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Interview mit Libia Grueso und Alfonso Cassani vom PCN
   
 
27.02.2001
   
       
PCN - Proceso de las Comunidades Negras (Prozess der schwarzen Gemeinschaften)

Etwa 25-30% der Bevölkerung in Kolumbien ist schwarz, das sind ca. 8 Mio. Menschen. Die schwarzen Gemeinschaften befinden sich hauptsächlich an der Pazifik- und Karibikküste, meistens an den zahlreichen Flüssen dieser biodiversitätsreichen Region entlang, Gegenden, die von den ökonomischen Entwicklungen meist marginalisiert blieben. Viele von ihnen sind im Netzwerk des PCN organisiert. Sie leisten einen täglichen kulturellen Widerstand, um Lebensformen und Lebensbeziehungen zu erhalten, die sie über Jahrhunderte entwickelt haben. Obwohl die Regierung diese Rechte in die Verfassung niedergeschrieben hat und auch mehrere Gebiete über kollektive Landtitel den Gemeinschaften zuerkannt wurde, werden heute paramilitärische Säuberungsaktionen von der Regierung zugelassen, die Platz für Megaprojekte und Erölbohrungen machen sollen. PCN hat beschlossen, seinen Widerstand zu internationalisieren und wendet sich heute an Menschen und Gruppen in Europa, die mit ihnen daran interessiert sind, einen Prozess der Kommunikation und Kooperation auf globaler Ebene aufzubauen und autonome und kollektive Alternativen als Antwort auf die ökonomische, politische und kulturelle Macht des globalisierten Kapitalismus zu suchen. Alternativen, die sich in horizontaler und partizipativer Form artikulieren, die die kollektive Selbstorganisation- und Selbstverwaltungsfähigkeit stärken, die unabhängig von staatlichen Strukturen Räume der emanzipativen Freiheit eröffnen.

 

Frage: VertreterInnen des PCN befindet sich momentan für zwei Monate in Europa, um auf zahlreichen Veranstaltungen die Öffentlichkeit und politische Gruppen zu informieren, sich auszutauschen und eine langfristigere Kooperation zu starten. Wie sieht der PCN seinen Widerstand im Prozess der Globalisierung und wie entstand der internationale Kontakt?

Libia: Das Erste was wir zum Ausdruck bringen wollen ist, dass die Auswirkungen des globalen Kapitalismus für uns etwas permanentes gewesen sind. Seit wir aus Afrika nach Amerika gebracht wurden, haben wir erfahren können, was die Folgen eines globalisierten Kapitalismus sind. Angefangen hat es bei dem Prozess der kulturellen Entwurzelung, in welchem wir aus unserem ursprünglichen Lebenszusammenhang herausgerissen wurden, über den Kolonialismus bis hin zu dem, was heute als ökonomische Globalisierung bezeichnet wird. Kapitalismus hat für uns immer Sklaverei, Ausgrenzung, Ausbeutung, Unterdrückung, Repression und Negation bedeutet. Sogar in den sogenannten 'demokratischen Gesellschaften' wie Kolumbien, haben wir den sogenannten 'Wohlfahrtsstaat' nicht anerkannt. Wir sind von Vorteilen dieses 'Wohlfahrtsstaates' immer ausgeschlossen geblieben. Wir leben in isolierten Regionen, die gleichzeitig jedoch in die Mechanismen der Ausbeutung und der Wirtschaft der Ressourcengewinnung eingebunden sind. Wir sind als Arbeitskräfte vom nationalen und internationalen Kapital ausgebeutet worden. Die Ausbeutung und Ausgrenzung, die wir in dieser ungerechten Beziehung mit dem Kapital erfahren haben, hat paradoxerweise aber auch dazu beigetragen, dass wir Lebensformen erhalten und weiterentwickeln konnten, die auf anderen Werten beruhen wie die der dominierenden, vom Kapitalismus geprägten Gesellschaft. Unser zentraler Wert in der sozialen Beziehung ist das Lebens selbst, deshalb basieren auch unsere Beziehungen zu anderen Personen auf einen Respekt des Lebens und anderer Lebensformen. Für uns ist die Vielfalt und der Respekt des anderen ein fundamentaler Wert im Aufbau unserer Gesellschaft und im Überleben unserer kulturellen Vision des Welt und der Beziehung zu den anderen.

Alfonso: Die Stimmen von unzähligen Menschen äussern sich in allen Ecken eines globalisierten Universums, das stumm, blind und taub gegenüber der Armut, dem Hungers und dem Elend von Millionen Menschen auf diesem Planeten ist. Es ist eine Realität, der keine Gemeinschaft dieser Welt entkommt, sei sie schwarz, indigen, abendländisch, asiatisch usw. Mitten in dieser Situation haben sich die im PCN organisierten schwarzen Gemeinschaften zur Aufgabe gesetzt, mit wachsender Kraft unsere Freude, unsere Lebensvorstellungen und den Recht auf Anderssein und auf Vielfalt erneut zu bestätigen. Während wir mit Schemen brechen und gegen die Angriffe des Systems Widerstand leisten, haben wir beschlossen, uns mit anderen Menschen, "combos", FreundInnen aus allen Ecken und Orte zusammenzuschließen, die genau wie wir vom Aufbau einer gerechten Welt träumen. Ursprung unserer Begegnung waren die Aktionen in Genf 1998, dann die Interkontinentale Karawane im Mai und Juni 1999, dann die zweite PGA Konferenz in Bangalore und anschließende Treffen in Lateinamerika, wie die Arbeitsgruppen zu gender.

Frage: Was sind die Grundsätze des PCN und seiner Widerstandsarbeit?

Libia: Unsere Gemeinschaften leisteten einen kulturellen Widerstand in ihrem Alltag nicht nur die gegen die ungerechten Handlungen des Kapitals, sondern gegen das System an sich. Wir haben es geschafft, andere Werte am Leben zu halten, zum Beispiel nicht zu akkumulieren. Dieser kultureller Widerstand ist einem Lebensraum verbunden in dem versucht wird eine andere Lebensform zu erhalten und entwickeln, in der wir das Leben behaupten, in dem wir ein Leben in Freude führen. Diese Behauptung der Hoffnung ist eine Grundbedingung um die Freiheit zu erkämpfen. Ohne die Behauptung dieser drei Aspekte: der Hoffnung, des Lebens und der Freude, wäre es für uns unmöglich ein Projekt des Befreiungskampfes zu tragen. In dem Sinne setzt sich der Prozess der Schwarzen Gemeinschaften für drei grundsätzlichen Aspekte ein: Aufbau der Identität, des Lebensraumes (territorio) und der Autonomie. Dies sind die drei Eckpunkte, um die sich sowohl unsere Kultur aufbaut, als auch unsere neue Widerstandstrategien gegen die zunehmenden Drohungen des Kapitals und des herrschenden Systems über unsere Gebiete und unsere Leben.

Alfonso: Die Identität ist das Recht auf Sein, weiterhin in der Vielfalt sein und der Respekt des Anderssein. Die Autonomie sehen wir als die Möglichkeit, unser Anderssein in unserer Vision auszuüben, ausgehend von den Lehren unserer Vorfahren und der Notwendigkeiten der Gegenwart, um uns auf die Zukunft vorzubereiten. Der Lebensraum ist diese reiche natürliche Bühne, dieser Raum unserer Vorfahren, in dem wir aufgewachsen sind, dieser notwendige Raum, um das Sein auszuleben. All dies in der Überzeugung, dass es viel gibt, was wir weitergeben können und viel, was wir lernen können. Insofern sind wir, weil andere sind (somos porque otros son). Weil unsere Kämpfe sich insofern begründen, wie andere auch kämpfen. Wir sind autonom mitten in der Autonomie aller, sofern der Wohlstand und die Möglichkeiten uns alle schützen.

Frage: Welchen Stellenwert hat der Plan Colombia mit seiner aktuellen Bedrohung für die schwarzen Gemeinschaften in Eurem Widerstand?

Alfonso: Im spezifischen Fall der Schwarzen Gemeinschaften, werden die Traditionen unserer Vorfahren gebrochen, diese Formen, die uns historisch geprägt haben und die als Grundlage das Leben selbst haben, weil unsere Option immer das Leben war und sein wird. Ein Leben in Einklang mit unseren Traditionen und Erwartungen, geleitet durch das von unseren Vorfahren vererbtes Wissen im Rahmen harmonischer Beziehungen mit der Natur und der Umwelt. Es geht uns also darum, den verschiedenen Kämpfe der schwarzen, indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften, der Studierenden, der Jugendlichen, der Vielfalt von Menschen, die genug von dieser absurden herrschenden Ordnung haben, die Möglichkeit zu geben zu kommunizieren. Deshalb haben wir uns zur Aufgabe gesetzt, uns mit ethnischen und territorialen Organisationen, Kollektiven, Gruppen und verschiedene Formen der Organisation, ausgehend vom Rahmen unserer Möglichkeiten zu solidarisieren und zu kooperieren. Es geht uns um eine langfristige Perspektive, über die Tageskonjunktur hinaus, die gleichzeitig eine Weiterführung der gemachten Erfahrungen und auch Kontinuität im Rahmen der Utopie, die wir gemeinsam aufgebaut haben.

Im grossen Ganzen fängt diese Dynamik der Annäherung, des Widerstandes, des Finden und Zusammenkommens nicht mit dem Plan Colombia an, und sie wird auch nicht mit diesen aufhören. Das heisst, der Plan Colombia ist der Anlass des Momentes und Davos die aktuelle Bühne, bei der unsere Kämpfe zusammenfließen und auch weitergeführt werden, genau wie sie Genf, Seattle oder Prag erreicht haben. Denn unser Kampf basiert nicht auf Momenten und spezifischen Bedingungen. Unser Kampf ist auch nicht einer, der darauf abzielt, Konfrontationen innerhalb der Grenzen zu führen, die von den Nationalstaaten bestimmt werden. Die Aggressionen des Kapitals, wie beispielsweise der Plan Colombia, können nicht als ein spezifisches Problem Kolumbiens und schon gar nicht als ein internes oder nationales Problem unabhängig des transnationalen Kapitals angesehen werden. Es handelt sich eindeutig um eine von den USA geplant und geleitete offene globale Aggression gegen die Region, mit der Unterstützung und Beteiligung von einigen Europäischen Staaten, die ihre Kapitalinvestitionen zu schützen versuchen. Dazu sind sie bereit, mit Feuer und Blut die sozialen Bewegungen und die kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen, die täglich die Absurditäten und Aggressionen des herrschenden Systems in Frage stellen.

Frage: Auf welcher Basis soll die Kooperation mit den europäischen Zusammenhängen passieren ?

Libia: Wir betonen noch einmal: wir sind, weil ihr sein könnt. Wir sind in dem Maße, wie andere Männer, Frauen, Jugendbewegungen, Bewegungen für die Rechte der Homosexuellen, Gewerkschaften, Umweltbewegungen, ihre eigene Ziele erreichen können. Das kapitalistische System übt immer wieder andere Formen der Ausbeutung, Unterdrückung und Ausgrenzung aus, dass heisst also, dass die Vielfalt des Widerstandes die einzige Strategie ist, um den Aktivitäten des Kapitals entgegenzukommen. Es gibt nicht eine Formel, es gibt unendlich viele Formeln. Diese Vielfalt der Kämpfe benötigt notwendigerweise Solidarität, Austausch, gemeinsames Handeln und globale Aktion in der lokalen Strategie. Das bedeutet neue Herausforderungen. Wir haben in Peoples' Global Action (PGA) eine Initiative, die angefangen hat, diese Herausforderungen anzupacken. PGA ist ein Versuch, der 1997 angefangen hat, der bislang nur eine kurze Lebenszeit hat, jedoch grosse Erfahrungen gemacht hat, wie die Proteste im Mai 1998 in Genf oder im November 1999 in Seattle, die Proteste in Prag oder die Beziehungen, die zwischen verschiedenen Bewegungen in der Welt entstanden sind. Die Herausforderungen dieser globalen Aktion haben mit verschiedene Sprachen, Rhythmen und Kontexten zu tun. Zum Beispiel, was für uns "Lebensraum" (territorio) bedeutet, ist nicht das was Lebensraum für euch bedeutet. Das haben wir aber hier, in Europa und der BRD jetzt erst gelernt. Es sind diese Arten von Begegnungen, die wir brauchen, und diese Art von Herausforderungen, denen wir entgegenkommen müssen, um weitere Begegnungspunkte zu identifizieren. Die Strategien des Kapitals zwingen auch uns, effizient in der gemeinsamen Aktion zu sein. Dazu müssen wir die Mechanismen des Kapitalismus und die verschiedenen Gesichter der Globalisierung sichtbar machen. Der IWF, die WTO oder die Weltbank sind im Alltag unserer Gemeinschaften etwas unfassbares, und das ist auch eine Strategie des Kapitals. Es sind Staaten, die außerhalb unseres Staates liegen, die über unsere Zukunft unserer Leben entscheiden. Es ist sehr wichtig, in einer globalen Aktion die Auswirkungen des globalisierten Kapitalismus zu denunzieren und zu zeigen, dass es verheerend für die meisten Menschen dieser Welt ist. Die Mechanismen und die Verantwortlichen der Ausgrenzung und des Todes von vielen Menschen und vielen Formen des Lebes sichtbar zu machen, ist ein Beitrag im Kampf.

Alfonso: Der Prozess ist eine Annäherung der verschiedenen Realitäten der Schwarzen Gemeinschaften und Europa und umgekehrt. Es handelt sich auch nicht um ausschliessliche Beziehungen zu den europäischen Realitäten. Es geht uns darum, globale, weite, offene, horizontale, antipatriarchale Beziehungen aufzubauen, die durch Nicht-Macht (no poder) bestimmt sind. Sie müssen klar anti-kapitalistisch sein. Diese Beziehungen sollen sich auf den verschiedenen Szenarien der Welt artikulieren und die Realität Lateinamerikas, Asien und Afrikas, sowie die der Gemeinschaften und der marginalisierten Kollektive Europas
und Amerikas mit einbeziehen. In dem Sinne ist es wichtig zu betonen, das wir uns als Prozess der Schwarzen Gemeinschaften als Teil der historischen Kämpfe der Schwarzen in der ganzen Welt verstehen. Diese sind wiederum mit den Kämpfen der marginalisierten und vom System unterdrückten Menschen verbunden. Es muss auch gesagt werden, dass die Grundsätze unseres Kampfes, Identität, Autonomie und Lebensraum nicht exklusive Elemente der Schwarzen Gemeinschaften sind. Mehr noch, wir möchten diese Begriffe als mögliche Leitfäden vorschlagen, die uns allen ermöglichen könnte, diese große Utopie zu
stricken.

   

 

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