Quellenangabe:
Aktionen gegen G8 Gipfel zu Immigration und Sicherheit in Rom (vom 07.06.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2970/,
besucht am 23.11.2024
[07. Jun 2009]
Von 29. bis 30. Mai 2009 trafen sich die Justiz- und Innen- minster_innen der G8 Staaten in Rom zu einen Gipfel. Überblick über die zahlreichen Proteste gegen dieses Treffen und die italienische Anti- Migrationspolitik.
Beim Gipfeltreffen der Innen- und Justizminister der G8-Staaten wurden Themen wie Zensur im Internet, Terrorismus, Mafia und Immigration zusammenworfen und vermischt. Insbesondere die permanente Vermischung vom "Terrorismus- und Migrationsabwehr" wurde massiv kritisiert, da diese das Bild von Immigration als einem Verbrechen vermittelt. Dieses G8 Treffen fiel zeitlich mit dem Versuch der italienischen Regierung zusammen, ein Sicherheitspaket verabschieden zu lassen. Dieses Sicherheitspaket, die :: Pacchetto Sicurezza, sieht die Umwandlung der notgedrungen klandestinen Migration in eine Straftat vor - und wurde zum zentralen Thema der Mobilisierungen, die dieses rassistische Gesetz entschieden ablehnt. Gefordert wurden statt dessen eine Gesellschaft ohne Grenzen (bzw. Mauern) sowie Rechte und Freiheit für alle.
Den Auftakt der Proteste machte eine Demonstration am 23. Mai in Mailand. Ca. 20.000 Teilnehmer_innen, vor allem Migrant_innen forderten: "Take a side!" (Da che parte stare) und sprachen sich klar gegen institutionellen Rassismus der italienischen Regierung und die sich aus der ökonomischen Krise ergebenden resultierenden Konsequenzen aus, die vor allem negative Auswirkungen für Migrant_innen mit sich bringen - verbunden mit dem täglichen Risiko der Illegalisierung und der oft auf diese folgende Internierung und Abschiebung. (:: Fotos und Informationen :: in verschiedenen Sprachen auf :: dachepartestare.org, weitere :: Fotos und :: Videos auf globalproject.info)
Für 28. bis 30. Mai wurde zu Aktionstagen in Rom :: aufgerufen. Die Stadt wird von tausenden Polizist_innen in Uniform und Aufstandsbekämpfungsausrüstung belagert, zahlreiche Straßen sind gesperrt. Die Stadt befindet sich in einem Ausnahmezustand.
Am Freitag, 28. Mai kam es zu Blitzaktionen und Demonstrationen in der ganzen Stadt, vor allem aber an Orten mit besonderer Bedeutung für die Rechte der Migrant_innen.
Bei einer Aktion wurde der Sitz der Internationalen Organisation für Migrationen (IOM) in der Via Nomentana besucht und die Außenwände mit mehreren Eimern blutroter Farbe und Plakaten verziert, der Verkehr blockiert und Rauchkerzen angezündet. Mehr als 50 Aktivist_innen kritisierten mit der Parole "Das Schweigen ist das der Schuldigen" die als humanitäres und solidarisches Engagement bezeichnete "Kompliz_innenschaft" der IOM bei rassistischen Politiken. Die IOM zeigte kein Verständnis für den Protest. Flavio Di Giacomo, ein Sprecher der IOM zeigte sich "verbittert" und erklärte: "Wir sind Antirassisten, wir arbeiten zugunsten der Migranten, wir empfangen sie auch ganz konkret in Lampedusa und sind wegen dem Gegenteil angegriffen worden. Wir sind wirklich verwundert". Doch ist hinlänglich bekannt, dass die IOM im Auftrag der Regierungen arbeitet, mitverantwortlich ist für den Ausbau der Abschottungspolitik der EU, zahlreiche "Rückführungsprogramme" koordiniert und Internierungslager für Migrant_innen betreibt. (siehe :: Bericht von der Aktion, weitere :: Infos auf italienisch, :: Fotos und :: YouTube Video)
Eine weitere Aktion am 28. Mai fand auf der Piazza di Spagna statt, wo ungefähr fünfzehn Protestierende barfuß und mit hochgekrempelten Hosen in das Wasser der Barcaccia (einem Brunnen) gestiegen sind und dabei Plakate mit den Aufschriften "Rechte auf hoher Seee" und "Wir sitzen alle im gleichen Boot" in die Höhe hielten. Nach mehrmaligen Rufen der Parole "Wir sind alle klandestin" verschwanden die Demonstrant_innen vor dem Eintreffen der Ordnungskräfte.
Am Abend wurde vor dem Gala-Dinner zur offiziellen Eröffnung des Sicherheit- und Immigration-G8 mit Sit-in auf den Straßen protestiert, was in Verbindung mit den zahlreichen offiziellen Straßensperren weitgehend zu einem Zusammenbruch des Verkehrs führte (siehe dazu :: gipfelsoli.org).
Am Morgen des 29. Mai protestierte eine Gruppe von Demonstrant_innen vor dem Einwohner_innenmeldeamt. Sie protestierten vor allem gegen das sich gerade in Italien auf dem Veg zur Verabschiedung durch den Senat befindliche "Sicherheitspaket" (die :: "Pacchetto Sicurezza"). Dieses sieht eine Erhöhung der Verwahrungsdauer in den CIE (Identifizierungs- und Abschiebezentren), die Einführung des Straftatbestands der Klandestinität, die Erhöhung der Kosten für die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung und der Einbürgerung und die Meldung der Personen ohne Aufenthaltserlaubnis durch Staatsbeamte vor. Mit diesen und weiteren diskriminierenden Maßnahmen, die das "Sicherheitspaket" beinhaltet, werden tausende Menschen kriminalisiert und unsichtbar gemacht, wie die Aktivist_innen, die sich als "Geborene Bürgerinnen und Bürger" bezeichnen, betonten. Ihnen zufolge ist das Einwohner_innenmeldeamt der Ort, an dem die "Existenz" von Personen definiert wird: Hochzeit, Staatsangehörigkeit, Anerkennung der Kinder, Wohnsitz. "Das ist der Grund, weshalb wir uns heute früh hierhin begeben haben: Bürger_innenschaft ist kein Verwaltungsakt - sie bedeutet vielmehr Rechte für Alle, Freiheit von Prekarität, von Unsicherheit am Arbeitsplatz, von Rassismus und von Fremdenfeindlichkeit." (:: gipfelsoli.org)
Mehr als 50 Demonstrant_innen sind am 29. Mai in die Basilka von Santa Maria Maggiore in Rom eingedrungen. Viele von ihnen trugen das Bild eines Migranten, dem sie in Erinnerung an die französischen "Sans Papiers", die vor einigen Jahren einge Kirchen in Paris besetzten, den Namen "San Papier" gegeben haben und als "heiligen Schutzpatron der Migrant_innen und Flüchtlinge der Erde" bezeichnen. Die Basilika von Santa Maria Maggiore wurde von den no global für die Blitzaktion ausgewählt, weil sie "im multiethnischen Esquilino-Viertel liegt". "Wir haben uns dafür entschieden, in einer Kirche zu protestieren, weil Kirchen bald die einzigen Orte außerhalb einer italienischen und europäischen Gesetzgebung rassistischer Prägung sein werden", erklärte Serena vom Netzwerk NoG8. "Es ist eine Anspielung auf eine traditionelle Praxis der Migrant_innenbewegungen." Vor der Basilika blockierten in der Folge Beamte der vatikanischen Polizei den Eingang und ließen keine Demonstrant_innen mehr in die Basilika.
Im Anschluss an diese Aktion fand Spontandemo. Mit der Praole "Heilig jetzt" zogen über 50 Aktivist_innen vom Netzwerk noG8, das Bild von "San Papier" tragend, von der Basilka Santa Maria Maggiore los und improvisierten eine Art Prozession-Demonstration bis zur Piazza Vittorio. Dort haben einige Bürger_innen von ihren Fenster aud die Demonstrant_innen angebrüllt, die mit Sprechchören und Pfiffen antworteten. (Bericht auf :: gipfelsoli.org, mehr auf italienisch und Video auf :: globalproject.info)
Bei einem weiteren Protest am 29. Mai, organisiert von der Gruppe "Action", in der sich "Italiener_innen und Migrant_innen" gemeinsam organisierten, wurden :: sechs Aktivist_innen festgenommen. An der Demonstration "gegen die unmenschliche und den internationalen Konventionen zuwider laufende Praxis der Zurückweisungen" in der Nähe des Ministeriums der Militärmarine beteiligten sich 150 Personen. Ihnen stellten sich jedoch dann Polizeieinheiten in den Weg, wobei es zu den erwähnten Festnahmen kam. Ein Aktivist wurde mittlerweile wieder freigelassen, jedoch wegen einer nicht genehmigten Demonstration angezeigt. Die anderen Festgenommenen, alle Migrant_innen - wurden in das Einwanderungsbüro in der Via Patini gebracht.
In einer :: Pressemitteilung erklärte "Action", worum es bei der Aktion ging: "Während Berlusconi und Alemanno den Krieg der Armen nähren, glauben wir, dass eine soziale Allianz all derer notwendig ist, die von der Krise betroffen sind, für die Erkämpfung von sozialen Rechten und von Lebensqualität, für eine bessere Zukunft. Wenn sie uns die Zukunft stehlen, werden wir weiter die Stadt blockieren."
Weitere Proteste am 29. Mai gab es u.a. vor dem CIE in Ponte Galeria, in dem erst kürzlich Salah Souidani und :: Nabruka Mimuni gestorben sind. Via Lautsprecheranlage konnten Leute mit den Gefangenen kommunizieren. Ein :: Communiqué wurde in verschiedenen Sprachen verlesenen.
Zum CIE in Ponte Galeria wird angemerkt, dass die neue Anstalt im Gegensatz zum früheren so genannten temporären Aufnahmezentrum (CPT) von Ponte Galeria abseits der Ortschaft an ein Trainings- und Ausbildungszentrum der Bereitschaftspolizeien angegliedert wurde, in dem 2001 Beamte des LAPD 2001 auch jene Sondereinheit der römischen Bereitschafstpolizei ausbildeten, die wegen des Einfalls in die Diaz-Schule in der Nacht nach dem Abschluss des damaligen G8 weltberühmt wurde. (:: Fotos von der Aktion)
Neben diesen Aktionen gab es noch zahlreiche weitere dezentrale Proteste. Den Höhepunkt bildet eine Demonstration am Samstag, 30 Mai, zu der mindestens 10.000 Aktivist_innen aus dem ganzen Land anreisten. Im Rahmen dieser Demonstration wurde vor allem gegen die derzeit vorbereiteten Änderungen der Sicherheitsgesteze protestiert, die massive Restriktionen für viele Menschen zur Folge haben werden. Einer der zentralen Sprüche der Demonstration war "Siamo tutti clandestini" - "Wir sind alle klandestin/illegal." (:: Bericht, :: Audios (it), YouTube Videos :: 1 :: 2 :: 3 :: 4)
Ein Aktivist :: erklärte vor den Protesten, wie es die Bewegung versteht, die Herrschenden in Schwierigkeiten zu bringen: Die Proteset rund um Gipfeltreffen haben nicht mehr die Belagerung der Paläste zum Ziel, sondern die soziale Produktion von Auseinandersetzungen. Im Zusammenhang mit den Gipfeltreffen sind diese Proteste Momente der Sichtbarwerdung einer großen, wichtigen und gemeinschaftlichen Artikulierung, doch ihre Substanz liegt im alltäglichen Widerstand.
Quellen: Artikel von :: at.indymedia.org (30. Mai 2009), überarbeitet mit Informationen von :: gipfelsoli.org.