Traiskirchen: UVS verurteilt Razzia
06.09.2003
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Übersichtsseite zur Razzia in Traiskirchen  


In den vergangenen Tagen wurden die ersten sechs Entscheidungen über die bereits im Februar 2000 von 32 schwarzafrikanischen Betroffenen der Gendarmerierazzia vom 17.01.2000 in und um das Flüchtlingslager Traiskirchen an die Beschwerdeführer zugestellt.

Zur Erinnerung :
In den Abendstunden des 17.01.2000 fand im Raum Traiskirchen Bahnhof, Café Ali und Haus 3 des Flüchtlingslagers Traiskirchen (das sog. „Afrikanerhaus“, auch „Blackbox“ genannt) eine Razzia der niederösterreichischen Gendarmerie statt, an der eine nach wie vor unbekannte Zahl an Gendarmen des Bezirks Baden, der niederösterreichischen Kriminalabteilung sowie einer Gendarmeriesondereinheit (SEG) teilnahmen.

Im Haus 3 des Flüchtlingslagers wurden rund 60 Asylwerber ausschließlich schwarzafrikanischer Herkunft festgesetzt, kontrolliert und sodann in gefesseltem Zustand mehrere Stunden lang angehalten, bis ein verdeckter Ermittler sie anhand von Polaroidfotos als Verdächtige (Angehörige eines Suchtgiftringes) identifizierte oder nicht.
Parallel dazu wurden auch im Raum Traiskirchen Bahnhof / Lagerumgebung / Cafe Ali rund 20 Personen schwarzer Hautfarbe in ähnlicher Weise behandelt.
32 Betroffene beschwerten sich daraufhin beim Unabhängigen Verwaltungssenat Niederösterreich (UVS) über insgesamt 282 Verletzungen ihrer Rechte.

Geltend gemacht wurden unter anderem
- die Rechtswidrigkeit der gesamten Amtshandlung im Haus 3, für das kein gerichtlicher Durchsuchungsbefehl vorlag,
- die Rechtswidrigkeit der mehrstündigen Freiheitsentziehungen und der Durchsuchungen der persönlichen Besitztümer und Schlafstellen,
- die Rechtswidrigkeit der ohne jeden Anlaß ausnahmslos an allen männlichen Betroffenen mittels Plastik-Einweghandfesseln („Kabelbindern“) vorgenommenen Fesselungen,
- der Personskontrollen im allgemeinen aber auch im konkreten (wobei zum Teil coram publico - Entkleidungen und Analvisitationen, auch eine Vaginalvisitation geltend gemacht wurden),
- Mißhandlungen reichend von Schlägen bis hin zum absichtlichen Engermachen schmerzender Fesseln,
- die mehrstündige Verweigerung von WC bzw. Wassertrinken,
- das unhöfliche, teils aggressive, teils offen rassistische Verhalten mancher Beamter
- bei Nichterteilung auch nur irgendeiner (gesetzlich vorgesehenen) Information über Einsatzzweck und Rechte als Festgenommener.

Eine Beschwerdeführerin machte die Durchsuchung und Beamtshandlung ihrer zum damaligen Zeitpunkt erst zwei Monate alten Tochter unter Einsatz eines Gendarmeriehundes geltend, sowie daß sie von ihrer Tochter während des gesamten Einsatzes räumlich getrennt wurde und -weil auch das Zimmerfenster nicht geschlossen werden durfte- die von den Beamten entkleidete Tochter in der Folge erkrankte.

Ein Beschwerdeführer wurde von den Beamten mit einem Mobiltelefon angetroffen, was offenbar ausreichte, ihn als besonders verdächtig anzusehen und zum Gendarmerieposten Trumau, einem Nachbarort von Traiskirchen, zu verbringen, wo er dann am späten Abend nur leicht bekleidet an die frische Luft gesetzt wurde, ohne den Rückweg ins Lager zu kennen (und bei Rückkunft am Lagertor gleich nocheinmal festgenommen und überprüft worden sein soll).

Behörde nicht an Klärung interessiert, UVS wird tätig

Nachdem die belangte Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich sich zu den erhobenen Vorwürfen weder geäußert noch von der ihr durch § 89 des Sicherheitspolizeigesetzes eingeräumten Möglichkeit, als Dienstaufsichtsbehörde eine Klärung der Vorfälle und Klaglosstellung der Beschwerdeführer herbeizuführen, Gebrauch gemacht hatte, fanden im Zeitraum vom 10.07.2000 bis zum 09.03.2001 vor dem UVS in St. Pölten (Mitglied Dr. Paul Marzi) insgesamt 24 (großteils ganztägige, bis in die späten Abendstunden dauernde) Verhandlungen statt. Dabei wurden rund 80 Personen (Beschwerdeführer, Beamten, Zeugen und Sachverständige) vernommen.

UVS wird säumig, Verwaltungsgerichtshof zuständig

Nachdem fast fünf Monate nach Schluß der Verhandlungen die Entscheidungen über die Beschwerden noch immer ausständig waren, erhoben die Beschwerdeführer im August 2001 Säumnisbeschwerden an den Verwaltungsgerichtshof :www.deranwalt.at/show.asp?id=112&kapitel=Wissenswertes

In der Folge kam es aufgrund einer schweren Erkrankung des zuständigen UVS-Mitglieds zur Versäumung der dem UVS im Säumnisbeschwerdeverfahren zuletzt bis zum 01.09.2002 erstreckten Entscheidungsfrist, mit der Folge, daß die Entscheidungszuständigkeit auf den Verwaltungsgerichtshof überging

Unverhofft kommt doch ... eine späte Abrechnung

In den nunmehr eingelangten ersten sechs Entscheidungen, die vom UVS-Mitglied Dr. Marzi nach Genesung getroffen wurden, findet sich eine unverhofft späte, aber gleichzeitig auch unerwartet strenge Abrechnung mit dem Gendarmerieeinsatz vom 17.01.2000, mit dessen Organisatoren, aber auch mit den am Einsatz und als Zeugen des UVS-Verfahrens beteiligt gewesenen Beamten:

A) Gewonnenes und Zerronnenes :

Nicht erforderliche Verhaftungen

„Die Anordnung (jede Tätigkeit einzustellen) war ... mehr als nur eine notwendige Hilfsmaßnahme beim Versuch, der Verdächtigen habhaft zu werden. Sie war ein selbständiger Eingriff in die Rechtssphäre jedes einzelnen im Haus 3 Aufhältigen, eine Verhaftung, die über Stunden und zwar bis zur Abnahme der Handfesseln angedauert hat. Sie war zur Erreichung des Einsatzzwecks in diesem Ausmaß nicht erforderlich.“

Stundenlanges physisches und psychisches Leid durch Fesselungen

„Die Fesselung(en) erfolgte(n) ... nicht, um einer konkreten Fluchtgefahr oder einer Selbst- oder Fremdgefährdung zu begegnen, sie erfolgte(n) generell und präventiv. Es war auch keine Vorkehrung dafür getroffen, den eventuellen Wegfall eines solchen Gefährdungsgrundes ... wahrzunehmen und die Fesselung zu beenden. Sie sollte, wie bei der Verhandlung hervorgekommen ist, ausschließlich dazu dienen, den Zeitbedarf für die Einsichtnahme in die Lichtbilder ... abzusichern.

Es bedarf keiner ausführlichen Begründung, daß stundenlange Fesselung physisches und psychisches Leid verursacht.

(Die Beschwerdeführer wurden) durch das unbegründete Anlegen und das Angelegtlassen der Handfesseln in (ihrem) gemäß Artikel 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.“

Unzulässige Gesichtskontrolle anhand von Fotos

„Der UVS NÖ hält das ... von der belangten Behörde vorgebrachte Argument, die Hausbewohner würden häufig untereinander Zimmer tauschen, teilweise gar nicht im Besitz eines Lichtbildausweises sein und gelegentlich auch fremde Ausweise benützen, für durchaus zutreffend. ... Die Nachschau in allen Zimmern und die „Gegenüberstellung“ ausnahmslos aller angetroffenen Personen mit dem verdeckten Ermittler hat deshalb für die Erreichung des Einsatzzwecks als erforderlich zu gelten. ...

Das Café Ali, von dem aus der Straßenverkauf abgewickelt wurde ..., war ein „verdächtiger Ort“. Anders gelagert waren die Bedingungen für das Einschreiten im Haus 3, in dem ausnahmslos alle und überwiegend unverdächtige Schwarzafrikaner untergebracht waren. Die Einsatzleitung hätte bewußt sein müssen, daß die Beibehaltung der ursprünglich für das Café Ali geplanten Vorgehensweise einen wesentlich arbeits- und zeitintensiveren Aufwand erfordert. Eine Abänderung der Vorgangsweise wurde dennoch nicht in Erwägung gezogen.

Durch die Anfertigung (von) Lichtbild(ern) wurde(n die) Beschwerdeführer in (ihrem) einfachgesetzlich gewährleisteten Recht, nur in einem vom Anlaß gebotenen und vom Gesetz vorgesehenen Ausmaß an der Feststellung seiner Identität mitwirken zu müssen, verletzt.“

„We are the Police“ ist keine ausreichende Information

„Die belangte Behörde ist dem Vorbringen (der Beschwerdeführer), (ihnen) seien Anlaß und Zweck des Einschreitens trotz wiederholten Verlangens nicht mitgeteilt worden und (sie) sei(en) über (ihr) Recht, eine Person (ihres) Vertrauens zu verständigen oder einen Rechtsbeistand beiziehen zu können, nicht informiert worden, nicht entgegengetreten.

Die Beamten haben dazu ausgesagt, für derartige Informationen entweder nicht zuständig gewesen zu sein bzw. es infolge mangelnder Sprachkenntnisse gar nicht versucht zu haben. Zwar haben einige Beamte bei den im Waschraum angehaltenen Personen Unruhe, Unmutsäußerungen, Gesprächslärm und Herausschimpfen wahrgenommen, ihr Verhalten aber nicht hinterfragt.“

WC und Wassertrinken ist Menschenrecht

„Die Beamten haben ... ausgesagt, sie hätten derartige Wünsche der Schwarzafrikaner ... nicht gehört, weil keiner etwas gesagt habe bzw. weil sie gar nicht in die Räumlichkeiten ... hineingeschaut hätten.

Dagegen hat der Beschwerdeführer glaubwürdig vorgebracht, er habe ... den Wunsch aufs WC zu gehen geäußert und ein weiteres derartiges Ersuchen, nach der Beobachtung, was den Kollegen, die das gewollt hätten, widerfahren sei, nicht wiederholt.“

„Dagegen hat der Beschwerdeführer glaubwürdig vorgebracht, er habe in der Küche Wasser trinken und aufs WC gehen gewollt, zwar selbständig trinken, aber nur wie ein Tier an der Tränke den Hebel der Wasserleitung zu bedienen vermocht.“

„Die Begleitung der Frauen auf das WC ... ist erwiesen, die von den Organen der belangten Behörde nicht weiter hinterfragten Unmutsäußerungen der Angehaltenen ebenfalls.“

„(Die Beschwerdeführer) wurde(n) durch die mehrere Stunden andauernde Nichtbeachtung der Notwendigkeit der Erfüllung (ihrer) persönlichen Bedürfnisse in (ihrem) ... Recht, keiner erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.“

Die Gleich(schlecht)behandlung aller Schwarzafrikaner ist keine Diskriminierung (?)

„Den Erkenntnissen des verdeckten Ermittlers zufolge waren ausschließlich Schwarzafrikaner des Suchtgiftstraßenverkaufs verdächtig. Daß sich das ... Einschreiten im Lager konsequenter Weise auf die ... im Haus 3 untergebrachten Personen schwarzer Hautfarbe beschränkt hat, kann deshalb nicht als eine ... allein aus dem Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, der nationalen oder ethnischen Herkunft erfolgte oder als eine voreingenommene Behandlung gewertet werden.“

Hausrechtsverletzung nur „aus anwaltlicher Vorsicht“ vorgebracht ?

„Auch wenn die im Haus 3 untergebrachten Personen nicht immer die ihnen zugewiesenen Zimmer bewohnt und ihre Schlafstellen unter Mitnahme ihrer Effekten in andere Zimmer verlegt haben, waren ihre Betten, (teilweise versperrten) Koffer und Taschen jeweils individuelle Bereiche. Derart abgegrenzten Bereichen kommt der verfassungsgesetzlich gewährleistete Schutz des Hausrechts zu.

Die Beschwerdeführerin hat die Durchsuchung ihrer Schlafstelle und ihrer persönlichen Besitztümer –anders als andere Mitbewohner- nicht näher beschrieben. Bei Bedachtnahme auf die wortidenten Passagen bei den Eingaben sämtlicher Beschwerdeführer und bei Würdigung aller aufgenommenen Beweise stellt sich dieser Beschwerdepunkt als ein „aus anwaltlicher Vorsicht“ in die Beschwerde aufgenommener Textbaustein dar und steht für den UVS NÖ mit der erforderlichen Sicherheit fest, daß die Beschwerdeführerin durch die Amtshandlung in ihrem ... Schutz des Hausrechts nicht verletzt worden ist.“

„Shut up!“ und „Handgreifliche Zurechtweisung“

„Der Beschwerdeführer wurde nach etwa einer Stunde, während der ihm die Erfüllung der persönlichen Bedürfnisse (Händewaschen) und Fragen nach dem Grund der Amtshandlung („Shut up!“) nicht gestattet waren, auf den Korridor zitiert, dort oberflächlich visitiert, fotografiert und gefesselt. Er hat bei der Visitierung keinen Widerstand geleistet, aber, um die Behandlung anderer Betroffener ... beobachten zu können, selbständig die ihm angeordnete Position verändert, weswegen er von einem Beamten handgreiflich zurechtgewiesen worden ist. Das Aufheben seiner dabei heruntergefallenen Brille war ihm bis zum Ende der Visitierung nicht gestattet.

...

Der Beschwerdeführer hat ... sich dort –nicht nur eigenen, sondern auch den Angaben der Gendarmeriebeamten nach- im Wesentlichen widerspruchslos –zur Durchsetzung der Visitierung bzw. der Beibehaltung der dafür angestrebten Position „mußte“ der Beschwerdeführer handgreiflich zurechtgewiesen werden- durchsuchen, fotografieren und ... abführen lassen.“

Unbegründete und übergenaue Personsdurchsuchungen, aber keine Analvisitation ohne Gleitmittel :

„Der visitierende Beamte habe in seiner Hose Nachschau gehalten. ... Von einer –bezogen auf den Einsatzzweck- übergenauen Visitierung muß ... ausgegangen werden.“

„(D)er Beschwerdeführer (hat) dem UVS NÖ gegenüber angegeben, der visitierende Beamte sei ihm in die Hosentaschen gefahren, habe den Inhalt ... herausgenommen, alles ... auf den Boden geworfen und er habe seine Sachen erst am Ende der Visitierung zusammen mit der Brille wieder aufheben und einstecken dürfen.

Der Beschwerdeführer wurde durch die unbegründete Durchsuchung seiner Kleidung in seinen ... Rechten verletzt.“

„Der UVS NÖ hält die Behauptung des BF, er sei am Korridor einer Analvisitierung unterzogen worden, wegen der zahlreichen widersprüchlichen Angaben dazu, für nicht glaubwürdig:

In der Eingabe wird vom Beschwerdeführer vorgebracht, er habe sich ganz ausziehen müssen. In der Verhandlung hat der Beschwerdeführer angegeben, er habe die Jogginghose bis zu den Knöcheln hinunterlassen müssen, das T-Shirt anbehalten.

In der Eingabe wird vom Beschwerdeführer vorgebracht, er sei nach dem Kollegen K von demselben Beamten untersucht worden und habe dieser K zweimal analvisitiert und die verschmutzten Handschuhe anbehalten. Auch ES führt in ihrer Eingabe aus, sie habe zwei Analvisitationen an zwei verschiedenen Männern durch ein und denselben Beamten mit den selben Gummihandschuhen beobachtet.

K dagegen behauptet, an ihm sei „nur“ eine Analvisitation vorgenommen worden, die habe ca. 5 Sekunden gedauert. Der Beamte habe danach die Handschuhe angewidert ausgezogen und weggeworfen. Es seien nie zwei Schwarzafrikaner am Korridor gleichzeitig visitiert worden.

Vor dem UVS NÖ hat der Beschwerdeführer dagegen angegeben, er habe nicht darauf geachtet, ob der Polizist Handschuhe getragen. Er sei bei der Untersuchung nicht festgehalten worden, der Beamte sei direkt hinter ihm gestanden, die Untersuchung sei schmerzhaft gewesen, er habe gezuckt.

ML will die Untersuchung aus einer Entfernung von 1 m beobachtet haben. Zwei Beamte seien mit ihrem Ehemann beschäftigt gewesen, einer sei ihm mit zwei Fingern in den After gefahren. Er habe das Ganze in völliger Passivität und schweigend über sich ergehen lassen.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme angegeben, der Beamte sei mit dem Finger vielleicht 10 Sekunden drinnen gewesen, Verletzungen habe er durch die Untersuchung keine davongetragen.

Eine Analvisitierung der geschilderten Art wäre allenfalls bei der Suche nach in Körperhöhlen verstecktem Suchtgift zielführend gewesen. Daß solche Untersuchungen im Lager schon vorgekommen sind, hat der Lagerbedienstete S berichtet. Der Einsatz am 17.1.2000 hat nicht der Auffindung von Suchtgift sondern der Ausforschung von Personen gegolten, die Suchtgift im Straßenhandel verkaufen. Kleine, für den schnellen Straßenverkauf bestimmte Suchtgiftmengen, waren nach dem Stand der polizeilichen Ermittlungen in Körperhöhlen nicht nur nicht zu vermuten, die Aufbewahrung von Suchtgift dort wäre während des Aufenthalts in der Unterkunft und vor dem Schlafengehen auch sinnlos gewesen....

Schließlich kommt der medizinische Sachverständige in seiner abschließenden Beurteilung zu dem Ergebnis, der Untersuchende hätte bei einer Analvisitierung ohne Gleitmittel beträchtlichen Widerstand überwinden müssen, was zu Blutungen hätte führen müssen. Eine Untersuchung, wie sie behauptet werde, sei für einen ungeübten Untersucher praktisch unmöglich.

Für den UVS NÖ steht daher mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass die Untersuchung ... zwar genauer, als es der Einsatzzweck erfordert hätte, nicht nur oberflächlich, daß aber die behauptete Analuntersuchung nicht stattgefunden hat.“

B) „Atmosphärisches“ :

Organisationsdefizit und Unwahrheiten

„Die als rechtswidrig bekämpfte Amtshandlung im Flüchtlingslager Traiskirchen war ... ausschließlich nach kriminaltaktischen Überlegungen vorbereitet:... Die Einsatzleitung hat ... aber nicht nur nicht materiell ausreichend vorgesorgt –Filme für die Aufnahme aller dort angetroffenen Personen und sogar Haftzettel waren nicht in ausreichender Anzahl vorhanden und mußten von außerhalb des Lagers geholt werden- , sie hat es vor allem unterlassen, das weitere Einschreiten rechtlich abzusichern und dafür einen entsprechend erweiterten Gerichtsauftrag einzuholen.“

„Als erwiesen hat ... zu gelten, daß sich im Zimmer Nr. 13 zusammen mit den Revierinspektoren S und H auch der Hundeführer (mit Hund) Revierinspektor L aufgehalten hat. Seine Angaben, er habe im ersten Stock überhaupt kein Zimmer betreten, hält der UVS NÖ für ... unwahr.“

„Der Vertreter der belangten Behörde verweist auf das kriminelle Umfeld, in dem eingeschritten worden ist, darauf, daß nach den Erkenntnissen des verdeckten Ermittlers ausschließlich Schwarzafrikaner regelmäßig Suchtgift auf der Straße im Bahnhofsbereich angeboten und verkauft haben, um danach in der Schutzwürdigkeit des Asyl unterzutauchen. Er verweist, ohne konkret auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen, auf die widersprüchlichen Angaben der von der Amtshandlung Betroffenen, insbesondere auf ihre zwar gleichlautenden, aber völlig realitätsfremden Angaben zur Bewaffnung der Beamten und kommt, ohne die Ungereimtheiten der Aussagen der Beamten zu erwähnen, zur abschließenden Beurteilung, dass die behaupteten Übergriffe nicht stattgefunden haben und das Einschreiten rechtmäßig war.“

UZIs, Schlagstöcke und das „Dienstlämmchen“ („marzi-alisches“ Auftreten ?)

„In Abwägung sämtlicher Zeugenaussagen gelangt der UVS NÖ zur Überzeugung, daß von den Beamten im Lager Traiskirchen weder Langwaffen (nach der Art einer UZI) noch Schlagstöcke eingesetzt worden sind und hält er auch das ... Vorbringen, der Hund habe ihn [gemeint wohl: den Beschwerdeführer, nicht den UVS NÖ], als er im Begriffe gewesen sei, den Haftraum zu betreten, auf Kommando angesprungen ..., für nicht glaubwürdig.“

Zwischenresümee :

Bislang wurde über sechs von 32 Beschwerden entschieden.

32 Beschwerdepunkte wurden bislang im Sinne der Beschwerdeführer erledigt, in zehn Punkten sind die Beschwerdeführer unterlegen.

Somit harren noch 26 Beschwerdeführer mit 240 Beschwerdepunkten einer Entscheidung.

Der Innenminister muß fünf Beschwerdeführern (ein Betroffener ist mit seiner nur auf die Durchsuchung seiner Besitztümer und Schlafstelle bezogenen Beschwerde zur Gänze unterlegen) insgesamt knapp EUR 36.000,- an Verfahrenskosten bezahlen.

Learning by Paying ? (Wieviel sind dem Steuerzahler 12,5 Jahre Haft für Drogendealer wert ?)

Die ersten fünf obsiegenden Beschwerdeführer haben aufgrund ihrer UVS-Entscheidungen bereits Entschädigungsforderungen zwischen EUR 400,00 und EUR 3.000,00 erhoben, über die das Innenministerium innerhalb der nächsten drei Monate entscheiden muß.

Da die bislang in vergleichbaren Anlaßfällen zuerkannten Entschädigungen weitaus geringer ausgefallen sind, dürften Amtshaftungsklagen der Betroffenen auf höhere Entschädigungen unvermeidlich sein.

Die sogenannten „Schmerzensgeldrichtsätze“, nach denen in Österreich die Entschädigungen auch für rechtswidrige Freiheitsentziehungen ausgemessen werden, liegen bei weitem unter jenem Niveau, wie es etwa in der Judikatur des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes bei dort in vergleichbaren Fällen festgestellten Menschenrechtsverletzungen vorgegeben wird.

Aufgrund des enormen Verfahrensaufwandes (32 Beschwerden, 24 Verhandlungstage) werden nach Abschluß aller Verfahren außerdem auch noch Amtshaftungsforderungen für weitere Verfahrenskosten in derzeit noch nicht näher bezifferbarer Höhe auf das Innenministerium zukommen.

Hinzu werden noch die Kosten der 32 Säumnisbeschwerden und weiterer Höchstgerichtsbeschwerden kommen.

Das Innenministerium und die diesem unterstellten Sicherheitsbehörden werden sich für die Zukunft wohl überlegen müssen, ob Razzien wie diese für den Steuerzahler noch leistbar sein werden.

Nach Angaben der Sicherheitsdirektion Niederösterreich vor dem UVS habe das Ergebnis der Aktion in Haftstrafen für Drogendealer von insgesamt 12,5 Jahren bestanden.

Dabei dürfte jedoch geflissentlich verschwiegen worden sein, daß dies das Ergebnis der gesamten Aktion war, die sich nicht bloß im Lager Traiskirchen abspielte, wo es nämlich kaum Festnahmen geschweige denn Drogenfunde gab.

Der Aufwand an Einsatzkosten, an Verfahrenskosten (alleine vor dem UVS wurden mehr als EUR 20.000,00 für Dolmetscher, Sachverständige und Zeugengebühren ausgegeben) und an Schadenersätzen ist enorm !

Durch die Rückkehr zu rechtskonformen Ermittlungsmethoden und durch vermehrte Schulung der Beamten in bezug auf die (Grund-)Rechte ihrer „Zielpersonen“ könnte, entsprechenden Willen der Entscheidungsträger vorausgesetzt, ein weitaus kostengünstigerer Weg eingeschlagen werden.

Den Tag nicht vor dem Abend loben, aber ... (was es wiegt, das hat’s)

Bislang liegen zwar erst über sechs von 32 Beschwerden bzw. über 42 von 282 Beschwerdepunkten Entscheidungen vor; weitere und im wesentlichen gleichlautende werden aber hoffentlich noch folgen.

Daß überhaupt (nach mehr als dreieinhalb Jahren) doch noch Entscheidungen vorliegen, ist in erster Linie auf die Zivilcourage des Mitglieds des UVS Niederösterreich Dr. Paul Marzi zurückzuführen:

Seine ausgewogene, aber dennoch auf alle Einzelheiten bedachte, kritische und dabei auf weiten Strecken an Verfahren vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal erinnernde Verhandlungsführung muß als vorbildlich bezeichnet werden. Seine zu Beginn der Verhandlungen im Juli 2000 abgegebene Erklärung, die Umstände der Razzia schonungslos aufklären zu wollen, war kein bloßes Lippenbekenntnis (so wie etwa dasjenige des Innenministers zu diesem und auch zu ähnlichen Anlässen).

Verwaltungs- und Gerichtsorganisation nicht gerüstet ? Oder: „Wird einer krank, dann steht das Werkel“ ?)

Bereits in den Säumnisbeschwerden vom August 2001 wurde betont, daß sie die Nichtentscheidung über die Beschwerden nicht als Fehlleistung des UVS-Mitglieds Dr. Marzi anzusehen, sondern auf eine unausgewogene Geschäftsverteilung des UVS Niederösterreich zurückzuführen ist, die es offenbar nicht ermöglicht, arbeitsüberlastete und gesundheitlich angeschlagene Mitglieder zu entlasten (vgl. dazu näher www.deranwalt.at/show.asp?id=112&kapitel=Wissenswertes ).

Mit der fortgeschrittenen Erkrankung des UVS-Mitglieds Dr. Marzi schien schließlich überhaupt ein Totalstillstand der Rechtspflege bevorzustehen:

Wie aus Stellungnahmen sowohl des UVS Niederösterreich als auch des Verwaltungsgerichtshofes gegenüber der Rechtsanwaltskammer Wien hervorgeht, fand sich beim UVS Niederösterreich niemand, um ersatzweise die ausständigen Entscheidungen zu treffen, geschweige denn die Akten an den ab September 2002 zuständig gewordenen Verwaltungsgerichtshof vorzulegen.

Der Verwaltungsgerichtshof dürfte darüber so unglücklich nicht gewesen sein. Er ist an sich bloß zur nachprüfenden Kontrolle von Entscheidungen eingerichtet. Ohne selbst den Verhandlungen vor dem UVS beigewohnt zu haben, hätte er entweder aus dem mehr als 1000-seitigen Akt das Entscheidungswesentliche herausfiltern oder aber das Verfahren selbst ergänzen, wenn nicht gar aus Unmittelbarkeitsgründen neu durchführen müssen. Damit wäre zumindest der betreffende Senat des Gerichtshofes auf Dauer „lahmgelegt“ worden.

Respekt, Respekt !

Daß sich das UVS-Mitglied Dr. Marzi offenbar sofort nach seiner Genesung darangemacht hat, die längst überfälligen Entscheidungen zu treffen – und zwar trotz infolge Zuständigkeitsverlusts fehlender Verpflichtung hierzu- verdient Anerkennung und zeugt von einem für österreichische Verhältnisse seltenen Berufsverständnis.

... und trotzdem : Höchstgerichtsbeschwerden sind in Ausarbeitung

In den bisher entschiedenen sechs Beschwerdefällen immerhin zehn von 42 Beschwerdepunkten verloren.

Dies dürfte zumindest teilweise auf eine Verkennung der konkreten Rechts- oder auch der Sachlage zurückzuführen sein.

Dementsprechend werden sich auch noch der Verfassungs- und der Verwaltungsgerichtshof mit dem einen oder anderen, vom UVS verkannten Beschwerdepunkt nachprüfend auseinandersetzen müssen.

Berufspflichtenverletzungen nur teilweise behandelt

Hinzu kommt, daß der UVS im August 2001 den auf die sogenannte Richtlinienverordnung (das ist ein in Verordnungsform festgelegter Katalog von Berufspflichten) gestützten Teil der Beschwerden als verspätet zurückgewiesen hatte :www.deranwalt.at/show.asp?id=123&kapitel=Wissenswertes

Die nunmehr eingelangten Bescheide gehen zwar nicht explizit auf diesen bereits zurückgewiesenen Beschwerdeteil ein, erledigen ihn jedoch teilweise mit (und zwar was die Verletzung der Beschwerdeführer in Verständigungsrechten anlangt). Es ist daher zu erwarten, daß der UVS nach Behebung der Zurückweisungsbescheide vom August 2001 über den noch unerledigten Teil der Richtlinienbeschwerdepunkte neuerlich wird entscheiden müssen (im wesentlichen geht es dabei um die von den Beschwerdeführern geltend gemachte unhöfliche und voreingenommene Behandlung und die Verwendung des Du-Wortes durch die Beamten).

Ein paar Ruten in die Fenster :

a) dem Innenminister dafür, daß er im Frühjahr 2000 das Ersuchen der Beschwerdeführer um Gewährung von „aufenthaltsrechtlichem Zeugenschutz“, um für das UVS- und für das Strafverfahren zur Verfügung zu stehen, ausschlug. Es ist dem Unabhängigen Bundesasylsenat zu verdanken, daß einige der Beschwerdeführer inzwischen Asyl gewährt erhalten haben, und mehreren NGOs und Anwälten, daß sie durch rechtsfreundliche Vertretung bzw. Unterkunftsgewährung die (verschiedentlich auch versuchte) Abschiebung von Beschwerdeführern verhindern konnten.

b) der Sicherheitsdirektion Niederösterreich dafür, daß sie als Dienstaufsichtsbehörde nicht einmal den Versuch unternommen hat, die in § 89 Abs.3 des Sicherheitspolizeigesetzes vorgesehene Möglichkeit, mit den Beschwerdeführern eine Klaglosstellung hinsichtlich einzelner der von ihnen erhobenen Vorwürfe herbeizuführen (es hätte allen Beteiligten eine Menge an Anstrengung und nicht zuletzt auch dem Steuerzahler eine Menge Geld erspart).

c) der (weisungsgebundenen ?) Sicherheitsdirektion Niederösterreich auch dafür, daß sie in keinster Weise an der Wahrheitsfindung mitgewirkt hat. Es wurden weder Akten vorgelegt, noch ist bis heute bekannt, wie viele Beamte tatsächlich an dieser Razzia beteiligt waren. Nach wie vor können viele der vor dem UVS hervorgekommenen Amtshandlungen nicht verläßlich bestimmten Beamten zugeordnet werden. Derartiges „Mauern“ ist gerade von „Sicherheits“- bzw. „Strafverfolgungs“-behörden in höchstem Maße befremdlich und auch bedenklich.

d) den am Einsatz beteiligten Beamtinnen und Beamten für ihren „Kadergehorsam“ und absolut gleichgültigen, wenn nicht zum Teil sogar offen schikanösen Umgang mit den (Grund-)Rechten ihrer „Zielpersonen“.

e) jenen Beamtinnen und Beamten, die vor dem UVS die Unwahrheit gesagt haben – sie haben dem (an sich aus dem Strafprozeßrecht stammenden) Begriff der „peynlichen Befragung“ eine neue Bedeutung gegeben. Letztlich ist es nur durch die Vielzahl der vor dem UVS vernommenen Beschwerdeführer, Beamten und Zeugen und die über weite Strecken nahezu „detektivische“ Recherche, Befragung und Verhandlungsführung durch den UVSgelungen, daß zahlreiche Ausreden, Un- und Halbwahrheiten überhaupt „aufgeflogen“ sind.

f) der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt dafür, daß sie sinnigerweise die Kriminalabteilung Niederösterreich mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre eigenen Beamten beauftragte und die Anzeige ( siehe www.deranwalt.at/show.asp?id=8&kapitel=Wissenswertes ) im April 2001 ohne jedes weitere Verfahren zurücklegte, weil sie „keine genügenden Gründe“ für die Einleitung eines Strafverfahrens sehen wollte – was in unauflöslichem Widerspruch zu den Feststellungen und rechtlichen Beurteilungen des UVS steht.

g) dem Landesgericht Wiener Neustadt dafür, daß es zunächst den Beschwerdeführern im Januar 2000 die Einsichtnahme in den der Razzia zugrundeliegenden Strafakt verweigerte, womit diese beinahe der Falschinformation der Kriminalabteilung Niederösterreich „aufgesessen“ wären, daß es auch für das Lager Traiskirchen Hausdurchsuchungsbefehle gegeben hätte.

h) und last but not least –leider- auch dem Menschenrechtsbeirat: Aus Anlaß dieser Razzia wurde zwar noch im Frühjahr 2000 die Empfehlung ausgegeben, daß in Hinkunft zu derartigen Polizeiaktionen Mitglieder des Beirates als Beobachter hinzugezogen werden sollen. Trotzdem der Innenminister diese Empfehlung in der Folge auch umsetzte, ist bis heute auch nur eine einzige Kritik des Beirates an den nach wie vor beinahe tagtäglich in Asylwerberunterkünften, Bahnhöfen und U-Bahn-Stationen stattfindenden „Round Up“-Aktionen zu vermissen – dies obwohl nach der bereits jahrzehntealten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes für die, wenn auch nur vorübergehende, Festnahme eines Menschen, für seine Durchsuchung und Identitätsfeststellung konkretere Verdachtsmomente vorliegen müssen als bloß seine Hautfarbe, seine Herkunft, sein Aufenthaltsort oder sein sozialer bzw. aufenthaltsrechtlicher Status.

Wünsche ans Christkind :

Es ist zu hoffen,

1. daß die nunmehrigen Entscheidungen des UVS Niederösterreich von Behörden zum Anlaß genommen werden, menschenrechtswidrige Ermittlungsmethoden nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ bzw. „Es wird sich dabei schon irgendwas ergeben“ zu überdenken;

2. daß sich auch vermehrt Menschen mit Zivilcourage finden, die sich gegen die Verletzung ihrer (Grund-)Rechte beschweren; und

3. daß sie dabei auf Entscheidungsträger treffen, die ihre Verantwortung, (Grund-)Rechtsverletzungen aufzuklären, wahrnehmen.

Der gekürzte Text der – im Original je rund 120 Seiten starken- UVS-Entscheidungen (Spruch, Feststellungen und rechtliche Würdigung) kann abgerufen werden unter
www.deranwalt.at/show.asp?id=366&kapitel=Gewonnenes
www.deranwalt.at/show.asp?id=367&kapitel=Zerronnenes
www.deranwalt.at/show.asp?id=368&kapitel=Gewonnenes
www.deranwalt.at/show.asp?id=369&kapitel=Gewonnenes
www.deranwalt.at/show.asp?id=370&kapitel=Gewonnenes
www.deranwalt.at/show.asp?id=371&kapitel=Gewonnenes

Weitere einlangende Entscheidungen werden in gleicher Weise veröffentlicht; wenn Sie von weiteren Veröffentlichungen zur Traiskirchen-Razzia verständigt werden wollen, melden Sie sich bitte unter www.deranwalt.at/anmeldung_frameset.htm an (Rubrik „Polizei“ auswählen).

Rückfragehinweis :

RA Dr. Wolfgang RAINER
Roland HERMANN
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