Quellenangabe:
Systematisch: Keine Aufklärung des Todes von Oury Jalloh (vom 12.12.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2745/,
besucht am 20.11.2024
[12. Dec 2008]
Oury Jalloh verbrannte am 07. Jan 2005 in Zelle Nr. 5 am Polizeirevier in Dessau. Die gleich nach seinem Tod aufgestellte Forderung nach Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung wird Prozess gegen zwei der verantwortlichen Polizeibeamten ignoriert. Die Verantwortlichen kommen ohne Konsequenzen davon. Die Proteste unter dem Motto "Oury Jalloh - Das war Mord" gehen weiter.
Oury Jalloh verbrannte bei lebendigem Leibe auf einer feuerfesten Matratze liegend und an Hände und Füße gefesselt in Zelle Nr. 5 des Dessauer Polizeirevieres. Andreas S. und Herr Hans-Ulrich M., die in der Folge einzigen angeklagten Polizisten, wurden im Prozess um den Tod Oury Jallohs am 8. Dezember 2008 freigesprochen. In seiner Urteilsbegründung räumte der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff ein, dass die Verhandlung "trotz aller Bemühungen schlicht und ergreifend gescheitert" sei. Das Gesamtgeschehen habe nicht ausreichend erhellt werden können und die Aussagen der Zeug_innen seien widersprüchlich gewesen. Angesichts des Schweigens, der Lügen und Vertuschungen der befragten Polizeizeug_innen habe das Gericht keine Chance gehabt, den Fall aufzuklären. Für Prozessbeobachter_innen ist dies kein überraschendes Urteil.
"Alle wissen, dass Oury umgebracht worden ist", so der Vater Oury Jallohs, doch es lässt sich nicht beweisen. Wie auch - von der Staatsanwaltschaft und vom Gericht wurde nie in Richtung eines möglichen Mordes an Oury Jalloh ermittelt. Die Anklagen lauteten auf gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung in Zusammenhang mit unterlassener Hilfeleistung (siehe :: Bilanz der Prozessbeobachtung nach 58. Verhandlungstagen und :: Prozessbeobachtung).
Während des letzten Prozesstages :: demonstrieren etwa 150 Menschen durch Dessau und zur Polizeiwache. Von Anfang an versuchte die Exekutive willkürlich Leute zu kontrollieren und die Situation zu eskalieren. Die Polizei machte sich auf der Treppe vor dem Polizeirevier breit, in dem Oury Jallo umgebracht wurde, kesselte die Demo ein und versuchte einen Aktivisten von :: The Voice rauszugreifen. Die Polizei forderte, dass der Sprecher die Demonstration verlässt, ansonsten würde sie den Protest auflösen. Die Aktivist_innen stimmten dem nicht zu und die Polizei setzte ihre Schikanen und Angriffe fort.
Auf den Stufen der Polizeiwache, wo in den vergangen Jahren immer wieder demonstriert wurde, wollte die Polizei offensichtlich "geordnete Zustände" herstellen - ein mehr als nur symbolischer Akt. Das unverhältnismäßige Vorgehen der Einsatzkräfte deutet darauf hin, dass sich die Beamten durch das Urteil bestärkt sehen. Dieses besagt, dass sie ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, Menschen misshandeln dürfen - selbst wenn ein Mensch dabei stirbt.
Als die Information, dass die Demonstration von der Polizei angegriffen wird, in den Gerichtssaal vordrang, kam es dort zu den berichteten Tumulten. Ein Aktivist stürmte in den Gerichtssaal, um die Information über den erneuten Übergriff durch die Polizei mitzuteilen und eine Unterbrechung des Prozesses zu fordern. Der Aktivist wurde darauf hin brutal aus dem Gerichtssaal gezerrt, der Prozess musste jedoch auf Intervention von Prozessbeobachter_innen unterbrochen werden. In der Folge wurde die Demonstration vor dem Gerichtsgebäude erneut von der Polizei angegriffen, wobei eine Person vorübergehend festgenommen wurde. In den offiziellen Medienberichten wurden die Tumulte im Gerichtssaal als Reaktion auf die Urteilsverkündung dargestellt (:: siehe hier). Die Polizei wollte durch gezielte Provokationen die Demonstration auflösen (mehr dazu im :: Audiobericht auf freie-radios.net und in der :: Bildergalerie von Björn Kietzmann auf flickr).
Interessant ist der Umstand, dass der Familie Oury Jallohs, die als Nebenklägerin im Verfahren auftrat, kurz vor Prozessende EUR 5000,- angeboten wurden, falls sie einer Einstellung des Verfahrens zustimme. Der Bruder Oury Jallohs sagte dazu in einem :: Interview: Dieses Angebot war uns schon vor meiner Abreise nach Deutschland bekannt. Für uns war von vornherein klar, dass wir die Wahrheit nicht gegen dieses Geld tauschen wollten. Oury Jallohs Mutter hat dieses Angebot des Gerichts als Beleidigung verstanden. Es ist ungerecht, die Wahrheit zu verstecken und Geld anzubieten, schimpfte sie vor meiner Abreise. Verlangt wird das Aufrollen des Prozesses in der nächsten Instanz, was bei einer Einstellung nicht möglich ist.
Die Angehörigen und die Aktivist_innen der :: Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, von :: The Voice und anderen Organisationen kämpfen weiter, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Nach dem Urteil kam es bereits zu mehreren Protesten, wie einer :: Demonstration am 11. Dezember 2008 in Jena und :: Erfurt. Die zahlreichen Informationsveranstaltungen, mit denen in den vergangenen Jahren auf den Fall hingewiesen wurde, werden weiter gehen. Für 07. Jänner 2009, den Todestag Oury Jallohs, ist die nächste Demo in Dessau geplant.
In einem :: Ein Refugee Network News Video, das die Geschichte von Oury Jalloh erzählt, wird auf die Bedeutung dieses Falles hingewiesen: Oury Jalloh ist überall! Durch die massiven Proteste und umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit ist es gelungen, den Tod Oury Jallohs und den Rassismus der Polizei international zu thematisieren.
Der Tod von Oury Jalloh ist kein Einzelfall - darauf wurde immer wieder hingewiesen. Überall kommt es zu rassistischen Übergriffen und werden Menschen von den Behörden misshandelt und gefoltert. Doch nie haben die Verantwortlichen etwas zu befürchten. Sie sind - wie die Gerichte - die Organe jener Staaten, deren rassistische Gesetze sie exekutieren. Dies reicht bis zum staatlich legitimierten Mord.
Mittlerweile ist zwar klar, dass es zu einem Berufungsverfahren kommt, jedoch sind dort keine wesentlich anderen Ergebnisse zu erwarten. Die Anklage bleibt die gleiche und diese zielte von Anfang an nicht darauf ab, dass die Umstände des Todes aufgeklärt wurde, da es lediglich darum ging, die Frage der unterlassenen Hilfeleistung bei Bemerken des Brandes ging. Wie es zu dem Brand kam, war keines der Hauptinteressen des Gerichts.
Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben laut Mitteilung des Landgericht Dessau am Donnerstag, 11. Dezember 2008 beim Bundesgerichtshof (BGH) Revision des Urteil beantragt. Zeitungsmeldungen zufolge ist die Revision der Nebenklage unbeschränkt, während sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nur gegen den Freispruch des Angeklagten Andreas S. richtet. Vor dem BGH findet keine neue Beweisaufnahme statt, dieses überprüft sondern lediglich die Gesetzmäßigkeit des Urteils aus erster Instanz. Die Strafkammer hat für die schriftlicher Zustellung des Urteils eine Frist bis zum 23. März 2009, danach muss innerhalb eines Monats die Revision begründet werden.
Das Urteil beschäftigte auch die Politik des Landes Sachsen-Anhalt (siehe Feature beim :: Mitteldeutschen Rundfunk). Ministerpräsident Wolfgang Böhmer äußerte vor dem Landtag Verständnis für die Empörung von Freunden und Familie Jallohs über die Freisprüche. Gleichzeitig ersuchte er die Angehörigen und Freunden des Opfers um Verständnis für den Freispruch der beiden Polizisten. Eine lückenlose Aufklärung sei offenbar nicht möglich gewesen. Außderdem wies der Politiker darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage der als Zeug_innen geladenen Beamten prüfe.
Doch was ist von den Aussagen eines Politikers zu erwarten, der sich auf ein System der Rechtssprechung ausredet und "dass die Wahrheitsfindung und die Rechtsprechung nur nach den Regeln unseres Rechtsstaates und durch unabhängige Gerichte erfolgen können." Genau diese "Regeln des Rechtsstaates" und die "unabhängigen Gerichte" scheinen das Problem zu sein. Dies wird nicht nur im Fall von Oury Jalloh sichtbar: Faktisch immer arbeiten die Behörden zusammen und das Gericht dient somit als Erfüllungsgehilfe für die Exekution von staatlichem Rassismus. Die Gerichte sind Teil der strukturell verankerten Ausgrenzung, was sich in wiederholten rassistisch motivierten Entscheidungen zeigt. Eine Aufklärung war und ist auf dieser Grundlage nicht zu erwarten. Umso wichtiger erscheint es, den Druck durch Proteste zu erhöhen und eine noch breitere Gegeninformation zu starten.