Quellenangabe:
Resumee am Ende der ersten Etappe der Anti-Lager-Tour (vom 28.08.2004),
URL: http://no-racism.net/article/924/,
besucht am 07.11.2024
[28. Aug 2004]
Am Ende der ersten Etappe ihrer Protesttour am Abschiebelager Bramsche (BRD) veröffentlicht die Anti-Lager-Tour ein Resumee zu den bisher stattgefundenen Aktivitäten.
"Es ist uns gelungen, an diesem Abschiebelager die Politik der Isolation zu unterlaufen und Kontakt zu den Flüchtlingen im Lager aufzunehmen, obwohl ein massives Polizeiaufgebot, EinschÃŒchterung und gezielte Verleumdungen zwischen uns und die Flüchtlinge im Lager aufgestellt wurden. Obwohl wir keine Chance hatten, rein zu kommen wegen ihrer unverhohlenen Machtdemonstration, schafften wir es mit unserer Kraft, die Flüchtlinge rauszuholen: wir trafen uns draussen. Das ist eine Ermutigung für uns alle" So eine Sprecherin von der Anti-Lager-Tour.
Deshalb gab es am letzten Tag des Protest-Camps auch ein unerwartetes Frühstück vor dem Lagertor, zu dem nach und nach immer mehr Flüchtlinge aus dem Lager dazu stießen.
Auf das Gelände des Lagers waren skandalöserweise während des Protestcamps zwei Hundertschaften Polizisten stationiert worden. Die Flüchtlinge waren vor den Anti-Lager-Aktivisten und Aktivistinnen gewarnt worden, daß diese Nazis und gegen sie seien, außerdem sei eine Zusammenarbeit nachteilig für sie.
Den Flüchtlingen waren generell Reiseerlaubnisse für die Tage des Protestcamps angeboten worden, die sonst nur in Ausnahmefällen gewährt werden. Anders als bei der Protest-Karawane vor 2 Jahren sah sich die Leitung des Abschiebelagers allerdings dieses Mal wegen der großen öffentlichen Aufmerksamkeit dazu genötigt, den Flüchtlingen zuzusichern, dass sie an den Protesten teilnehmen können.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für die verhältnisse im Abschiebe-Lager Bramsche hat bereits vor Ankunft der Anti-Lager-Tour erste Folgen gezeigt:
In den zwei Wochen davor waren viele Familien aus dem Lager entlassen, d.h. in Kommunen umverteilt worden. Ebenso konnten viele der Tschetschenen, die Protestschreiben an die Öffentlichkeit geschickt hatten, das Lager verlassen - nach diesen Protestschreiben hatte selbst der stellvertretende Leiter des Lagers in Frage gestellt, ob ein Lager der geeignete Aufenthaltsort für möglicherweise kriegstraumatisierte Flüchtlinge sei. Das Innenministerium hatte schließlich den UnterstützerInnen für November ein Gesprächsangebot gemacht.
Die Anti-Lager-action-Tour will auch die LebensRealität von Flüchtlingen hinter den Lagerzäunen sichtbar machen. Während des Aktionscamps in Hesepe wurde uns berichtet, dass ein Mann im Abschiebelager gestorben war, für den es offenbar keine fachärztliche Behandlung gegeben hat. Eine Frau war mit einer hochinfektiÃŒsen TBC ins Krankenhaus gekommen, jedoch nur die MitarbeiterInnen und die ZimmernachbarInnen geimpft/untersucht worden. (siehe Anhang)
Die Anti-Lager-Tour zieht heute als Konvoi mit 100 Menschen weiter zu ihrer nächsten Station: in die Landeshauptstadt, ihrem Abschiebeknast und den Regierungsverantwortlichen für die niedersächsische Lagerpolitik.
Zum Abschied am Morgen kam ein Flüchtling aus dem Lager Bramsche-Hesepe vorbei, der freudig berichtete, daß über Nacht ca. 15 Meter des Zaunes, der das Symbol für die Ausgrenzung der Insassen des Lagers ist, verschwunden sind.
ANHANG:
Herzinfarkt/TBC: Im März diesen Jahres verstarb ein Mann am Herzinfarkt. In den Tagen zuvor hatte er mehrfach die Sanitätsstation aufgesucht und über eindeutige Symptomatiken einer koronaren Herzkrankheit geklagt. Trotzdem wurde er nicht einer fachärztlichen Behandlung unterzogen. Dieser Mann könnte bei korrekter medizinischer Versorgung noch leben.
Einseitige Ernährung mit selten frischem Obst und GemÃŒse:
Es war beim Frühstück vor dem Lagertor beschämend zu sehen, wie sich dankbar MÃŒtter mit Gurken, Tomaten und Obst eindeckten und dieses mit ins Lager nahmen. Obwohl auch die Flüchtlinge das Frühstück vor dem Lagertor als eine symbolische Aktion sahen, wiesen sie ein weiteres Mal mehrfach darauf hin, daß es ein abwechslungsreiches und gesundes Essen im Lager nicht gibt.
Lagerschule:
daß die Kinder seit März diesen Jahres nur im Lager zur Schule gehen können, wurde von ihnen nicht begrÃŒÃt. Mehrere berichten, sie würden viel weniger lernen, weil es nur Kurse gibt und keine Regelbeschulung. Ein Mädchen erzählte, daß eine Freundin aus Hesepe, die sie während des früheren gemeinsamen Schulbesuchs kennen gelernt hat, sich manchmal als ihre Schwester ausgeben würde, um sie zu besuchen. Symbol für diese zusätzliche Isolation der Kinder durch die Lagerschule ist die überdachte Bushaltestelle, die als einzige Reaktion auf einen Brief der Kinder aus dem Lager an Ministerpräsident Chr. Wulf während der Tagung zur Kinderrechtskonvention errichtet wurde. Sie ist mit dem Wegfall des Schulbusses funktionslos geworden.
Alle Flüchtlinge, die das Aktionscamp besuchten, klagten über den Druck zur sog. Freiwilligen Ausreise. Es ist unverständlich für diese Menschen, daß sie im laufenden Asylverfahren durch die Lagerunterbringung und alle begleitenden Schikanen zum Verlassen des Landes gedrängt werden sollen.
Streichung des Taschengeldes:
Eine der Schikanen, die den Lageraufenthalt unerträglich machen sollen und die Isolation fördern, ist die Streichung des Taschengeldes, wenn Flüchtlinge das Papier zur "Freiwilligen Ausreise" nicht unterschreiben. Ohne Geld haben die Menschen kaum Bewegungsfreiheit. Eine Fahrt in die nächste größere Stadt OsnabRück kostet z.B. 9 Euro. Und selbst wenn die Flüchtlinge den gesamten Betrag des Taschengeldes von knapp 40 Euro im Monat erhalten, der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehen ist, ist es selten möglich, damit die nähere Umgebung des Lagers, das mitten im Wald liegt, zu verlassen. Ganz abgesehen davon, daß von diesem Taschengeld noch weitere Bedürfnisse des alltäglichen Lebens gedeckt werden müssen. Arbeiten dürfen Flüchtlinge, die sich im Asylverfahren befinden, in Deutschland nicht, es werden ihnen im geringen maß Jobs nach dem Bundessozialhilfegesetz für einen Euro die Stunde angeboten. Auch diese Möglichkeit des geringfügigen Verdienstes wird verwehrt, wenn nicht in die "Freiwillige Ausreise" eingewilligt wird.
Wir stellten fest, daß auch aus Braunschweig und HH Flüchtlinge in das Lager eingewiesen werden: Offenbar wird jetzt schon seit längerer Zeit das Einzugsgebiet für die Einweisung von Asylsuchenden erweitert.
Es hat sich im Kontext der Anti-Lager-action-Tour herausgestellt, dass auch die Heseper Bevölkerung über die Flüchtlinge im Lager fehlinformiert wurde: Auf einer Veranstaltung des Landesinnenministeriums im März diesen Jahres war den Heseperinnen und Hesepern gesagt worden, daß sich in Lager Flüchtlinge befinden, deren Asylantrag abgelehnt ist, und die nun auf ihre Abschiebung warten. Dass es sich um Flüchtlinge im laufenden Verfahren handelt, die trotzdem dem Ausreisedruck unterworfen werden, mussten die Leitung des Lagers und das Landesinnenministerium jetzt eingestehen.