die dreigroschenoper  




"Die Dreigroschenoper" von Brecht/Weill -

Aufführungen im EKH Herbst 1994 - September 1995


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Text aus der Broschüre zur Aufführung der Dreigroschenoper:

Werte Opernfreunde


Vielleicht kennen Sie das (Ernst Kirchweger) Haus gar nicht, mag sein, sie kennen des als Concertsaal, als Bar, als Haus vollen Fremder, Kurden, Zigeuner, Afrikaner, als Haus voller lärmender Kinder und Hunde, als Ort politischer Ansprüche, der Information und Kommunikation, oder nur als Baustelle. Wie auch immer, sie sollen jetzt etwas Neues kennenlernen: das Haus als Oper! Als im vergangenen Veranstaltungsjahr die Post so richtig abgegangen ist, Konzerte und Culture und Politics, da setzte bei manchen Organisatoren und Gästen ein folgenschwerer Denkprozeß ein: nur Organisieren und Konsumieren ist fad, selber was auf die Beine stellen, Output, Produktion, das wäre was! Da viele Menschen einfach nicht in der Lage sind, eine Band zu gründen, ein Instrument zu spielen, lag es recht nahe, auf den Hund, sprich das Theater, und für Nichtmusiker, auf das einzig dem Armen mitgegebene Instrument, die Stimme zu kommen. Theater + Gesang = Oper?!! Das VolXtheater Favoriten war geboren. Und fähige Schauspieler, Regisseure und Bühnentechniker schossen wie Pilze aus dem gärenden Morast der "Szene", fähige Musiker schlossen sich an. So Etwas wie ein "kulturpolitischer Anspruch" wurde geboren, der da lautet: Reetablierung von Theater, Klassik, Oper, in der Subkultur, Kultur von Unten, Gegenkultur.
Wir träumen nun nicht mehr ausschließlich davon, Opernhäuser niederzureißen und abzubrennen, wie etwa der junge Richard Wagner, der bei der Inbrandsteckund der Dresdner Oper im Revolutionsjahr 1849 selbst mit Hand angelegt haben dürfte, nein, wir teilen die Träume von Brecht und Weill, die da fordern "die große Maschinerie Oper einer neuen gesellschaftlichen Verwendung zuzuführen, sich diese Form radikal zu erobern, und für eigene, neue und aufregende Zwecke zu mißbrauchen". Diese Forderung gliedert sich inhaltlich danach, mit aktuellen Stoffen gesellschaftliche Zwangsverhältnisse nicht zu verschleiern, sondern aufzudecken, musikalisch darin, "gängige Schlagermelodien", also aktuelle Kulturformen, "Popmusik", in die klassische Musik zu integrieren, jene damit vom elitären Sockel zu stoßen, und ihr damit einen allgemeinen, alltäglichen Gebrauchswert wiederzugeben. Damit landen wir bei Brecht, auf den wir, auf unserer Suche nach Stoff für unsere erste große Eigenproduktion, naturgemäß bald gestoßen sind. Die "Dreigroschenoper", jeder kennt das Ding dem Namen nach, wer kennt nicht den "Haifisch-Song", erschien am geistigen Horizont, und wurde als das Werk entdeckt, das am ehesten die Brücke zwischen Hard-Core-Dub-Trash-Banger Publikum und hoher Mimi schlagen könnte. Bei unserer Bearbeitung der schrägen Story von Räubern und Gendarmen, Kapitalismus und Bettelei, mußten wir uns mit dem von Brecht definierten Begriff des "Epischen Theaters" auseinandersetzen, einer radikal anderen Definition des Begriffs Theater an sich.
Näher auszuführen würde hier den Rahmen sprengen, was dabei herausgekommen ist, werden sie auf der Bühne sehen. Da die letzten paar Operballdemos in Spazierkesselversion auch nicht gerade das Gelbe vom Ei waren, und ihr wahres Ziel, nämlich uns einen passenden Spielort zu besorgen, verfehlten, beschlossen wir notgedrungen, eben auf unsere eigene, obschon eigentlich viel zu kleine, Infrastruktur, eben das Haus, zurückzugreifen. Das entstandene Ensemble kommt also ganz und gar aus Haus und Umfeld, keine Profis nirgendwo, kein "Künstler", keine krude Wissenschaft ist da um uns die Intuition zu rauben. Wir alle wissen, daß es mit Chef und Hierachie, mit Zuckerbrot und Peitsche viel leichter geht im Leben, wir alle pfeifen darauf, auf dieses Wissen. Das ganze heißt deshalb "Gemeinschaftsproduktion", es gibt keine getrennten Funktionen, alles, Regie, Konzept, Bühne, etc. kommt aus vielen Bäuchen. Soetwas zu Zwanzigst durchzuziehen bedeutet so etwas wie verdammt harte Arbeit. Die dabei entstandenen gruppenpsychologischen Phänomene gemahnen an genau jene obskuren Geschichten, die wir von der chaotischen Uraufführung des Stückes im Berlin des Jahres 1928 zu hören bekamen. Kann nur ein gutes Omen sein, denken wir uns dazu. Die Musik zu dem Ding hat der wüste Weill geschrieben, ganz unglaubliches Material,wir setzen dem noch eins drauf, indem wir dem Dreigroschenorchester die Mackie-Messer-Band gegenüberstellen, und so in der Lage sind, euch Geigen und E-Gitarre gleichzeitig und wechselweise um die Ohren zu knallen. Das Theatergewerbe gründet sich von Alters her auf dem Gewerbe der Bettler und Schnorrer, eine Produktion in dieser Größenordnung kostet normalerweise sowas wie ein kleines Vermögen. Wir versuchten also logischerweise öffentliche Subventionstöpfe anzuzapfen, erarbeiteten ein straightes, realistisches Finanzkonzept, und suchten um Förderungen in der Höhe von nahezu dreißigmillionen Groschen (= 288.000,-- öS) an, in der Hoffnung dafür wenigstens ein bischen Kohle zu ergattern. Wir pilgerten damit von Pontius zu Pilatus, zu Bund und Land und Gemeinde und Bezirk, ja zur Gewerkschaft gar, wir verwiesen darauf, daß von den fast 100 Weiner Theatern kein einziges in Favoriten, also der einwohnermäßig viertgrößten Stadt hierszulande, steht, und wir erhielten ... nichts als Absagen, Absagen, Absagen. Immer mit dem Verweis "zu spät!", "die Töpfe sind leer", "wer eine dermaßen große Produktion angeht mus sich ein Jahr vorher (!) um das nötige Geld anstellen" und so weiter und so fort. Milliarden und Millionen fließen in österreichische Hochkultur, wie haben beschlossen, das Ding halt ohne eine Groschen Kohle, ausschließlich auf Kreide zu produzieren.
Drei Groschen beträgt der Wert einer halben indonesischen Nelkenzigarre.
Drei Groschen beträgt der Wert einer durchschnittlichen Möhre, wenn mensch im 40-Tonnen-Maßstab kauft.
Drei Groschen beträgt der Wert einer guten jakutischen Nähnadel.
Keine drei Groschen soll der Wert unserer Oper betragen!
Lassen sie niemanden die nächsten Wahlen gewinnen, schon gar nicht jene, die das Wohnrecht zum Recht der Eliten degradieren, Menschen auf

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