bordersounds
Eine pannonische Grenzlandgeschichte

"In 30 Minuten sieht die Welt ganz anders aus"
- so wirbt der burgenländische Fremdenverkehr im Frühling 2001 an den Wiener Autobahnausfahrten. Gemeint ist damit wohl kaum die bürgerinnenkriegsähnliche Situation an der ungarisch-österreichischen Grenze... einige Notizen zur lokalen Ausformulierung globaler Imperative.

Also: wir fahren, fahren, fahren auf der Ostautobahn. Auf burgenländischem Gebiet verschwindet das vierspurige Asphaltband allmählich in der Erde, die Trasse senkt sich unter das Niveau der Umgebung, die Fluchtlinie der Strasse zementiert sich dominant in den Boden, wie um die pannonische Weite gleichzeitig zu unterstreichen und zu negieren. Bei Mönchhof, zum Beispiel, fahren wir ab. Der Seewinkel, wie die Region östlich des Neusiedler Sees genannt wird, erscheint wieder vor unseren Augen. Dutzende Hinweisschilder führen zur Hauptattraktion des Gebiets, dem Nationalpark. Wären wir noch ein Stück weitergefahren und hätten knapp vor der Grenze bei Nickelsdorf eine Pause eingelegt, so wären wir auf einen anderen lokalen Attraktor gestossen.
Auf einem Autobahnparkplatz versteckt steht ein Denkmal, das Dr. Alois Mock als Besieger des Kommunismus ausweist. Die Apotheose des Hr. Aussenminister i.R. geht auf die unvergessenen Fernsehbilder des Sommers 1989 zurück:

"Mock zerschneidet gemeinsam mit seinem ungarischen Amtskollegen den Stacheldraht des Eisernen Vorhangs."
Jean-Christophe Rufin beschreibt in seinem Buch "Das Reich und die neuen Barbaren" die Herausbildung eines neuen Limes, der das Gebiet der reichen (Post-)Industrieländer von den ärmeren Ländern des Südens und Ostens trennt (Bsp. Mexiko / USA oder Festung EUropa).
Der historische römische Limes entstand nach dem Fall Karthagos, als Rom der Hauptfeind abhanden gekommen war und Polybios als Ersatz-Aussen kurzerhand die "Barbaren" konstruierte. Analog dazu analysiert Rufin die globale politische Entwicklung Ende der 80er, als das Sowjetsystem zusammenbricht, und mit ihm die Konstruktion einer zweigeteilten Welt verschwindet. Die neuen "Schurkenstaaten" der Bush-Administration und der Golfkrieg 1991 waren die erste groşe strategische Aktion des Systems, das Hardt und Negri als Empire bezeichnen.

Kaum ein Jahr nach der Massenflucht von DDR-Bürgerinnen über die ungarisch-österreichische Grenze wurde das österreichische Bundesheer 1990 in den Assistenzeinsatz ins Burgenland geschickt. Die österreichische Bundesregierung griff dabei auf ein Gesetz zurück, das in grösserem Ausmass zuletzt im Februar 1934 angewandt wurde: damals assistierte das Militär der faschistischen Heimwehr bei der Niederschiessung des sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstands.
Ab 1997 steht die militärische Grenzsicherung auch offiziell im Dienste der EU: Österreich tritt dem Schengener Abkommen bei, die geschichtsbewuşten Strategen des Bundesheers taufen den Assistenzeinsatz zur Sicherung des christlichen Abendlands "Aktion Limes". Der römische Limes war nur selten eine klare Linie, zumeist bezeichnete er eine Pufferzone, wie sie die Gutshöfe römischer Veteranen ab dem ersten Jhdt. n. Chr. auch im Gebiet des heutigen Seewinkels bildeten. Der Seewinkel ist eine geschichtsträchtige Region, und darauf ist man auch stolz. In den Informationsblättern des Nationalparks wird die Besucherin immer wieder auf die wechselhafte Geschichte hingewiesen: Sei es zu Zeiten der Völkerwanderung oder beim Ansturm türkischer Heere im 16. Jhdt., immer wieder verlief hier eine Grenze. Die historische Teleologie der Tourismusmanagerinnen vereint sich hier mit den politischen Vorbildern der Gegenwart und Zeitgeschichte: die Post-89 Propaganda von der neuen Völkerwanderung, die Errichtung des Nazi-Ostwalls 1945,...
Selektive wie verfälschte Geschichtswahrnehmung ist nur ein konstituierender Faktor der groşen Erzählung vom Grenzland:

"Der Seewinkel (...) ist die biologische Grenze zwischen Ost- und Mitteleuropa. Viele der Tier- und Pflanzenarten, die hier leben, kommen weiter westlich nicht mehr vor..."
Horst Friedrich Mayer in der ORF-Doku "Heimat: Im Land des pannonischen Frühlings"
Die Landschaft, die Natur, sie sind die ewigen Zeugen einer solchen Wahrheit. Der zentrale Bestandteil des NATIONALparks ist das Vorkommen einiger Gräser und Insekten, die ansonst nur in asiatischen Gebieten zu bestaunen sind. Die klimatischen Sonderbedingungen, die der grösste Steppensee Europas hier schafft, ermöglichen es diesen Arten, bis hierher vorzudringen. Bis Hierher und nicht weiter. Im Zeitalter der Biotechnologien stellen biologische Grenzen einen politischen Mehrwert dar, Natur wird auch abseits romantischer Vorstellungen (z.B. die Landschaft als nationale Identitifikationsmaschine) ideologisch funktionalisiert.
The society of the spectacle rules by wielding an age-old weapon. Although the spectacle seems to function through desire and pleasure, it really works through the communication of fear - or rather, the spectacle creates forms of desire and pleasure that are intimately wedded to fear.
Michael Hardt, Antoni Negri: Empire
Nach einiger Zeit des Herumstreunens parken wir das Auto am sog. Warmsee bei Apetlon. Die Sonne verschwindet hinterm weit entfernten Schneeberg, ein einzelner Baum in der Steppe wird von Vögeln umschwärmt. Der Schneeberg erinnert an den Kilimandscharo, wir geraten ins Träumen. Die groşe Erzählung von der pannonischen Grenze darf ohne weiteres zu den modernen Meisterwerken der österreichischen Literatur gerechnet werden. Im lokalen Sagenschatz hat sie seit 1989 zur Ausformung unzähliger rural legends geführt. Ob es nun die Story vom von Rumänen aus dem Garten gestohlenen Rasenmäher ist, oder die wahre Geschichte vom afrikanischen Dorfpfarrer der Gemeinde Marz, der von Bundesheersoldaten als "Illegaler" angehalten wird, die Konstruktion des Sicherheitsbedürfnisses sorgt für die kontinuierliche Zirkulation des Stoffes aus dem Nationen sind.

Hier in der Grenzregion lässt das Empire weiter das nationale Grenzspektakel vorgaukeln, die alte Mär vom Innen und Aussen hält mehrwertvolle Identitäten zusammen. Die Maschine rattert weiter. Die Konstruktion des Grenzrituals verrät sich an ihrem Ablaufdatum: in wenigen Jahren wird die Festung EUropa die imperiale Demarkationslinie ein Stück weiter nach Osten verschoben haben. Der Limes ist eine phantasierte Grenze. Ähnlich einer Flughafentransitzone verweist die Schengener Ostgrenze nicht auf das lokale Territorium. Die Abschottung erfolgt in erster Linie gegen Gebiete und Bevölkerungen in Tausenden Kilometern Entfernung...
Ein Ausflug in den Seewinkel ist natürlich immer ein Erlebnis, besonders eindrucksvoll bietet sich die Landschaft jedoch im Spätsommer und Frühherbst dar, nicht nur des weichen Lichts, der unvergesslichen Abendstimmungen wegen...
Die Grenzlanderzählung erfährt zu dieser Zeit ihre akustische Vollendung: Schüsse pfeifen nonstop durch die lauen Lüfte, Flugzeuge jagen im Tiefflug über die Steppe, und dazwischen erklingen alle paar Sekunden dutzende Variationen von Sirenengeheul aus allen möglichen Richtungen. Ab und an sieht man vorbeiradelnde BundesheersoldatInnen, doch die wirken entspannt. Wenn man endlich einem Zivilisten mit Gewehr über den Weg läuft, wird der bereitwillig vom jährlichen Schaden erzählen, den durchziehende Starschwärme in den Weingärten anrichten. Vielleicht zeigt er einer dann auch die Selbstschussanlagen in den Feldern und die Sirenen auf den Weinstöcken.

mehr Info unter: www.no-racism.net/nobordertour
kein mensch ist illegal: www.contrast.org/borders/kein

Literatur:
Anny Knapp, Herbert Langthaler (Hg.): Menschenjagd. Schengenland in Österreich.
Jean-Christophe Rufin: Das Reich und die neuen Barbaren.
Michael Hardt, Antonio Negri: Empire


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