Quellenangabe:
An der Aussengrenze von Schengen (vom 03.08.2004),
URL: http://no-racism.net/article/908/,
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[03. Aug 2004]
Das im Februar 2004 fertiggestellte Zentrum in Timisoara sticht mit seinen zahlreichen flachen und weissen Bungalows in dem ärmlichen, fast bäuerlich geprägten Ortsteil am Rande der westrumänischen Stadt hervor. Man bereitet sich auf den Beitritt zur EU vor.
"Albert Einstein - der weltweit bekannteste Flüchtling" steht auf dem Plakat neben dem Konterfei des bekannten Physikers, der sich schon lange vor dem Machtantritt der Nazis in Sicherheit gebracht und später vielen Naziopfern bei der Flucht geholfen hatte. Daher fragt man sich schon, ob es nicht etwas zynisch ist, ein solches Plakat ausgerechnet im Foyer eines rumänischen Flüchtlingslagers am Rande von Timisoara zu sehen.
Das im Februar 2004 fertiggestellte Zentrum sticht mit seinen zahlreichen flachen und weissen Bungalows in dem ärmlichen, fast bäuerlich geprägten Ortsteil am Rande der westrumänischen Stadt hervor. Schmale Feldwege, die bei Regen mit Schlamm bedeckt sind, führen zu dem Lager. Liviu Bisca steht schon am Tor, um die bunt zusammengewürfelte Schar zu begrüßen. Sie hat sich als Studentenhruppe vorgestellt, die über das Migrationsregime an der Ostgrenze der Schengenstaaten forschen will.
Vielleicht ahnt er, dass es eher politische Gründe sind, die die Menschen aus Deutschland, Kanada und den USA zu der westrumänischen Stadt geführt haben. Tatsächlich handelt es sich Aktivisten, die sich im Rahmen einer Noborder-Tour über den Umgang mit Flüchtlingen in Rumänien informieren wollen. Schließlich wird das Nato-Mitglied Rumänien im Jahr 2007 auch der EU angehören und der östlichste Verteidigungsposten der "Festung Europa" sein.
Doch schon heute werden Flüchtlinge, die in einem EU-Staat Asyl begehren, nach Rumänien zurück geschickt, wenn sie von dort gekommen und dann weitergereist sind. Denn das Land gilt als sicherer Drittstaat, der für die Asylbegehrenden zuständig ist. Sie sollen dann in solchen Flüchtlingszentren die Entscheidung über ihren Asylantrag abwarten. Das Lager in Timisoara ist für 250 Menschen eingerichtet. Doch zur Zeit ist es höchstens zu 15 % belegt, bestätigt Ava Diaconu, die für die Befragung der Asylbewerber zuständig ist. Sie ist aber überzeugt, dass sich die Zahl der Flüchtlinge schnell vergrößern wird.
"Wenn Rumänien erst einmal in der EU ist, stehen die Flüchtlinge Schlange", meint auch ihr Chef Liviu Bisca. Wir sollen dafür sorgen, dass sie nicht in die EU kommen, erklärt er ganz offen. Deshalb ist der Bau des Lagers auch EU-Mitteln finanziert worden. Im Foyer, nicht weit vom Einstein-Plakat, sind auch unübersehbar die Flaggen von EU und Nato platziert. Ebenfalls mit EU-Geldern wurde ein internationaler Kongress im Mai 2004 gesponsert, der die rumänischen Institutionen mit der Flüchtlingspolitik der Schengen-Staaten vertraut machen sollte. Deutsche Beamte sollen dort besonders stark vertreten gewesen sein. "Bei uns läuft alles wie in Deutschland", betont Bica denn auch immer wieder.
Auch deutsche Disziplin wird von dem ehemaligen Polizisten im Drogendezernat in Bukarest groß geschrieben. "Bei uns geht es zu, wie in einer großen Familie", umreißt er das verhältnis zu den Flüchtlingen. "Halten sie sich an die Regeln, werden sie gut behandelt. Verstoßen sie gegen die Regeln, dann werden sie bestraft." Das kann passieren, wenn die Insassen nicht bis 22 Uhr im Lager sind. Was die Betroffenen selber zu dieser Behandlung meinen, können wir nicht erfahren. für einen Kontakt mit ihnen müssen wir ebenso wie für eine Besichtigung der Zimmer, in denen die Asylbewerber untergebracht sind, in Bukarest eine Erlaubnis beantragen.
Auch das genaue Prozedere des Asylverfahrens ist dem Schengen-Vorbild angeglichen. "Bei uns zählt nur die individuelle Bedrohung", betont Flüchtlingsbefragerin Diaconu. "Ob in einem Herkunftsland Krieg oder allgemeine Unsicherheit herrschen, ist nicht von Belang", erklärt sie. "Ab 2007 sind wir mit der EU-Familie", erklärt Bisca zum Abschied freundlich lachend. Doch sicher werden die meisten der Insassen des Flüchtlingscamps von Timisoara in dieser Familie keinen Platz haben.
Artikel von Peter Nowak - erschienen bei "Telepolis - Magazin der Netzkultur"