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Zu den "Vorfällen" von Genua

 

Auf dieser Seite:
http://www.zmag.org
http://www.ballhausplatz.at
http://www.infoshop.org/news6/
genoa.html

http://www.no-racism.net/global
/index.htm

Infos auch über weitere Kundgebungen: http://austria.indymedia.org

Weitere Infos unter www.indymedia.org
www.tatblatt.net

Chronologie der
Ereignisse in Genua:
http://betazine.org

Videos von kanalB

 

 

by CeiberWeiber®

23.07.2001
 

 

   

 

Während die meisten Medien in der Art berichten, dass sie die Perspektive der Polizei und der sich treffenden Staatschefs einnehmen, bekommt frau im Internet ganz andere Eindrücke über den Gipfel von Genua. So wird von AugenzeugInnen geschildert, wie friedliche DemonstrantInnen gejagt und krankenkausreif geprügelt wurden. Kein Wunder, wenn frau bedenkt, dass die italienischen Sicherheitskräfte alles aufboten, was mann für einen Bürgerkrieg braucht: Flugzeuge, Helikopter, Wasserwerfer, Tränengas, Schusswaffen und dergleichen. Und dass unter dem Vorwand, auf "gewalttätige Chaoten" und "Randalierer" zu reagieren, wahllos zugeschlagen wird, kennen wir aus Wien - z.B. Opernball 2001 -, Salzburg im Juli 2001, World Economic Forum und Göteborg im Juni 2001, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Italienische Medien übernehmen die Schuldzuschreibungen an einen "Schwarzen Block", ein Begriff, der als aus Deutschland importiert verstanden wird. Und zugleich mit Anarchisten aus diesem Land in Verbindung gebracht wird. Sollte uns auch geläufig sein, siehe Aufregung um die Grossdemonstration am 19. Februar 2001, wo wegen des "Schwarzen Blocks" deutsche DemonstrantInnen perlustriert und geschlagen wurden. Nun gibt es tatsächlich "Mitglieder" des Schwarzen Blocks, aber wie die Diskussionsbeiträge auf http://italy.indymedi.org zeigen, finden sie es nicht sonderlich produktiv, Geschäftsauslagen in Genua zu zertrümmern oder Autos in Brand zu setzen.

Immer wieder ist in den Berichten der TeilnehmerInnen die Rede von Infiltration der unübersehbaren Masse von DemonstrantInnen durch Polizei und verschiedene Nachrichtendienste. Dabei bietet sich der "Schwarze Block" natürlich aus zwei Gründen an: erstens, hier pflegt man Masken zu tragen, was ideal ist, um nicht identifiziert zu werden. Zweitens, hier ist man ohnehin unter stigmatisierten Menschen, denen Gewaltbereitschaft nachgesagt wird. Nichts leichter, als von hier aus zu provozieren, indem man Steine wirft, dann von der Polizei attackiert wird und so die anderen TeilnehmerInnen zu entsprechenden Reaktionen provoziert sind. Manche sprechen auch davon, dass Sicherheitskräfte relativ offen mit Maskierten kommunizierten. In Italien lebende GlobalisierungsgegnerInnen weisen auf eine weitere Merkwürdigkeit hin: so ist es verboten, sich bei Demonstrationen zu vermummen. Jeder Polizist hat das Recht, eine Demo aufzulösen, bei der TeilnehmerInnen Vermummung tragen.

Seltsamerweise liess man viele friedliche DemonstrantInnen nicht einreisen auch dank der Sicherheitskräfte ihrer Heimatländer. Offenbar war es aber unmöglich, die geschätzten 1000 bis 2000 vom "Schwarzen Block" samt Bewaffnung aufzuhalten oder wenigstens in Genua zu kontrollieren. Wenn der Anteil der Provokateure hoch sein sollte, wäre das jedenfalls kein Wunder... Die Bilder mit gejagten "normalen" DemonstrantInnen, mit ihren Verletzungen, mit ihren Statements und mit Berichten aus den Spitälern der Stadt sucht frau im Kabelfernsehen lange. Einzig bei RAI wird sie fündig, während die anderen Sender die immer gleichen Bilder "Mann gegen Mann" zeigen: Steinwerfer und Polizisten in Schutzkleidern wie aus Science Fiction-Filmen. Viele Frauen kritisieren den Machismo, der in solchen Strassenschlachten von beiden Seiten gepflegt wird. Und, siehe Starhawks Bericht unter http://www.zmag.org, die Polizeimachos suchen sich auch gezielt Frauen zum Verprügeln raus. Ist wahrscheinlich auch einfacher, Menschen zu schlagen, die gewaltfrei demonstrieren.

Provokateure und entsprechend folgende Berichterstattung erreichen vielerlei: die berechtigten Anliegen der breiten Bewegung gegen DIESE Globalisierung werden diskreditiert durch "Randalierer". Die Bewegung selbst wird dazu gezwungen, nicht Strategien zur Thematisierung ihrer Forderung zu diskutieren, sondern über Gewalt und Gewaltfreiheit. Zwangsläufig kommt es dabei auch zu Distanzierungen voneinander und Spaltung. Wiederum nur in RAI sah ich einen Beitrag über jene Menschen, die in den Müllhalden von Städten in Ländern des Südens irgendwie ihr Überleben fristen. Also über einen der Gründe für die Bewegung gegen DIESE Globalisierung. Die Bilder der paramilitärisch bewachten und hermetisch abgeriegelt tagenden "wichtigsten Männer" der Welt symbolisieren die grosse Kluft zwischen ihnen und jenen Menschen, die von ihren Entscheidungen betroffen sind. Es kann nur alibimässig gemeint sein, wenn Gastgeber Silvio Berlusconi am Ende des Gipfels, übertragen von CNN, von Entschuldung spricht. Die Optik wäre trotz aller "Krawallmacher"-Berichte einfach zu ungünstig ohne deratige Gesten.

Wie ernst Herren dieses Kalibers Abkommen und Absichtserklärungen nehmen, zeigt die Haltung von George Bush zum Klimaschutzabkommen recht gut. Und Berlusconi stand immerhin auf der Mitgliederliste der "Staatsstreichloge" Propaganda Due, die eng mit Polizei und Nachrichtendiensten zusammenarbeitete und ebenso mit den paramilitärischen Gladio-Kräften. Gerade in Italien hat die Unterwanderung von Bewegungen und Gruppen Tradition, hat doch eine Eskalationsstrategie dort ihren Namen bekommen: strategia della tenzione - Strategie der Spannung. Damit ist gemeint, dass bspw. eine linke Gruppe infiltriert und zu gewalttätigen Aktionen provoziert wird, was die entsprechenden Medienberichte zur Folge hat. Dadurch werden linke Anliegen per se diskreditiert und die Gesellschaft ruft nach Law and Order.

Gut möglich, dass auch das in Genua - und Göteborg, und Salzburg? - eine Rolle gespielt hat. Stellungnahmen italienischer AktivistInnen sprechen auch von einem Wiederaufleben der Strategie der Spannung, da seit Wochen eine paranoide Stimmung wegen des Gipfels erzeugt wird durch Briefbomben an Polizisten, Sprengsätze unter anderem nahe dem G 8 - Tagungsbereich sowie Razzien in der linken Szene. Massendemonstrationen sind schliesslich unüberschaubar und anonym, also das ideale Umfeld, um etwas anzuzetteln, aus dem dann die gewünschte Eigendynamik entsteht. Wobei auch berücksichtigt werden muss, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Motiven handeln und verschieden auf Situationen reagieren. Dazu gehört auch bei manchen eine Portion Abenteuerlust und Wunsch, es der Polizei zu "zeigen". Sie nicht, wie es abgeklärtere Naturen tun, als verlängerten Arm jener zu verstehen, die man eigentlich DIREKT erreichen und beeinflussen will.

Und dass vielfältige Emotionen durch den Umgang mit den Demonstrationen ausgelöst werden: die einen sind plötzlich bereit, Steine zu werfen, die anderen neigen dazu, sich von allen zu distanzieren, für die sie die Hand nicht ins Feuer legen können. Auf http://www.ballhausplatz.at lese eine Betrachtung der Medienberichterstattung: gebe es diese Bilder, die etwa ein Fotograf von Reuters von der Erschiessung des 23jährigen Carlo Guliani machte, aus Korea, Irak, Afghanistan, dann wäre die Sache klar. Niemand käme auf die Idee, die Position von Polizei und Regierung zu beziehen. Da es aber in Europa "passiert" ist, werden aus Tatsachen "Vermutungen". Obwohl der Tod durch zwei Kugeln und Überfahren mit einem Polizeifahrzeug dokumentiert ist, war in Medien die Rede von "Tränengas" oder "von Steinen getroffen". Interessanterweise zeigen die Reuters-Bilder massenweise Polizisten in der Nähe des angeblich von Demonstranten eingekeilten Polizeiwagens. Unverständlich auch, dass in dem Auto nur zwei Jungpolizisten ohne Erfahrung sassen.....

Apropos Bilder: auf der anarchistischen Seite http://www.infoshop.org/news6/genoa.html gibt es mehrere Bilder von anderen Menschen, die nicht mehr sehr lebendig am Boden liegen. Was die immer wieder in Mails und Berichten geäusserte Vermutung verständlich macht, es gäbe mehr Todesopfer. Immerhin sind zuerst 300 Personen abgängig, dann nach Ende des Gipfels ist bei 500 nicht klar, wo sie geblieben sind. Schon vergessen haben viele - die Gipfel durchführen wollen -, dass in Göteborg der 19jährige Hannes Westberg in den Rücken geschossen wurde und überlebt hat. Im Internet gibt es Aufrufe an FotografInnen, ihr Bildmaterial vorsichtig über die Grenze zu bringen. Einschränkungen der Berichterstattung kennen wir auch aus Salzburg, und in Genua wurden mehrere Medienleute verletzt - einer Frau wurde die Kniescheibe zertrümmert.

Indymedia und andere alternative Medien hatten ihr Zentrum im "General Social Forum" in Genua zusammen mit der Rechtshilfe und SanitäterInnen. Bereits am Nachmittag des 21. Juli klangen die Berichte danach, dass eine Erstürmung durch die Polizei befürchtet wird, was dann auch geschah. Ein Bild mit Blut an den Wänden geht auf den Indymedia-Seiten, die in vielen Ländern betrieben werden, um die Welt. Auch jene 50 Menschen, die gegenüber in einer Schule übernachten wollten, wurden von der Polizei behelligt, teils verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert. Sie wurden im Schlaf verprügelt und teils seltsam behandelt, wie ein Bericht von Starhawk, in Deutsch nachzulesen unter http://www.no-racism.net zeigt: Ein Mann wurde in einen Raum mit Mussolini- und Pornobildern gebracht und abwechselnd geschlagen und gestreichelt. Andere wurde dazu gezwungen, "Viva il Duce!" zu rufen und so dem Faschisten Mussolini zu huldigen. Da es sich um die politische Polizei DIGOS handelte bei dieser von oben angeordneten Aktion und diese auch sonst durch besondere Brutalität auffiel, sind Assoziationen zu Borghese-Putsch und dergleichen nicht unangebracht.,,,

Die psychologische Drohung durch solche Aktionen richtet sich an alle, die in welcher Form auch immer gegen die Politik der mächtigsten Staaten demonstrieren: es kann euch auch passieren, wir lassen willkürlich zuschlagen. Wobei die Unterwanderung noch einen anderen Grund als nur Beihilfe zur Eskalation haben kann: ich war vor drei Monaten bei einem CIA-Veteranen zu Besuch, und wir sahen auf CNN Proteste gegen inneramerikanische Handelsabkommen zur Stärkung der USA. "That's good", meinte er, weil das die Position der USA schwächt. Nicht so gut sei es hingegen, dort zu demonstrieren, wo solche Meetings die USA nicht stärken, sondern im Zaum halten können. Also EU-Gipfel und Weltwirtschaftstreffen. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei zunehmender Bedeutung von Wirtschaftspolitik grosses Interesse daran besteht, Gipfel zu schwächen und anderes in der Berichterstattung in den Vordergrund zu stellen. Was es für eine Anti-Globalisierungsbewegung nicht unbedingt einfacher macht - abgesehen davon, dass auf diese Weise auch die Gewaltdebatte aufoktroyiert wird.

Das Medienzentrum wurde mit dem von vielen Mainstream-Medien unkritisch übernommenen Vorwand gestürmt, dort seien Leute vom "Schwarzen Block" versteckt. Oder, wie Berlusconi meinte und was die anderen Staatschefs brav apportierten: die friedlichen Demonstranten haben die gewalttätigen gedeckt. Ein BBC-Reporter gab als Augenzeuge ein Interview, dass im GSF nichts gefunden wurde, das diese Behauptung unterstützt. Seltsamerweise passierte diese Durchsuchung, nachdem die alternativen BerichterstatterInnen Beweismaterial zur Eskalationsstrategie und zum Tod von Carlo Guliani angekündigt hatten. Und zufälligerweise wurden Computer zerstört und Datenträger mitgenommen....

Manche Medien nannten das GSF die "Zentrale des Schwarzen Blocks", obwohl ihre VertreterInnen vor Ort es besser wussten. Und wie hiess es in der ZiB 2 am 22. Juli? "3 Tage im Zeichen von Terror und Gewalt" seien zu Ende gegangen. Die meisten Medien zeigten die immer gleichen Bilder von steinewerfenden Männern und brennenden Müllcontainern. Es kann also nicht an mangelnder Sendezeit liegen, dass Aufnahmen von gejagten Menschen ohne Steine nur in RAI zu sehen waren. Wären die Umstände nicht so tragisch, wäre es fast amüsant, wo sich die G 8 das nächste Mal treffen wollen: in einem abgeschiedenen Bergdorf in den Rocky Mountains. Na, dann werden halt 150.000 Menschen mit Schneeschuhen, Langlaufschiern, Hundeschlitten und Bergschuhen anrücken :-)

Aber wie war das nun mit dem "Schwarzen Block"? Auf Indymedia Italy gibt es zwei Bilder, die wir hier übernommen haben. Sie zeigen einige dieser Randalierer beim Rollenwechsel zwischen Polizisten- und Anarchistendasein....

Text : Alexandra Bader

 

 

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