no-racism.net Druckversion

Quellenangabe:
'Asylum Airways': EU-Sammeldeportationen mit Chartermaschinen (vom 28.07.2005),
URL: http://no-racism.net/article/1320/, besucht am 07.11.2024

[28. Jul 2005]

'Asylum Airways': EU-Sammeldeportationen mit Chartermaschinen

Am Dienstag, 26. Juli 2005 wurden in französisch- britischer Zusammenarbeit 40 Leute mit einem gecharterten Maschine der "Blue Line" nach Afghanistan abgeschoben. Verschiedenen Meldungen zu folge war dies die erste einer Reihe von Sammeldeportationen.

Der französische Innenminister Nicolas Sorkazy hat am Mittwoch, 27. Juli 2005 nach einer Sitzung des Ministerrates mitgeteilt, dass weitere derartige Abschiebungen Illegalisierter vorgesehen sind. Nicolas Sarkozy an die Presse: "Es sind mehr Flüge vorgesehen und zwar über politische Barrieren hinaus, da wir mit der sozialistischen Regierung Englands bereits zusammengearbeitet haben und diese Zusammenarbeit auch mit den sozialistischen Regierungen Spaniens und Deutschlands gefragt ist."

Sarkozy wies in rassistischer Diktion darauf hin, dass die EU-Mitgliedsstaaten Rechtsstaaten seien und dass mensch deren Regeln und Gesetze respektieren müsse: "... die, die keine Papiere haben sind illegal und müssen abgeschoben werden. Das ist, was wir mit unseren Europäischen Partnern beschlossen haben."

Er sprach von der "Entwicklung von Integration" und der "Kontrolle von Immigration". Die Abzuschiebenden bezeichnet er als "die Opfer jener Krimineller, die das menschliche Elend ausnutzen" (also der FluchthelferInnen, Anm.). Eben diesen "Opfern" will er vermitteln, dass sie keine Berechtigung zum Aufenthalt haben und ihre Anwesenheit nicht akzeptiert werde. "Unsere Idee ist simpel: Wir finden, dass Ausländer ohne Recht oder Anspruch auf Aufenthalt in unseren Ländern, nicht bleiben sollen. Sie verstoßen gegen unsere Gesetze."


Der Beschluss der G5


Am 5. Juli 2005 trafen sich die InnenministerInnen der G5, der fünf größten Europäischen Staaten (Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, England) in Evian (Haute-Savoie). Den Vorsitz hatte der französische Innenminister Sarkozy. Er verkündete im Anschluss an das Treffen, dass Abschiebungen in Zukunft gemeinsam organisiert werden.

Gecharterte Flugzeuge, "Asylum Airways" genannt, sollen von Hauptstadt zu Hauptstadt fliegen und illegalisierte MigrantInnen aufsammeln. Ziel sollen vor allem jene Länder sein, in die es nur wenige direkte Flüge gibt. Weiters sei es durch die gemeinsam Abwicklung für jene Staaten einfacher, die schlechtere Beziehungen mit dem jeweiligen Zielland haben. So hat zum Beispiel Italien bessere Beziehungen zu Somalia als GB.


Charterdeportationen


Flugzeuge wurden bisher sehr oft von einzelnen Regierungen gechartert, um Leute zum Beispiel auf den Balkan zu fliegen, wie :: die Deportation 1.000er Leute aus den Niederlanden nach Bulgarien.

Seit Herbst 2002 arbeitet die EU an gemeinsamen Richtlinien für Charterdeportationen. Dadurch soll die Abschottungspolitik der EU effizienter gestaltet und Kosten eingespart werden. Frankreich nimmt hier eine wichtige Rolle ein, da es ein Arbeitsgruppe zur Durchführung gemeinsamer Rückführung leitet(e).

Die französische Organisation Cimade verfasste im November 2003 eine Petition an das Europäische Parlament (EP), in der sie die Entscheidung des Rats der Europäischen Union für Charterdeportationen verurteilte. Dieser hatte sich darauf geeinigt, die Praxis der Charterdeportationen auf Gemeinschaftsebene zu regeln, ohne eine Stellungsnahme des EP abzuwarten.

Aus dem Aufruf von Cimade:
"Die Praxis der Sammelabschiebungen in Chartermaschinen führt zwangsläufig dazu, dass die zuständigen Behörden die Prüfung der Einzelsituationen vernachlässigen und - durch die mögliche Fehleinschätzung der Folgen der Abschiebung für den Einzelnen - die Institution des Asyls und die Grundrechte der Betreffenden verletzen. Ferner ist die Zwangsvollstreckung dieser Sammelrückführungen nur unter Anwendung von Polizeimethoden und -techniken durchführbar, die jederzeit in Brutalität und Gewalt ausarten und zur Verletzung der körperlichen Integrität oder gar zum Tod der Abzuschiebenden führen können."

Dass dies nicht weit hergeholt ist, bestätigt die Praxis: Im Mai 2004 organisierte die Hamburger Ausländerbehörde für Deutschland die vom Flughafen Schiphol/Amsterdam (Niederlande) koordinierte Massenabschiebung von Exiloppositionellen in die Diktatur Togo und in das despotisch regierte Kamerun. Unter Geheimhaltung und mit massiver Gewaltanwendung wurden unter Aufhebung des Nachtflugverbotes 15 Menschen vom Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel nach Amsterdam deportiert. Dort wurden gleichzeitig togoische und kamerunische Flüchtlinge aus Belgien, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden gesammelt und dann im Gemeinschaftstransport mit großer Polizeibegleitung nach Westafrika geflogen. Abgeschobene berichteten später über Gewalt durch die Polizei sowie von Festnahmen und Verhören in den Zielländern.

Im September 2004 übernahmen die Hamburger Behörden die Gesamtplanung und Durchführung einer EU-Sammelabschiebung unter Beteiligung von Beamten aus Belgien und der Schweiz. Für die Jahre 2005 und 2006 hat die EU ca. 30 Millionen Euro für solche Massenabschiebungen zur Verfügung gestellt.

Cimade stellte 2003 in einem begleitenden Brief zur Petition fest, dass der Gebrauch von Charterflügen eine weit verbreitete Methode zur "Rückführung" in vielen Europäischen Staaten ist. In den vergangen Jahren hat z.B. Deutschland mehr als 10.000 Leute via Charter abgeschoben, im März 2003 kündigte Frankreich wöchentliche Charterflüge an. Italien brachte ebenfalls Tausende Leute mittels Charter außer Landes. Deportationen mittels gecharterter Flugzeuge sind darüber hinaus aus Spanien, Belgien und Großbritannien bekannt, welches Roma, sowie Leute aus dem Kosovo und Afghanistan auf diese Weise deportierte.

In Österreich werden drei bis vier Mal jährlich sogenannte "Problemabschiebungen" mit gecharterten Flugzeugen des Internationalen Flugrettungsdienstes Austria (IFRA) unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt. Begleitet werden diese Flüge in der Regel von PolizistInnen, einem Arzt und einem Menschenrechtsbeobachter (siehe dazu :: Informationen zur Abschiebung von Anthony O. nach Nigeria und die :: Parlamentarische Anfragebeantwortung vom Feb. 2001). Erst vor wenigen Wochen fand eine derartige Deportation von vier Personen aus Österreich nach Nigeria statt, deren Kosten sich auf ca. EUR 45.000,- beliefen.

Auch aus den Niederlanden sind Charterdeportationen nach Afrika bekannt, wie z.B. :: am 20. August 2003 in die DR Congo.


"Asylum Airways" nimmt Betrieb auf


Am 26. Juli 2005 nahm die "Asylum Airways" mit einer Maschine der "Blue Line" ihren Deportationsbetrieb auf - erstes Ziel war Kabul, die Hauptstadt der Krisenregion Afghanistan. Die Sammelabschiebungen sind laut Sarkozy eine Antwort auf den Wunsch der G5-Länder, wirtschaftliche und politische Mittel oder Möglichkeiten aufeinander abzustimmen.

Charles Clarke, der britische Innenminister sagte Anfang Juli: "Unsere fünf Ländern sind entschlossen, unseren BürgerInnen zu demonstrieren, dass wir zusammenarbeiten können. Gemeinsames Handeln ist immer effektiver."

Der Italienische Justizbeauftragte Franco Frattini begrüßte den Beschluss zur gemeinsamen Rückführung und fügte als Argument hinzu, dass Italien seit Jahren wieder eine steigende Geburtenrate aufweise. außerdem fände er es gut, wenn sich andere Staaten daran beteiligen würden.

Zustimmung zu gemeinsamen Charterdeportationen kam auch aus Malta. Der stellvertretende Ministerpräsident, Tonio Borg, äußerte den Wunsch, an den Deportationen mit den "Asylum Airways" teilzunehmen.

Die G5 InnenministerInnen sagten, dass es für StaatsbürgerInnen jener Länder, die sich weigern, Reisedokumente für illegalisierte ImmigrantInnen auszustellen, und somit die Abschiebung abgelehnter AsylwerberInnen zu verhindern, in Zukunft (noch) schwieriger wird, Visa für die EU zu erhalten.

Kommentar aus Brüssel laut :: euobserver.com: Es handle sich hierbei um eine Initiative der fünf beteiligten Staaten und nicht der EU.


deportation.class


Die Chartermaschine, mit der die Deportation am 26. Juli 2005 durchgeführt wurde, stellte die Fluglinie :: Blue Line zur Verfügung. Diese Firma hat ihren Sitz in Frankreich, aber auch einige Außenstellen in Deutschland.

Protestschreiben können u.a. an die Marketingabteilung in Deutschland geschickt werden:
Commercial - Airline development - Marketing
German Desk
Wolf Jaura
+49 172 867 6702
w.jaura (at) flyblueline.com

Weitere Informationen über involvierte Unternehmen und Proteste finden sich im Beitrag: :: charter.deportation.class.


Proteste


Die Charterdeportation wurde trotz zahlreicher Proteste durchgeführt. Eine Reihe von Organisationen unterzeichnete einen :: Protestbrief an den derzeitigen EU-Präsidenten Tony Blair. Auch :: amnesty international kritisierte die Charterdeportation.

Im September 2004 kam es anlässlich der oben erwähnten europaweit koordinierte Sammeldeportation zu :: Protesten am Flughafen in Hamburg. Der Widerstand gegen diese Form der Deportation ist aber noch relativ schwach und es ist auch schwierig, gegen die meist geheim stattfindenden Aktionen wirkungsvoll vorzugehen. Deshalb verfassten der Flüchtlingsrat Hamburg und die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen einen :: Aufruf gegen EU-Charterdeportationen. über verstärkte Thematisierung soll die Wichtigkeit des Protests gegen die gemeinsamen Deportationspraxis der aufgezeigt werden - in der Hoffnung, dass sich wirkungsvoller Widerstand entwickelt.

Angesichts der nun durchgeführten Sammeldeportation im Rahmen der "Asylum Airways" wird dies umso deutlicher.



Quellen:


:: Petition gegen Charterdeportationen, Cimade, November 2003
:: Auruf gegen Charterdeportationen, Oktober 2004
:: nouvelobs.com, 27. Jul 2005
:: timesonline, 6. Juli 2005
:: timesofmalta.com, 7. Jul 2005
:: euobserver.com, 6. Jul 2005