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Quellenangabe:
Internationaler Hurentag und Selbstorganisation (vom 07.06.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2972/, besucht am 22.12.2024

[07. Jun 2009]

Internationaler Hurentag und Selbstorganisation

Jährlich werden am 2. Juni die Forderungen von Sexarbeiter _innen in zahlreichen Ländern der Öffentlichkeit präsentiert und die gesellschaftliche Doppelmoral angeprangert.

Der Ursprung des Aktionstages reicht zurück ins Jahr 1975. Damals besetzten 150 Sexarbeiterinnen zehn Tage lang die Kirche Saint-Nizier in Lyon und schaffen damit eine internationale Öffentlichkeit für ihre Situation und ihre Forderungen. Als Aktionskollektiv wendeten sie sich gegen die staatliche Diskriminierung und gegen polizeiliche Repressionen, die vorgeblich dem Kampf gegen Zuhälterei dienen sollen - und Ähnlichkeiten mit der aktuellen Situation in Österreich aufweisen: Ständige Kontrollen und Verhaftungen, Beleidigungen, Schikanen, unverhältnismäßige Strafen, willkürliche Steuerbescheide sowie Tatenlosigkeit der Polizei gegenüber Morden, Misshandlungen und anderen Formen von Gewalt gegen Sexarbeiter_innen. Die Sexarbeiterinnenbewegung von Lyon wehrte sich damit auch gegen die Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen und gegen die staatlich institutionalisierte Doppelmoral.

Seit damals gilt der 2. Juni als Aktionstag für die Rechte von Sexarbeiter_innen. Die Proteste sind sehr vielfältig und reichen vom :: Hurengottesdienst in Bochum und einer :: Demonstration in Frankfurt über eine :: Ausstellung in London und Aktivitäten quer durch :: Australien bis hin zu Kämpfen für die Legalisierung von Sexarbeit in Lateinamerika.

In Europa dient insbesondere das "International Committee on the Rights of
Sex Workers" als Vernetzungsplattform. Nach mehrjähriger Vorarbeit wurde 2005 :: Die Erklärung der Rechte von SexarbeiterInnen in Europa verabschiedet, die neben vielen weiteren Informationen in mehreren Sprachen auf :: sexworkeurope.org nachzulesen ist.

Im deutschsprachigen Raum findet regelmäßig die Fachtagung Prostitution statt, um Ziele und Inhalte zur Verbesserung der Situation von Sexarbeiter_innen zu formulieren. Zuletzt zum 40. Mal vom :: 13. bis 15. Mai 2009 in Dortmund.


Weitere Aktionstage


Neben den Internationalen Hurentag gibt es zahlreiche weitere Tage, an denen Sexarbeiter_innen auf die Straße gehen. Zu nennen wären der 3. März, der :: Internationaler Tag für die Rechte von Sexarbeitern, der von abertausendeb :: Sexarbeiter_innen auf dem indischen Subkontinent begründet wurde. Er geht zurück auf ein Sexworker-Festival im Jahr 2001 in Calcutta, Indien, an dem mehr als 25,000 Sexarbeiter_innen teilnahmen.

Am 17. Dezember wird jährlich der :: Gedenktag gegen Gewalt und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen begangen. Dieser Tag hat seinen Ursprung in den USA, wo es immer wieder zu Morden an Sexarbeiter_innen kommt.

Als Symbol bei zahlreichen Protesten zu finden ist der :: rote Regenschirm. Er wurde zum ersten mal von Sexarbeiter_innen in Venedig benutzt. Im Rahmen eines Projektes bei der "49. Venice Biennale of Art" im Jahr 2001 demonstrierten Sexarbeiter_innen mit roten Regenschirmen durch die Straßen Venedigs, um auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die Missachtung der Menschenrechte aufmerksam zu machen. Bei einer :: Sexarbeiter_innen Konferenz 2005 in Brüssel wurde der rote Regenschirm vom International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe (ICRSE) als Symbol des Widerstandes gegen Diskriminierung übernommen. Die 200 Teilnehmer_innen demonstrierten zum Abschluss der Konferenz mit dem neuen Symbol durch Brüssel (:: Fotos). Seit damals verwenden Sexwork Aktivist_innen rund um den Globus den roten Regenschirm als Symbol für die Rechte von Sexarbeiter_innen.

Informationen zu weiteren für die Sexarbeiter_innenbewegung wichtigen Tagen finden sich :: auf sexworker.at.


Selbstorganisation von Sexarbeiter_innen


Sexworker.at ist ein Internetportal und Forum für Sexarbeiter_innen im deutschsprachigen (und teilweise mulitsprachigen) Internet mit einer transnationalen Community und einer aktiven Kerngruppe in der Gründungsmetropole Wien, wo lokal und darüber hinaus außerordentliche Hilfseinsätze geleistet werden.

Ein Eintrag :: in Forum auf sexworker.at beschreibt Hintergründe und Notwendigkeit eines internationalen Aktionstages für Sexarbeiter_innen. Im folgenden ein Auszug daraus:

"Heute ist der 2. Juni und damit der von den wenigsten Beobachtern zur Kenntnis genommene "Internationale Hurentag"; warum ich das erwähne? Weil die Gesellschaft nicht nur zweigeteilt ist, was Pro & Contra Prostitution betrifft und die Diskussion darum entsprechend von rigider Gegnerschaft, Herabwürdigung oder Viktimisierung alternativ: von einer völlig fehlgeleiteten Idealisierung und Romantisierung geprägt ist. Das unrealistische Bild, daß die Medien im Regelfall zeichnen, schwankt zwischen Pretty-Woman-Märchenwelten einerseits, was einer Einstiegshilfe für unbedarfte Nymphchen gleichkommt bzw. Skandalisierung und öffentliche Empörung andererseits. Allen voran ein "Gottes" Vertreter auf Erden (!), dem nicht alle als prinzipiell unmündig bezeichneten "Schäfchen" folgen wollen. (...)

Warum schreibe ich das? Weil wir im 21. Jahrhundert leben und eine Hure das Maul auf machen darf, außer zum Blasen und Schlucken. Und das verdanke ich vielen mutigen Männern und Frauen in der politischen Geschichte, nicht nur der kleinen, aber feinen Bewegung der "International Sexwork Rights Movement", eine soziale Bewegung, die sich erst spät und global herausgebildet hat.

Umgekehrt, und ich bin wahrlich kein Engel, komme ich mir fast wie eine Exorzistin vor, wenn ich an diesem Tag daran erinnern möchte, daß Doppel-Moral und Heuchelei immer noch den Umgang mit Sexwork bestimmen; egal ob Escort, Puffbesuch oder Strassenstrich. Der "Selbst-Ekel", den viele Männer als Kunden, aber auch viele Frauen als Sexworker empfinden, teilweise durch Kompensationskäufe ausgleichen, resultiert ja nur daraus, weil sie selbstverständlich die normierten Messlatten anlegen, sich aufhalsen, was gesellschaftlich erwünschtes und unerwünschtes Verhalten betrifft.

Tabubruch und Selbstbestrafung resultieren doch hauptsächlich aus der tradierten christlichen Kultur und es ist Zeit, doch ohne schlechten Gewissens einfach die Zeit zu geniessen zu "dürfen", mit einer attraktiven, geilen Lady unkomplizierten Sex zu haben und seine Phantasien zu leben. (...)

Da die allgemeine Sichtweise immer noch von der Vorstellung getragen wird, eine Hure ist erst einmal eine Hure und kein MENSCH, habe ich vor längerer Zeit beschlossen, Sexwork Aktivistin zu werden, auch wenn die Selbstermächtigung und das erforderliche Selbstbewußtsein sehr viele potentielle Gäste abschreckt, zumindest unter aktiven Lesern in diversen Foren. Zum Thema während eines Dates wird es im Regelfall nicht, außer jemand möchte es ganz genau wissen *lach*. Und es gibt partnerschaftlich denkende Männer, die mein Wirken als Gewinn begreifen und darüber freue ich mich natürlich sehr.

Zum diesjährigen internationalen Hurentag möchte ich einfach daran erinnern, daß ein Mensch mehr als "Loch" oder "Ware" ist und werde nicht müde daran zu erinnern. Wer so denkt, vor dem ekel "ich" mich und möchte ich auch niemaaaaals kennenlernen. Dies widerspricht sich auch nicht mit dem Durchspielen von Porno- und sonstiger Phantasien, schliesslich sind wir triebhafte Tiere. Es geht als Aktivistin (Hilfe!! wie das klingt, zumindest in deutschen Ohren) "nicht" um eine wie auch immer geartete Prominenz, sondern um diskrete politische Lobbyarbeit, alternativ: künstlerische Arbeit, wie ich es mittlerweile vorziehe, um Schubladen-Gedenke aufzubrechen, zumindest um Irritationen zu verursachen! Geistige Selbstbeschränkungen sind nicht gesund; sich dies selbstkritisch bewußt zu machen, darin liegt ein ungeheurer Reichtum! Sich gegenseitig mit Anstand & Respekt zu begegnen, was im Prinzip eine Selbstverständlichkeit sein sollte, damit lebt es sich (auch beim Paysex) besser und vor allen Dingen zufriedener, wie die ZEN-Meister wissen.

Frauen/Männer in diesem Gewerbe müssen sich also überhaupt nicht "dafür" schämen, dazu gibt es weder Grund noch Notwendigkeit, auch wenn die gesellschaftlichen Zuschreibungen mehrheitlich verächtlich und stigmatisierend wirken (Labelling Effect!) und sind zumeist aus eigenen Ängsten und Unfreiheit gezeugt. Schämen können sich all jene, die mit dem Finger auf andere zeigen und die gefährliche Moral-Keule schwingen, auch jene, die - Mann oder Frau - dem Gewerbe abgeschworen haben und sich wie fundamentalistische Nichtraucher verhalten.

Ich wünsche allen einen sonnigen Tag und ein Lachen im Herzen!