Quellenangabe:
Festung Europa: Beispiel Spanien (vom 23.10.2004),
URL: http://no-racism.net/article/995/,
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[23. Oct 2004]
Die sozialistische Regierung in Madrid baut das Hightech-System zur Abwehr von Flüchtlingen an der Südküste des Landes aus.
Gerade einmal 12,9 Kilometer trennen Spanien an der Meerenge von Gibraltar von Nordafrika. Bei guten Wetterbedingungen kann man die jeweils andere Küste sehen. Und doch trennt die kurze Strecke zwei Welten. Tausende Menschen, die vor wirtschaftlicher Not, bürgerInnenkriegen oder politischer Verfolgung fliehen, versuchen Jahr für Jahr die Strasse von Gibraltar nach Spanien zu überwinden. Der Anreiz ist hoch: Wem die überfahrt nach Spanien gelingt, die/der kann sich (mit Einschränkungen) bis auf weiteres frei in allen Ländern der Europäischen Union bewegen. Entsprechend groß ist die Anzahl der Flüchtlinge. Nach Italien hat daher auch die spanische Regierung eine härtere Gangart gegenüber Illegalisierten angekündigt. Bis zum Jahr 2008 will Madrid zusätzliche 130 Millionen Euro in das "Integrierte elektronische System zur Aussenüberwachung" (SIVE) investieren.
Dieses System der elektronischen überwachung der Südküsten wurde im Jahr 2002 unter der rechtskonservativen Regierung von José Maria Aznar in Betrieb genommen (Elektronischer Schutzwall gegen EinwanderInnen [1]). Zunächst bestand das SIVE damals nur aus Stützpunkten auf den Kanaren und an der Meerenge von Gibraltar. Seit Baubeginn im Jahr 2000 ließ sich Madrid die Flüchtlingsabwehr 106 Millionen Euro kosten. Von 18 autonom arbeitenden Überwachungstürmen aus werden rund 5.000 Quadratkilometer Wasserfläche mit Radargeräten und Infrarotkameras nach Flüchtlingsbooten aus Nordafrika abgetastet. Binnen kommenden Jahres sollen nun sieben weitere dieser Stationen errichtet werden. Statt der bislang arbeitenden 17 Patrouillen sollen künftig 52 Boote der Küstenwache in den südspanischen Gewässern operieren. Nach Angaben der paramilitärischen Guardia Civil sei der Ausbau notwendig, weil die Menschen nach Beginn der elektronischen Kontrolle zunehmend auf die Küsten vor Granada und Almeria ausgewichen seien.
Mit den Radargeräten kann ein Flüchtlingsboot mit der Grundfläche von zwei mal sechs Metern auf 20 Kilometer geortet werden. Die ebenfalls fest installierten Wärmebildkameras können auf 7,5 Kilometer zwei Menschen voneinander unterscheiden. Bei einer Ortung wird aus den Überwachungszentren in Cadiz, Malaga, Lanzarote und Fuerteventura die Guardia Civil bedarfsgerecht alarmiert. Die "Erfolge" dieses elektronischen Schutzwalls sind nicht zu übersehen. Im Jahr 2002 wurden noch 22 Prozent der registrierten Flüchtlingsboote nicht festgesetzt - zuletzt waren es nur noch vier Prozent.
Mit der zunehmenden Kontrolle der Grenzen geht eine politische Verhärtung einher. Immerhin wurde noch im Januar 2000 auf den Druck der spanischen SozialistInnen ein durchaus liberales AusländerInnengesetz verabschiedet. Darin wurde ImmigrantInnen das Recht auf Bildung oder das Streikrecht eingeräumt. Nur ein Jahr später machte die rechtskonservative Aznar-Regierung diese Zugeständnisse mit einem rückständigen Einwanderungsgesetz wieder zunichte. Eine zweifelhafte Strategie, die nun von der sozialistischen Regierung unter José Luis Rodriguez Zapatero fortgeführt wird.
Durchaus fraglich ist dabei aber auch, inwiefern Madrid angesichts des gesamteuropäischen Abschottungsmechanismus überhaupt Möglichkeiten zur Gestaltung einer eigenen Grenz- und Flüchtlingspolitik hat. Neben den politischen Erwägungen stehen hinter dem Ausbau der Interessen schließlich auch handfeste wirtschaftliche Interessen. So spielten beim Auf- und Ausbau des SIVE-Systems zur Grenzüberwachung neben spanischen Unternehmen auch einflussreiche internationale Rüstungsunternehmen wie Raytheon, Thomson, Marconi und Elta eine Rolle. Für die Lieferung der optischen Überwachung hatte sich seinerzeit das deutsche Unternehmen Carl Zeiss angeboten.
Die Ausweitung der Flüchtlingsabwehr in Spanien weist einmal mehr auf die zunehmende Militarisierung [2] der EU-Grenzregime hin. Der Vorläufer des SIVE-Systems hatte 1998 schließlich mit dem Programm "Südgrenze" begonnen, für das schon damals ausgemusterte Hubschrauber der Luftwaffe verwandt wurden. Seither hat sich viel getan, nicht nur in Spanien. In den 2003 überarbeiteten Verteidigungspolitischen Richtlinien [3] der deutschen Bundeswehr heißt es dazu:
"Ungelöste politische, ethnische, religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikte wirken sich im Verbund mit dem internationalen Terrorismus, mit der international operierenden organisierten Kriminalität und den zunehmenden Migrationsbewegungen unmittelbar auf die deutsche und europäische Sicherheit aus."
In der Tat ist mit einer Verschärfung [4] der Lage zu rechnen. Im Gespräch mit der Financial Times Deutschland nannte Mehdi Lahlou vom Nationalen Statistikinstitut Marokkos eine ernüchternde Zahl. Im Jahr 1984, so Lahlou, habe der Einkommensunterschied zwischen Spanien und seinem Land bei einem Verhältnis von eins zu sechs gelegen. Heute liegt das Durchschnittseinkommen in Spanien dreizehn mal höher als in Marokko.
[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12798/1.html
[2] http://www.cilip.de/ausgabe/69/sive.htm
[3] http://www.bmvg.de/sicherheit/vpr.php
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/16091/1.html
Dieser Beitrag von Harald Neuber wurde am 22. Okt 2004 in Telepolis, Magazin für Netzkultur veröffentlicht und von no-racism.net leicht überarbeitet. (Link zum Original)