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INTERKULTURALITÄT
Gedankensammlung von Krisztina Der und Katrin Wladasch

≥Das Konzept der Interkulturalität kann den Rahmen der kulturellen
Identität eines Menschen überwinden helfen, so dass er kein Fremder in
immer neuen Kulturräumen bleibt und eine neue Selbsteinschätzung im
Verhältnis zu anderen kulturellen Gruppen finden kann. In dem Maße, in
dem ≥Fremde„ sich einer Akkulturation unterziehen, verlagert sich ihre
Selbsteinschätzung immer stärker von einem ausschließlich kulturellen
auf einen interkulturellen Zustand. Diese interkulturelle Identität ist
flexibel und fließend, da sie nicht mehr auf der Zugehörigkeit zu einer
ursprünglichen oder einer fremden Kultur allein beruht.„ (Constantin von
Barloewen)

Keine Kultur, keine Religion oder Weltanschauung verfügt über einen
ausschließlichen Anspruch auf den Begriff des Logos oder der richtigen
Weltsicht. Auf einer weltpolitischen Ebene stellt sich die dringliche
Frage nach einer Identität der breit gefächerten Kulturen angesichts
strittiger politischer Territorien und wechselseitiger nationaler
Abgrenzungen. Dies fällt vor allem dort ins Gewicht, wo innerhalb eines
territorialen Verbandes verschiedene Kulturen um Eigenständigkeit
ringen, aber auch da, wo Vielkulturenstaaten anzutreffen sind: in
Lateinamerika, Asien und Afrika, doch auch in den Vielkulturenstaaten
der Vereinigten Staaten von Amerika und in Russland.

Das schreckliche ≥G-Wort„
Globalisierung ist in aller Munde, doch sie
hat bis heute keine ≥Weltkultur„ herbeigeführt, sondern lediglich eine
Gleichzeitigkeit zwischen struktureller Globalisierung und kultureller
Fragmentierung geschaffen. Die von Luhmann geprägte Weltgesellschaft
lässt auch noch auf sich warten.

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Spannende Manifestationen von Interkulturalität sind synkretistische
Religionen z.B. in Brasilien (Candomblé, Macumba, etc.), in denen sich
Elemente des Katholizismus mit jenen der afrikanischen Religionen
vermischt haben.

Der Begriff der Interkulturalität kann insofern problematisch sein als
er unhinterfragt verwendet (und das wird er auf politischer und medialer
Ebene meistens) dazu verleitet etwaigen Erklärungsbedarf für
Verhaltensweisen oder Konfliktsituationen mit der Herkunft aus
unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen zu befriedigen. Die
angeblichen Schwierigkeiten interkultureller Kommunikation werden zu den
idealen Erklärungsmustern für jedwede konfliktbelastete Situation. Aber
was sind ≥die" kulturellen Hintergründe, deren gegenseitige Kenntnis zu
gegenseitigem Verständnis, Toleranz etc. beitragen sollen? Die gibt‚s
nicht. Natürlich ist die Kenntnis der kulturellen Herkunft des
Gegenübers wichtig für Kommunikation und gegenseitiges Verständnis, aber
da geht‚s um alle Facetten des Individuums, der Person, Persönlichkeit,
und da sind ganz viele Gruppenzugehörigkeiten und kulturelle
Zugehörigkeiten wie Alter, soziale Herkunft, Geschlecht, Bildungslevel,
relevant. Die landläufigen Assoziationen zu Interkulturalität
beschränken sich aber meistens auf eine Fixierung auf die kulturelle
Identität eines Individuums oder noch öfter gleich einer ganzen Gruppe.
(≥Die türkischen Jugendlichen" werden z.B. in vielen Jugendzentren oder
Schulen als Problemfaktor gesehen, und zwar weil sie türkische
Jugendliche sind und nicht, weil sie pubertierende, männliche
Jugendliche sind). Diese Projektion und dieses Erklärungsmuster
funktioniert aber auch gut, weil unsere Wahrnehmung ganz einfach mit
Erwartungshaltungen arbeitet. Eine Erwartungshaltung, dass sich
türkische Jugendliche so und so verhalten bewirkt auch eine
Interpretation ihres Verhaltens dahingehend, dass es dieser
Erwartungshaltung entspricht.

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Sinn macht Interkulturalität dann, wenn sie nicht mit Schubladen
operiert und diese Schubladen auch noch fester verschließt, sondern wenn
sie begriffen wird als flexibles, permanenten Veränderungen
unterworfenes Phänomen der Wechselwirkung zwischen Kulturen und wenn sie
sich nicht auf ethnische/religiöse Herkunftskultur beschränkt, sondern
auch alle anderen Aspekte wie soziale Rundumbedingungen, Alter,
Geschlecht, Ausbildung etc. berücksichtigt und wirtschaftliche,
politische und rechtliche Strukturen und Prozesse zum Thema macht, die
Benachteiligungen bewirken.

redaktionelle Verantwortung für diese Seite des thematischen Netzwerks Antirassismus: Krisztina Der <der at iklo.jet2web.at> und Katrin Wladasch <katrin.wladasch at zara.or.at>.