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Quellenangabe:
Marokko: Die Revolte der Flüchtlinge (vom 25.06.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2166/, besucht am 26.04.2024

[25. Jun 2007]

Marokko: Die Revolte der Flüchtlinge

Mit einem Sit-in protestierten vom 18. bis 25. Mai 2007 Flüchtlinge und AsylwerberInnen vor der marokkanischen Vertretung des UNHCR in Rabat. Sie setzten die UNO-Organisation aber auch das Königreich unter Druck. Und das ist erst der Anfang...

Sie sind ungefähr 60, hauptsächlich Menschen aus dem Kongo oder der Elfenbeinküste, aber auch aus Liberia und Nigeria. Sogar ein Libanese und ein Palestinenser befinden sich unter ihnen. Ihre Nationalität und ihre individuellen Schicksale unterscheiden sie, vereint werden sie durch ihren Flüchtlings- oder Status als AsylbewerberInnen in Marokko. Gemeinsam haben sie vor allem einen Grund, den sie alle verteidigen wollen: Ihre Würde. In mehreren Vereinen organisiert, machen sie durch einem ausgedehnten Sit-in vom 18. bis 25. Mai 2007 vor dem Büro des UNHCR in Rabat von sich reden.

Wie im Juli letzten Jahres versammelten sie sich in einem dürftigen Camp, ausgerüstet mit Transparenten, die ihre Forderungen zusammenfassen und Gesichtern, die sichtbar von Hoffnungslosigkeit gezeichnet sind. Die "sanfte" Intervention der Ordnungskräfte in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, beendete zwar die Protestbewegung, aber alles weist auf eine Vertagung hin. Wie bei vorangegangenen Gesprächen riskiert der vom UNHCR Büro versprochene Dialog zu straucheln, da die Kluft zwischen den Vorschlägen der Institution und den Beschwerden der Demonstrierenden zu tief ist. In der Tat fordern letztere "die Rechte, die ihnen der Flüchtlings- oder der AsylbewerberInnenstatus zugesteht."

"Dies würde uns finanzielle und medizinische Unterstützung verschaffen und uns helfen, das bisschen Würde, dass wir noch besitzen, zu bewahren, in einem Land in dem wir nicht einmal das Recht auf eine Aufenthaltsbewilligung haben und noch weniger das Recht auf Arbeit oder Bildung, in einem Land, in dem unser Status nicht einmal offiziell anerkannt ist", erklärt Fiston Massamba aus dem Kongo, Generalsekretär des MigrantInnenrats und einer der VertreterInnen der Protestbewegung.


Ein Dialog der Schwerhörigen


Nachdem der UNHCR seinen Türen drei Tage lang verschlossen hielt und jedes Gespräch mit der Bedingung verknüpfte, den Sit-in zu beenden, beharrt er nun auch auf seiner Position: "Der UNHCR in Rabat hat die Flüchtlinge immer darüber informiert, dass er über kein Budget verfügt, um ihnen individuelle und regelmäßige finanzielle Hilfe zu gewährleisten" erklärte Jennifer Pagonis, UNHCR-Sprecherin anlässlich einer Pressekonferenz am 25. Mai 2007 in Genf. Sie spielt den Ball zurück auf die marokkanische Seite und fügte hinzu: "Wenn die Flüchtlinge in Marokko unter prekären Bedingungen leben, liegt dies zunächst daran, dass sie von den marokkanischen Autoritäten nicht offiziell anerkannt sind. Folglich haben sie weder Zugang zum Arbeitsmarkt noch zu einer Grundversorgung".

Diese Position wird von Yohannes Van Der Klaw, dem lokalen Vertreter des UNHCR bestätigt, indem er für die, die dies hören wollen, wiederholt, dass die UN-Organisation "keine Wunder vollbringen kann." Dem Ersuchen, die Unterstützungsmaßnahmen auf alle Flüchtlinge und AsylweberInnen (offiziell zwischen 600 und 1000) anzuwenden, hält der UNHCR ein einzelfallbezogenes Vorgehen und das schlagende Argument der Finanzmittelknappheit entgegen. Um das wirtschaftliche Elend der Flüchtlinge zu beschränken, schlägt Van Der Klaw lediglich eine Mikro-Kredit-Aktion vor, bei variablen Beträgen zwischen 1500 und 2000 DH. "Das sind lächerliche Beträge, die kaum reichen, um einige Tage zu überleben", empört sich Fiston Massamba. "Wenn Marokko und der UNHCR in Rabat unfähig sind, uns zu helfen, warum werden wir dann dazu gezwungen auf marokkanischem Territorium zu bleiben? Warum werden wir dann nicht in Länder gebracht, die sensibler auf unser Not reagieren?"

Während sie warten, erwägt das Kollektiv eine gemeinsame Plattform zu errichten, um die fünf aktuellen Flüchtlingsorganisationen zu vereinen: "So kann der UNHCR nicht mehr auf die Entzweiung setzen", erklärt ein Mitglied von "Réfugiés sans frontières" ("Flüchtlinge ohne Grenzen"), eine NGO, die sehr aktiv in diesem Fall tätig ist. "Was im Moment passiert, ist eine weitläufig konzertierte Aktion in den Reihen der Flüchtlinge und den AsylweberInnen, mit der Absicht eine besser strukturierte und weitläufigere Bewegung zu bilden", fügt Hicham Rachidi, Präsident der "Groupe anti-raciste de défense et d’accompagnement des étrangers et migrants" (GADEM), hinzu.


Und Marokko?


"Im Moment begnügen sich die Autoritäten damit, das Spiel des UNHCR zu spielen, der selber nichts anderes macht, als ein europäisches Diktat anzuwenden, indem sie Marokko dazu drängen ein Asylsystem zu schaffen", antwortet Rachidi. Denn wenn die Streitsache vor allem die Flüchtlinge und die internationale Organisation betreffen, die sich um diese kümmern muss, hat Marokko auch seinen Anteil an Verantwortlichkeiten. Als UnterzeichnerIn der Genfer Konvention, ist das Königreich in Bezug auf den Flüchtlingsstatus angehalten, mehrere eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen.

Dies fängt bei der Verpflichtung an, sich jeglicher Akte kollektiver Ausweisung oder Abschiebung an die Grenze zu enthalten (was aber schon oft geschehen ist; mehr dazu weiter unten), und geht weiter zur Einführung von Sanktionen für die Verletzung der Bestimmungen der Genfer Konvention durch Staatsbedienstete. Die Razzien vom Dezember 2006, die sogar anerkannte Flüchtlinge betrafen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.

Vor allem verhindern die marokkanischen Behörden weiterhin mit aller Gewalt, Personen mit Flüchtlingsstatus einen ordnungsgemäßen Aufenthaltstitel und ein entsprechendes Reisedokument zu gewähren. Die einzige bewilligten "Mini-Maßnahmen", in gemeinsamer Abstimmung mit dem UNHCR Rabat, sind die wagen Versprechen, den rechtlichen Status der Betroffenen zu verbessern und die Möglichkeit, deren Kindern den Zugang zu einer öffentlichen marokkanischen Schule zu gewährleisten. Ein schwacher Trost für Menschen, die entschlossen sind, ihre Forderungen bis zum Ende durchzusetzen und die letzten Endes nichts zu verlieren haben. Denn in den meisten Fällen haben diese Menschen bereits alles verloren.



Zum Weiterlesen


Eine Übersicht über die auf no-racism.net erschienen Berichte zum Thema findet sich in der linken Spalte (oben). Im folgenden noch ein paar Anmerkungen zu einigen dieser Artikel und kommentierte Links zu weiteren Informationen (in verschiedenen Sprachen):

In den letzten Jahren wurde immer wieder bekannt, dass die Behörden in Marokko Menschen in der Wüste an die Grenze zu Algerien aussetzen und ihrem Schicksal überlassen. So auch in Folge großangelegter Razzien, die :: am 23. Dez 2006 begannen. Was sich die Regierung von Marokko davon erhofft und welcher Widerstand sich dagegen formiert, beschreibt der Artikel :: Marokko: Menschenrechtsverletzungen im Namen des EU-Grenzregimes (05. Feb 2007)

Weitere "gruselige Details" über diese Abschiebungen bietet ein im Juni 2007 von der Spanish Commission for Refugee Aid (CEAR) veröffentlichter Bericht. Eine Zusammenfassung auf englisch findet sich im Bericht :: EU/Africa: Chilling details of refoulements from Morocco revealed (14. Jun 2007).

Im Jänner 2007 erfolgte ein Aufruf mit Anklagen und Forderungen gegen die repressive Durchsetzung der EU-Abschottungspolitik durch marokkanische und algerische Armee und Ordnungskräfte. Die "Asociación Elin", die diesen Aufruf initiierte, berichtete von vor Ort, siehe :: Marokko: Aufruf zum Protest (16. Jan 2007)

Doch es kam weiterhin zu rassistischen Razzien, u.a. am 20. Feb 2007 in Nador, bei der 109 Personen verhaftet wurden. Der Innenminister sprach sich für die sofortige Deportation "illegaler" Flüchtlinge aus. Siehe :: Repression gegen Flüchtlinge in Marokko geht weiter (10. Mar 2007)

Einen Einblick in das Vorgehen der Behörden in Marokko gibt ein Bericht über die Stürmung des Uni-Campus in Oujda in den frühen Morgenstunden des 18. März 2007. Die :: Repression richtet sich gegen Flüchtlinge - es kam zu 150 Verhaftungen - und HelferInnen (22. Mar 2007).

Aufschluss über Konsequenzen auf das alltägliche Leben und Überleben und den seelischen Druck, der auf den Flüchtlingen und MigrantInnen angesichts der permanenten Repression lastet, geben einige :: Aussagen Deportierter (16. Jan 2007).

Der :: Flüchtlingsrat Hamburg hat zahlreiche Dokumente zu den :: schweren Menschenrechtsverletzungen bei den Abschiebungen von EinwanderInnen in Marokko gesammelt und auf :: migreurop.org findet sich eine Dokumentation der Razzien auf französisch (mit Links zu Berichte in anderen Sprachen) :: Rafles et expulsions au Maroc 2006-2007 und der Bericht :: Rafles de subsahariens au Maroc à Noël 2006 - Rapport à l'association Migreurop par Jérôme Valluy le 6 janvier 2007 (.doc))

Informationen auf italienisch bei :: meltingpot.org zu :: Marocco e immigrazione

Immer wieder finden sich Berichte auf spanisch bei :: Indymedia Estrecho.

Einen historischen Überblick über die Migration nach bzw. durch Marokko in die EU gibt der englischsprachige Artikel :: Trans-Saharan Migration to North Africa and the EU: Historical Roots and Current Trends (Migration Information Source, 01. Nov 2006)

Zum UN-Tag der Flüchtlinge am 20. Juni 2007 erneuerte das Nachfolgekomitee der Euroafrikanischen Nichtregierungs-Konferenz "Migrationen, Grundrechte und Bewegungsfreiheit" in Rabat die bereits im Juli 2006 gestellten Forderungen :: Für die Rehabilitierung des Rechts auf Asyl! Anerkennung der Grundrechte für alle! (20. Jun 2007)

Bei dieser Konferenz von 30. Juni und 1. Juli 2006 sprachen sich die TeilnehmerInnen - verschiendene NGO's und AktivistInnen - klar gegen gegen die eine Woche später im Rahmen einer euro-afrikanische MinisterInnenkonferenz zu Migration und Entwicklung beschlossenen Maßnhamen zur Bekämpfung von Migration aus.
Mehr in der :: Artikelsammlung zu den Konferenzen zu Migration in Rabat im Juni/Juli 2006

Eine kritische Auseinandersetzung zur Politik des UNHCR bietet :: RSDWatch.org, ein Projekt der Non-Profit-Organisation :: Asylum Access aus den USA, die sich laut eigenen Angaben das Ziel gesetzt hat, die Rechte von Flüchtlingen im globalen Süden zur Realität zu machen. Die im Februar 2005 auf private Initiative entstandene Webseite liefert unabhängige Informationen darüber, wie die UNO Flüchtlingsorganisation bei der Bestimmung des Flüchtlingsstatus (Refugee Status Determination - RSD) vorgeht. :: RSDWatch.org (english)

Dieser Artikel ist eine Übersetzung aus :: TelQuel, Nr. 276 (2.-8. Juni 2007), [http://www.telquel-online.com/276/maroc4_276.shtml]Migrations. La révolte des réfugiés[/urlint]. Die Empfehlungen zum Weiterlesen sind von no-racism.net.