen und in der wir leben, wird durch dominante Bedeutungszusammenhänge und Unterscheidungssysteme aufrechterhalten. Um gegen diese ankämpfen zu können, müssen wir der herrschenden Normen und Werte bewusst werden, sie unterlaufen, zerlegen, subvertieren, entfremden, klauen und gegen sich selbst wenden. Wir wollen uns nicht mehr in Zwangsidentitäten reinzwÀngen, unser Verhalten normieren und disziplinieren; wir wollen neue Formen des Zusammenlebens und des Seins erfinden, inszenieren und leben. Dieser Widerstand muss überall stattfinden; um jedoch nicht allein an der übermacht der herrschenden Ordnung zu verzweifeln, brauchen wir Orte, an denen wir unsere Kräfte sammeln und gegenseitig verstärken können.
Unser tägliches Leben wird immer mehr von Knappheit und vom Verteilungskampf um den überfluss bestimmt. Eigentlich gibt es zuviel Von allem und dank steigender Produktivkraft wird es auch immer mehr. Trotzdem werden wir mit kürzungen von Sozialleistungen, steigenden Preisen, Studiengebühren usw. konfrontiert. täglich wächst der Effizienzdruck und der Zwang, jede Sekunde so profitabel wie möglich zu nutzen. Die Schaffung von abstraktem Wert, Arbeit und Produktion erscheinen als unausweichliche Selbstzwecke. Die einzige Möglichkeit zu überleben liegt in diesem verhältnis zu arbeiten und Geld zu verdienen. Die daraus resultierende Eigendynamik steuert und beeinflusst zahlreiche gesellschaftliche Vorgänge, ohne dass die Menschen darauf maßgeblichen Einfluss zu nehmen scheinen können. Die sozialen verhältnisse zwischen Menschen werden so tendenziell zu verdinglichten verhältnissen zwischen Sachen, die der Möglichkeit menschlicher Gestaltung scheinbar entzogen sind. Mit dem Eindringen der kapitalistischen Wirtschaftsweise in alle Lebensbereiche werden so auch alle zwischenmenschlichen Beziehungen zu Warenbeziehungen. Von überbordernder ökonomisierung und VerBürokratisierung von allem und jedem erdrückt, bleibt für die Freiheit der einzelnen Individuen kein Platz. Ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Gesellschaftsmodell und ein vernünftiger Umgang mit der Natur sind keine Ziele, die in diese Abstraktionen passen. Die herrschende Ordnung verdinglicht die persönliche Verstrickung und verringert die Möglichkeit der radikalen Kritik und Selbstreflexion.
Genau diese Möglichkeit wollen wir schaffen in dem Versuch die UnMöglichkeit eines Freiraumes anzustreben. Einen Riss in der Realität an der wir nach Lebenslust und Kreativität suchen können, an der wir Fähigkeiten und Träume miteinander und füreinander einbringen können; an der wir mit Formen des Zusammenlebens experimentieren können. Wir laden alle Menschen, die Zweifel am Status Quo haben ein, sich an diesem Prozess zu beteiligen oder uns zu unterstützen.
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, aber zu mindest die Möglichkeit unser Leben angenehmer zu gestalten. möglich wird dies indem wir Freiheiten in den uns umgebenden Zwängen suchen, verteidigen und ausdehnen. Dazu wollen wir bereits im hier und jetzt mit Projekten modellhaft experimentieren, die unsere Vorstellungen einer herrschaftsfreien Gesellschaft in sich tragen.
Ein Cafe, eine offene Küche und ein Raum für Veranstaltungen, wie Konzerte, Theater, Diskussionskreise, Kino können solche Projekte sein. Statt durch übliche autoritäre Hierarchien, soll ein bunter Ort entstehen, der von allen die ihn nützen mitgestaltet wird. außerdem sollten sich die Projekte der gängigen Vermittlung über Ware und Tausch möglichst entziehen, auch wenn Einkaufs-, Reparaturkosten, Genehmigungen usw. das sehr erschweren werden. Kritische Projekte können über diese lÀstigen Notwendigkeiten, über vermittelte Herrschaft und deren Verinnerlichung- Identitäten, Geschlechterverhältnisse, Unterdrückungsmechanismen -reflektieren. Aus Erfahrung wissen wir, dass Frauen in gemischten Umgebungen anders agieren als in männerfreien räumen. Daher wird es einen autonomen Frauenraum geben.
"Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei", heißt es in großen Lettern am Stiegenaufgang des Neuen InstitutsGebäudes. Gerade diese Idee der freien Wissenschaft dient der Herrschaft, indem sie jene legitimiert, verkörpert, begründet und von dieser konstruiert wird. Die Freiheit die hier gemeint ist, kann wohl kaum die Möglichkeit kritischen Denkens sein. Deswegen wollen wir einen Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen jenseits des unreflektierten Weitertradierens des wissenschaftlichen Mainstreams. Mit möglichst wenig Bevormundung und Einschränkung durch vielfältige ZwÀnge sollen bestehende verhältnisse analysiert und Alternativen entworfen werden. Damit niemand vom Dialog ausgeschlossen wird, muss ein Raum geschaffen werden, der Allen zugänglich ist.
In der "Kritischen Nicht-Universität" soll in den Blick geraten, was ohnehin augenscheinlich ist, aber nicht gesehen werden will. Hier soll ein Gegenmodell zu hierarchischen Ausbildungsstrukturen entstehen, ein pluralistisches Forum, in dem Widersprüche zugelassen und gesucht werden, in dem soziale, ökonomische und kulturelle Prozesse analysiert und kontroversiell diskutiert werden. für uns ist diese Auseinandersetzung nicht bloße Betrachtung abstrakter Prozesse, die uns nur als ZuschauerInnen interessieren. Theorie und Praxis stehen in direktem Zusammenhang - die theoretische Analyse soll Anleitung und Ausgangspunkt für emanzipatorisches Handeln sein.