Quellenangabe:
Bleiberecht jetzt! (vom 28.03.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2491/,
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[28. Mar 2008]
Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in die Abschiebepolitik Österreichs und die Proteste dagegen. Zahlreiche Leute kämpfen seit Jahren für ein dauerhaftes Bleiberecht. Am Fr, 4. April 2008 findet eine österreichweite Konferenz in Linz statt, die von Abschiebung Betroffene und interessierte Personen die Möglichkeit zu Vernetzung, Informationsaustausch und Planung gemeinsamer Aktivitäten geben soll.
Im vergangenen Jahr kam es in Österreich zu zahlreichen Protesten für ein Bleiberecht. Viele Leute, denen der weitere Aufenthalt untersagt wurde bzw. untersagt werden sollte kämpf(t)en gemeinsam mit UnterstützerInnen gegen die drohende Ausweisung. In einzelnen Fällen setzten sich sogar Landeshauptleute und zahlreiche Prominente für den Verbleib - vor allem von Familien - ein. Jedoch ohne Erfolg. Auch wenn vereinzelt vorübergehende Lösungen gefunden wurden, einen dauerhaften Aufenthalt wurde von den SchreibtischtäterInnen im Innenministerium nicht gewährt. Dabei hatten sie Rückendeckung von ihrem Chef, Innenminister Platter (ÖVP), der immer wieder mit rassistischen Aussagen auffällt und den "harten Mann" spielt. Ein Spiel, das zweifelsohne für viele Menschen gravierende Auswirkungen hat.
Viele Leute wurden abgeschoben, Vor allem dann, wenn die Betroffenen nicht auf prominente Unterstützung zählen oder eben in einer für Österreich nicht untypischen rassistischen Umgebung wohnten. So konnten zahlreiche Abschiebungen still und heimlich durchgeführt werden. In zahlreichen Fällen wurden die Leute, denen das Aufenthaltsrecht verwehrt wurde, so lange von den Behörden schikaniert, bis sie sich entschlossen, das Angebot auf "freiwillige Ausreise" anzunehmen und das Land zu verlassen.
Mittlerweile ist es relativ ruhig geworden rund um die Kämpfe für Bleiberecht. Nachdem vor allem ein paar einzelne Fälle ein massives Medienecho auslösten und sich sogar die rassistischen Tageszeitungen, die sonst vor allem durch ihre Hetze auffallen - wohl aus gut kalkulierten Gründen - für ein Bleiberecht in Einzelfällen aussprachen, ist in letzter Zeit kaum ein Bericht erschienen. Doch an der prekären Situation vieler Menschen hat sich nach wie vor nichts geändert.
Vor wenigen Tage erreichte no-racism.net ein Mail einer Frau, die selbst über einen Fall aus ihrem BekanntInnenkreis berichtete:
"Ich frage deshalb, weil sich leider auch bei uns im Dorf ein ähnlicher Fall ereignet hat. Es handelt sich um Kosovo Albaner(Innen), eine fünfköpfige Familie, bestens bei uns interegriert, der Vater bereits berufstätig und seit 6 Jahren in Österreich. Auch ihr Antrag wurde negativ bescheidet. Gnadengesuch blieb ungehört. Um der Schubhaft zu entgehen, haben sie sich schließlich schweren Herzens zu einer 'freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland' dem Kosovo entschlossen."
Nachdem die Frau Berichte über die Familie Ganiji aus Grein gelesen hatte, übte sie Selbstkritik: "Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich dieser Problematik früher viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe. Wachgerüttelt wurde ich durch den obigen Fall, da der zehnjährige Sohn der Familie ein Klassenkamerad meines Sohnes war. Wie wir nun von unserer Lehrerin, die sich seit Jahren vorbildlich um unsere Flüchtlinge im Ort kümmert, erfahren haben, ist die Familie gleich bei ihrer Ankunft in Pristina in einen Schusswechsel geraten. Gott sei Dank ist ihnen nichts passiert. Der Sohn der Familie leidet unter extremem Heimweh und hat die Nahrungsaufnahme tagelang verweigert. Wie soll es für sie weitergehen? Arbeit? Schule? Alles Fragezeichen."
Dass es oft ein Problem darstellt, wenn Leute isoliert sind, ohne von ähnlichen Fällen zu wissen, ist bekannt. Bezug nehmend auf die Familie Ganiji aus Grein schreibt die Frau: "Leider habe ich von diesem Fall viel zu spät erfahren. Wie ich jetzt den Bericht über die Familie Ganiji gelesen habe, tut es mir leid, dass wir nicht auch viel mehr medialen Wind gemacht haben, denn Freunde hat unsere Flüchtlingsfamilie genug im Ort.
Gibt es eigentlich irgendeine Möglichkeit die Entscheidung der Behörden rückgängig zu machen, und der Familie eine Rückkehr nach Österreich zu ermöglichen, oder sind auch hier wieder Tür und Tor für alle Zeit versperrt.
Je mehr ich mich mit dieser Thematik befasse, gewinne ich den Eindruck, dass unsere gesetzlichen Verantwortlichen sich nur um Flüchtlinge kümmern, weil sie müssen. Bei der nächstbesten Gelegenheit werden sie wieder abgeschoben und ihrem Schicksal überlassen. Was für eine Scheinheiligkeit!!"
Nachdem sich die Frau in dem Mail erkundigte, ob die Familie Ganiji einen Aufenthaltstitel erhalten hat, haben wir uns bei UnterstützerInnen aus Grein erkundigt und folgende Antwort erhalten:
"Betreffen Ganiji und andere Familien - seit Oktober 2007 liegt der Antrag auf humanitäres Bleiberecht nach dem 'neuen Kriterienkatalog' im Innenministerium. Reaktion - Null, Auskunft - Null, wir haben versucht einen Vorsprachetermin zu bekommen - njet, wir sind im BMI gewesen und nicht vorgelassen worden, wir waren auf Einladung der VP dann noch in deren feudalen Schuppen in der Tivoligasse (Parteiakademie oder so), dort haben zwei VP Mitarbeiter sich zwei Stunden - kühl und aalglatt - geduldig mit uns beschäftigt, Ergebnis - Null.
Vermutung/Verdacht: Taktik Innenministerium - warten, warten, warten und im geeigneten Augenblick abschieben - Kalkül, Solidarität beginnt da und dort zu bröckeln, dazwischen ein wenig anpatzen über die Presse (siehe Zogaj), oder noch besser: Dünsten lassen, aushungern, warten bis Arbeitsbewilligungen ablaufen, den Familien die materielle Grundlage wegbricht und darauf hoffen, dass sie von selbst resignieren und weggehen.
So schaut's aus, das ist die Politik der Republik Österreich!!! So wird hier mit Menschen umgegangen, die in unserer Mitte leben, die auf eine Zukunft hoffen, die niemandem zur Last fallen, die Steuern und Sozialabgaben bezahlen - keine Familienbeihilfe, keine Gratisschulbücher, keine Schüler(Innen)freifahrt bekommen - die aus eigener Kraft, offenbar gegen den Willen und ohne Unterstützung des Staates die Integration geschafft haben, deren Kinder begabt und gute Schüler(Innen) sind, denen die Angst um ihre Existenz und Zukunft die Lebensfreude nimmt, die trotzdem nicht aufgeben, alles tun was von ihnen erwartet wird und doch werden sie von Tag zu Tag näher an den Abgrund gedrängt, in den sie stürzen, falls sie Österreich verlassen müssen. (...)
Liebe Freunde, wir haben alles in unserer Macht stehende unternommen um endlich eine positive Entscheidung zu erreichen. Von Grein und Pabneukirchen ausgehend, haben zahlreiche Gemeinderäte und sechs Landtage eine Resolution für ein Bleiberecht für diese Familien beschlossen, bis in die Bundesregierung, zum Bundespräsidenten haben wir alles aufgescheucht, mündliche Versprechungen von mehreren VP-Granden, LH Pühringer, NR Klaus Prinz, sogar Vizekanzler Molterer, dass diese Familien natürlich positiv entschieden werden, und, und, und,... Wir geben natürlich nicht auf und werden auch weiterhin alles versuchen und für unsere Familien kämpfen. Es darf nie wieder passieren, dass faschistoide Xenophobie und das Schielen auf den rechten Rand des politischen Spektrums - wo übrigens bereits ein Riesengedränge herrscht - die Menschenrechte außer Kraft setzt!"
Soweit die Antwort, die einmal mehr die rassistische Realität in Österreich benennt. Noch vor zwei Jahren wäre es kaum denkbar gewesen, dass sich überall in Österreich Menschen gegen den rassistischen Konsens auflehnen und für das Bleiberecht ihrer NachbarInnen, FreundInnen, MitschülerInnen, KollegInnen, Bekannten usw. einsetzen. Doch weckte die übliche Praxis der Behörden, mit einem großen Aufgebot früh morgens in Wohnungen einzudringen, die dort Wohnenden zu entführen und in der Folge gegen ihren Willen und ohne Rücksicht außer Landes zu schaffen, Erinnerungen an die Vergangenheit. Viele sagten: So was kann es doch in Österreich nicht geben - obwohl diese Praxis in Österreich älter ist, als die Republik.
Vor allem das Schicksal der Kinder lag vielen am Herzen. Und vielerorts entstanden BürgerInneninitiativen oder Gruppen, die sich gegen Abschiebungen einsetzten. Es kam zu unzähligen Protestaktionen quer durchs Land und die Leute entwickelten eine enorme Kreativität mit der sie die Ablehnung gegenüber dem staatlichen Rassismus in Österreich zum Ausdruck brachten. Wie schon erwähnt, waren die Erfolge dieser Proteste begrenzt.
Im Laufe der Zeit lernten sich zahlreiche Menschen kennen, die in einer ähnlichen Situation steckten und vernetzten sich. In Oberösterreich bildete sich ein Plattform von BürgerInneninitiativen, die ihre Proteste vernetzten und sich gegenseitig unterstützten. Die größte und am meisten Aufmerksamkeit erregende Aktion, an der sich die Plattform beteiligte, war eine :: Demonstration in Frankenburg am 6. Oktober 2007 mit 500 TeilnehmerInnen. Obwohl medial vor allem eine 15jährige Schülerin in den Mittelpunkt gerückt wurde, weil sie sich mit einer Botschaft aus dem Untergrund meldete, nachdem sie den Abschiebebehörden entkommen konnte, die ihren Vater und die Geschwister abschoben, wurde dort das :: Bleiberecht mehrere Familien gefordert. Der Medienrummel rund um diese Demonstration war enorm, doch fiel auf, dass viele Medien zwar positiv darüber berichteten, der Abschiebekonsens in den Berichten jedoch nie generell in Frage gestellt wurde.
Doch es gab auch Kritik an den Protesten. So wurde bei einer :: Demonstrationen am 9. Oktober 2007 in Wien, zu der von den Grünen aufgerufen wurde, vor allem kritisiert, dass manche Parteien die Proteste für ihre Zwecke instrumentalisieren würden. Dass für kritische Worte bei den Grünen nicht immer Platz ist, zeigt die Tatsache, dass damals ein für die Grünen wohl unangenehmer Redebeitrag "aus Zeitgründen" nicht mehr gehalten werden konnte - und dies obwohl es stundenlange Redebeiträge gab, in denen sich vor allem einzelne Promis inszenieren konnten.
Dies zeigt auf, dass es sehr wohl Widersprüche unter jenen gibt, die sich gegen das rassistische Ausgrenzungs- und Abschiebesystem aussprechen. Denn viele, die sich selbst für das Aufenthaltsrecht einzelner einsetzen, wollen die Forderung nach offenen Grenzen nicht mittragen. Viel lieber verstecken sie sich hinter humanistischen Werten. Doch sollten ihnen klar werden, dass Abschiebungen stattfinden werden, solange es Behörden gibt, die Menschen das Aufenthaltsrecht absprechen. Denn genau das ist die Grundlage der Abschiebepolitik: Dass sich Menschen anmaßen, über die Zukunft und die Rechte anderer zu entscheiden. Sie tun dies aus einer privilegierten Position heraus und selbst wenn sie sich einmal gegen eine Abschiebung entscheiden sollten, ändert dies nichts am strukturellen Rassismus, der ihnen erst die Möglichkeit gibt, "Gnade walten zu lassen" oder "ein Auge zuzudrücken". Deshalb sei hier noch mal klargestellt: Jede Abschiebung ist rassistisch!
Nun gibt es, wie bereits erwähnt zahlreiche Menschen, die für offenen Grenzen eintreten und Abschiebungen generell in Frage stellen. Doch auch sie verdienen Kritik. Denn es ist einfach nicht genug, sich zurück zu lehnen, die Kämpfe anderer zu kritisieren und zu sagen, deren Forderungen würden nicht weit genug gehen. Denn allein mit dieser Haltung kann keine Abschiebung verhindert werden. Der aktive Kampf gegen eine Abschiebung erfordert Ausdauer, mehr Ausdauer, als sich einmal ein paar Stunden an einem Protest zu beteiligen. Viele Menschen kämpfen oft jahrelang für einen Aufenthaltsstatus in Österreich. Doch die meisten haben kaum Unterstützung, leben in einer nicht gewollten Isolation. Denn viele jener, die via Geburt mit dem Privileg eines EU-Passes ausgestattet wurden - auch jene, die sich gegen Abschiebungen aussprechen - zeigen kaum Interesse am "Schicksal" der Ausgegrenzten und Entrechteten. Sie sind nicht bereit, ihre Privilegien in Frage zu stellen und mit der notwendigen Konsequenz gegen Rassismus in all seinen Ausprägungen aufzutreten.
Welche Lösung bietet sich nun an? Wie kann eine Veränderung des rassistischen Klimas erreicht werden? Ist es notwendig, dass sich jene, die sich gerne auf ihren radikalen Forderungen ausruhen mit jenen vernetzen, die ganz konkrete Forderungen haben, indem sie sich für das Aufenthaltsrecht einer Person bzw. Familie einsetzen? Die Antwort auf diese Frage liegt wohl bei jeder/m einzelnen selbst. Einen Versuch wäre es sicher mal wieder wert. Und es gibt auch bald Gelegenheit, sich auszutauschen, zu vernetzen und gemeinsame Forderungen auszuarbeiten:
Das Forum Asyl und Land der Menschen OÖ laden Bürgerinitiativen, NGOs, von Abschiebung Betroffene und interessierte Personen zu einer österreichweiten Konferenz "Bleiberecht JETZT" ein.
Freitag, 4. April 2008, 13 - 18 Uhr in Linz
im Wissensturm der Volkshochschule (direkt beim Bahnhof)
Themen
Anmeldung
Land der Menschen
Mail: landdermenschen.ooe (at) aon.at
Am Donnerstag, 3. April 2008 findet im Landestheater Linz die Premiere des Stückes "Lebenstraum Österreich" statt, das persönliche Geschichten von MigrantInnen in Linz zum Thema hat.