UNIVERSAL
EMBASSY Der Kampf der Sans Papiers in Belgien
12.06.2002 |
no-racism.net | deportatiNO |
- Text zum Tod von Semira Adamu und die Verhandlungen gegen die Gendarmen in Brüssel |
UNIVERSAL EMBASSY, die Botschaft der Papierlosen, ist einerseits eine Notunterkunft der Sans Papiers im ehemaligen Somalischen Botschaftsgebäude in Brüssel, andererseits ein Spiel mit Symbolen: sie ist die offizielle Vertretung der Papierlosen im Herzen eines Nationalstaates, aber auch öffentlicher Ort einer planetarischen Gemeinschaft, die sich über die Disziplinen hinweg, für eine Zuwanderungs- und Aufenthaltspolitik jenseits nationalstaatlicher Definitionsmacht einsetzt. (mvo) Die Migrationspolitik in Belgien ist im Kontext der Zuwanderungspolitik der 60er Jahre zu sehen, bei der Menschen aus der Türkei, Italien und Nord-Afrika als sogenannte GastarbeiterInnen ins Land geholt wurden. Im Jahr 1974 führte Belgien wie andere westeuropäischen Staaten einen Migrationsstop ein. Diese drastischen Veränderungen im Zuwanderungsdiskurs standen im Kontext der aufkommenden Ressourcen- und Absatzkrise der westlichen Industrienationen und der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien seit Mitte der 70er Jahre, die u.a. auch als Antwort des Kapitals auf die Errungenschaften der ArbeiterInnen- und der 68er-Bewegung verstanden werden kann. Beides hatte zur Folge, dass die industrielle Güterproduktion nach und nach ausgelagert wurde. Die neuen Weltmarktfabriken, mit denen westliche Unternehmen heute ihre Vertragsverhältnisse im globalen Süden und Osten abschliessen, sind aber längst auch keine grossen Werkshallen mit zentralisierter Massenproduktion mehr, sondern informell strukturierte Produktionszweige, die vor allem auf weibliche und migrantische Arbeitskräfte zurückgreifen und die sich zudem nicht mehr nur in den klassischen Billiglohnländern des globalen Südens ansiedeln, sondern verstärkt wieder in den westlichen Industriestaaten. Noch bis Anfang der 80er Jahre arbeiteten in Belgien arabische, afrikanische, belgische, italienische und türkische ArbeiterInnen in den selben Fabriken. Die Rechten haben, wie überall in Europa, auch in Belgien den sozialen und ökonomischen Strukturwandel seit den 80er Jahren kontinuierlich ethnisiert und für ihre rassistischen Parolen missbraucht. Und obwohl Belgien durch diesen schleichenden Rechtsruck bereits eine scharfe Asylpolitik vertrat, wurde diese 1997 noch verstärkt, durch das sogenannte Vandelanotte-Gesetz, welches das alltägliche Leben, die Rechtslage und die Einreisebedingungen nicht nur für Asylsuchende, sondern für MigrantInnen generell verschlechterte. In Belgien hat die Verweigerung eines legalen Aufenthaltsstatus für MigrantInnen, Asylsuchende und sogenannte GastarbeiterInnen unter anderem dazu geführt, dass beispielsweise um den Gare du Midi in Brüssel ein neues Viertel entstehen konnte, welches das Bermuda Dreieck der Textilindustrie genannt wird. Hier arbeiten Menschen ohne Papiere, die ein, zwei oder gar dreissig Jahre in Belgien leben zu Dumpinglöhnen (3 CHF die Stunde). Diese kleinteiligen Produktions- und Zuliefererbetriebe stehen mit einer europäischen Politik in Zusammenhang, die zwar keinen Bürgerstatus für MigrantInnen, aber prekäre Beschäftigung, sprich Sweatshops, akzeptiert. Die mit dieser Politik einhergehende rigide Abschiebepraxis gegenüber Asylsuchenden führte im Jahr 1998 zum tragischen Tod von Semira Adamu. Ihr Tod, obwohl nicht der einzige den die Verschärfung der Einwanderungspolitik verursachte, führte zu einer temporären Solidarisierung der belgischen Bevölkerung mit MigrantInnen und Papierlosen in Belgien. Die Sans Papiers haben sich vor allem in Frankreich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre selbst organisiert und Widerstand gegen die repressive Ausländer- und Asylpolitik des Staates geleistet. Kirchen wurden besetzt, Aktionen in Schulen und Universitäten, sowie kontinuierliche Sensibilisierungskampagnen durchgeführt. In Belgien wurden diese Strategien seit 98 von den Sans Papiers der verschiedenen Regionen aufgegriffen, beispielsweise mit der Besetzung der Kirche von Béguinage in Brüssel. In Antwerpen verfolgten die Sans Papiers hingegen eine andere Strategie. Nebst den Besetzungen und Aktionen in Schulen und Kirchen erkämpften sie eine Beratungsstelle, an die sich Papierlose wenden können, und die von VertreterInnen der Sans Papiers eigenverantwortlich geführt wird. Insgesamt kann so nicht von einer belgischen Sans Papiers Bewegung gesprochen werden, sondern von unterschiedlichen Gruppierungen, die mit verschiedensten Aktionsformen auf die prekäre Situation der Papierlosen aufmerksam zu machen versuchen. Zusammenschlüsse zwischen politischen AktivistInnen, NGOs, KünstlerInnen und Sans Papiers sind das Kennzeichen dieses neuen Kampfes. Besetzungen von Kirchen wie in Frankreich und Hungerstreiks sind zwar die in den Medien am meisten popularisierten Aktionsformen, aber sie waren immer nur eine Möglichkeit unter vielen anderen. Als die Kirche von Béguinage im letzten Jahr durch eine unaufgeklärte Feuerkatastrophe für die Brüsseler Gruppierung unbewohnbar wurde, wurde die zu diesem Zeitpunkt bereits leerstehende Somalische Botschaft zur nächsten Notunterkunft der Bewegung. Diese Besetzung stand im Kontext der Regularisierungskampagne der neuen belgischen Regierung, die ab Dezember 1999 kontinuierlich durchgeführt werden sollte. Diese Kampagne führte schnell zu neuen Hierarchisierungen in der Einwanderungsdebatte. Nun wurde zwischen erfolgreichen AusländerInnen einerseits und AsylberwerberInnen andererseits unterschieden, ein Prozess, der mit der Green Card-Debatte in Deutschland vergleichbar ist. Zudem warten von den 53.600 im Jahr 1999 in Belgien lebenden MigrantInnen, denen eine Regularisierung ihres Aufenthaltsstatus bewilligt wurde, bis heute, im Jahr 2002, immer noch mehr als die Hälfte auf die Bearbeitung ihres Falles. Vor diesem Hintergrund entstand ein neues Solidaritätsbündnisse aus AktivistInnen und KünstlerInnen, die die bereits erfolgte Besetzung der Somalischen Botschaft in Brüssel nutzten, um die Frage der Staatsbürgerschaft auf unterschiedlichen Ebenen wieder und radikal zu stellen. Einerseits waren die einstigen Proteste auch in der belgischen Bevölkerung durch die Politik der Regularisierung bereits verstummt oder besser beruhigt worden. Andererseits wurde immer deutlicher, dass diese Politik nur neue Hierarchien herstellte (auch unter den Sans Papiers) und die Souveränität des belgischen Nationalsstaates nicht mehr in Frage stellte, sondern die Grundlagen einer rassistischen staatlichen Migrationspolitik im Grunde legitimierte. Der Zeitpunkt vor dem EU-Gipfel in Brüssel im Dezember letzten Jahres und der symbolische Ort der somalischen Botschaft wurden von dem neuen, anzahlmässig kleinen, Solidaritätsbündnis genutzt, um die Universal Embassy auszurufen: eine Botschaft der Papierlosen. Aus der ehemaligen somalischen Botschaft wurde so, wenn auch nur symbolisch, eine Botschaft für die Rechte der Sans Papiers, für alle diejenigen, die sich den hierarchisierten Regularisierungskampagnen sowie dem, durch die Nichtbewilligung von Bürgerechten enstandenen, ethnisierten Niedriglohnbereich in Belgien entgegenstellten. In einer Pressekonferenz kurz vor dem EU-Gipfel am 12. Dezember 2002, wurde der erste symbolische Pass der Universal Embassy ausgestellt und in der Stadt eine Plakataktion mit Portraits der Botschaftsbesetzter durchgeführt. Das Bündnis zwischen KulturproduzentInnen und AktivistInnen ist weiterhin aktiv. Die Universal Embassy kann auf der Homepage besucht werden, wo die erste kollektive Schreibaktion und die Pressekonferenz vom 12.12.2001 dokumentiert ist. Die Aktionen werden in Zukunft von öffentlichen Debatten, kollektiven Schreibaktionen, Filmprojekten und Ausstellungen begleitet. Damit soll auch der Opfer- und Bittstatus, der den Papierlosen üblicherweise zugewiesen wird, durch sie und mit ihnen gebrochen werden. Die Presse, die in der ersten Aktion relativ ignorant reagierte, hat in den letzten Monaten nun endlich vermehrt über die Universal Embassy berichtet und es ist gelungen, eine erneute Debatte um das Regularisierungsgesetz zu initieren.
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