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Quellenangabe:
Über Zäune springen, Grenzen überwinden! (vom 30.08.2016),
URL: http://no-racism.net/article/5176/, besucht am 24.11.2024

[30. Aug 2016]

Über Zäune springen, Grenzen überwinden!

Es ist an der Zeit, ein paar Dinge ins Gedächtnis zu rufen. Vor allem in Tagen, in denen an die Ereignisse vor einem Jahr erinnert wird. Denn es ist meist ein sehr eingeschränkter, ein herrschender Blick, mit dem die Ereignisse im Sommer 2015 betrachtet werden.

Als Deckmantel dienen der Diskurs um Sicherheit sowie angebliche Ängste von Menschen. Fragt sich nur, wer hier Angst hat, und wessen Sicherheit im Mittelpunkt steht. Dabei geht es um mehr als Sicherheit, es geht um den Schutz der Freiheit. Und dieser Schutz der Freiheit ist verbunden mit einer simplen aber doch sehr klaren Forderung: Der Zaun muss weg!


Geschichte_n in Bewegung


Migration ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Migration ist so alt wie die Menschheit. Wie sonst konnte sich diese auf dem ganzen Planeten Erde verbreiten? Seit es Menschen gibt, gibt es Bewegung, gibt es Migration. Und dies wird sich nicht ändern, selbst wenn alle gezogenen Grenzen mit Zäunen, Mauern, Stacheldraht und Hochtechnologie versperrt werden.

Es gab und gibt nach wie vor Phasen in der Geschichte der Menschheit, da mach(t)en sich viele, viele Menschen auf den Weg auf der Suche nach einem besseren Leben. Erinnern wir uns an die Menschen aus Europa, die es nach Nordamerika zog. Sie entflohen, wie die Leute aus Irland, Hunger und Not. Die Bewohner_innen der ersten Kolonie der Engländer_innen begaben sich auf den Weg in eine "neue Welt". Ebenso wie zehntausende Menschen aus dem Burgenland, die zwischen 1850 und dem Beginn es ersten Weltkrieges fast ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen in die Vereinigten Staaten migrierten. Diese Migrant_innen werden nicht als "Wirtschaftsflüchtlinge", sondern als "Pionier_innen" bezeichnet.

Die 'Besiedlung' der Amerikas war verbunden mit Gewalt, viele der Einheimischen verloren ihr Leben. Bis heute werden Menschen in Nordamerika gezwungen, in sogenannten Reservaten zu leben. Jene, die der Logik zufolge die Eigentümer_innen des Landes sind bzw. sein müssten, auf dem sich die Weißen breit machten, werden nach wie vor unterdrückt und ausgebeutet. Dies ist nicht nur in den Amerikas so, sondern auch in Afrika, Australien und vielen anderen Teilen der Welt, die von den Europäer_innen kolonisiert wurden.


Geschichte_n des Vergessens


Grundlage für all das bildete ein Weltbild, das gestützt auf rassistischen Vorstellungen, die Menschen kategorisierte und in der Folge mit unterschiedlichen Rechten versah. Es führte so weit, dass in Afrika Menschen gejagt und versklavt wurden, um dann im Rahmen des transatlantischen Sklav_innenhandels in die "Neue Welt" verschifft wurden, wo sie gezwungen wurden auf Plantagen zu rackern und die weiße Ober- bzw. Mittelschicht zu bedienen.

All das dürfte aus dem Gedächtnis den Menschen in Europa verschwunden sein, denn sonst würden sie nicht, ... Ja, was würden sie nicht. Vielleicht haben sie es nicht vergessen und sind nach wie vor stolz darauf, dass sie die Anderen ausbeuten und unterdrücken. Dass sie die Menschen in vielen Länder ausbeuten, unterwerfen und deren Rohstoffe stehlen, um sie später gegen teures Geld in verarbeitetem Zustand an eben jene Ausgebeutete zu verkaufen.

Dieses System trägt den Namen: Kolonialismus! Dieser ist - allen Beteuerungen zum trotz - nach wie vor existent. Heute wird oft, wenn von Globalisierung geredet wird vergessen, dass diese - nennen wir sie kapitalistische Globalisierung - nichts anderes ist als eine Fortführung eines nach wie vor die Welt beherreschenden kolonialistischen Systems ist. Erkennbar nicht nur durch die Handelbeziehungen: billig importierte Waren nach Europa und im Gegenzug teure exportierte Waren in die 'Dritte Welt' oder 'arme Lände'. Vorgeblich 'nicht so weit entwickelte' Gesellschaften können demnach guten Gewissens - vereinbar mit einem christlichen Weltbild - ausgebeutet und unterdrückt werden.

Menschen werden unterworfen und Kriege geführt, um den (billigen) Zugang zu Rohstoffen aufrechtzuerhalten. Als Beispiele seien hier erdölreiche Regionen genannt. Oder die Demokratische Republik Kongo, einem der wichtigsten Abbaugebiet von Coltan, einem Rohstoff der u.a. unverzichtbar ist für die Kommunikationstechnologie. In zu Tantal verarbeiteter Form findet sich Coltan in vielen Elektronikgeräten, wie eben Handys oder Smartphones(*). Aufgrund der knappen weltweiten Vorkommen bei umfangreichem Einsatz ist dieser Rohstoff relativ teuer, was weitreichende soziale Folgen für die Bevölkerung in der DRK mit sich brachte, bis hin zu Krieg, unzähligen Toten und Vertreibungen. Angesichts dieser Tatsachen sollte die Frage gestellt werden, warum viele Menschen aus DRK so schwer Asyl bekommen?


Geschichte_n der Bekleidung


Koloniale Unterdrückung ist eng verbunden mit sexualisierter Gewalt. So ist die Geschichte der Skaverei eng verbunden mit sexueller Ausbeutung und Vergewaltigungen, die Frauen wurden - weil versklavt - als Eigentum ihrer weißen Herren gesehen.

Diese Form der Ausbeutung ist nach wie vor gegeben. Einerseits über Sextourismus in den ehemaligen Kolonialstaaten, andererseits durch Aufenthaltsgesetze in Europa, die die Ausbeutung von Frauen begünstigen. Eine Auswirkung des Aufenthaltsrechts ist oft die Bindung des Aufenthaltstitels an einen Mann. Ein Abhängigskeitverhältnis, das die Gesetzeshüter_innen nach wie vor nicht anerkennen und in ihren Gesetzen und Praxen zementieren.

Ebenso sind Fluchtgründe von Frauen für die Behörden asylrechtlich nicht "relevant". Fliehen sie, weil sie aufgrund ihres Geschlechts unterdrückt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, z.B. durch die Verweigerung des Rechts auf Bildung, werden sie wieder zurück geschickt. Und selbst frauenspezifische Fluchtgründe wie Vergewaltigung werden oft selbst dann nicht anerkannt, wenn Vergewaltigung als gezielte Waffe in Kriegen eingesetzt wird.

In der medialen Berichterstattung werden immer öfter die anderen Männer mit der Ausübung sexualisierter Gewalt in Verbindung gebracht, bei gleichzeitiger Ausblendung sexualisierter Gewalt durch Männern der Mehrheitsgesellschaft. In dieser Funktionalisierung werden patriarchale Machtstrukturen vom rassistischen Diskurs überlagert: Sexismus ist ein gesellschaftliches Problem, aber sicher keines, das auf die Folgen von Migration reduziert werden kann. Verschiedene, wenn auch miteinander verwobene Diskriminierungsformen werden gegeneinander ausgespielt: Der rassistische Diskurs lenkt von der notwendigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Sexismen und Geschlechterverhältnissen ab.

Es vergeht kein Tag mehr ohne Artikel über Übergriffe durch Asylwerber_innen oder Flüchtlinge - und dies nicht nur im Boulevard. Es wäre falsch, dies zu verharmlosen. Denn hinter dem gezeichneten Bild verbirgt sich eine Doppelmoral.

Dazu sei eine sinngemäß wiedergegebene Aussage einer Frau in einem Interview für "Am Schauplatz" im ORF genannt, in der angeblichen Konflikten in Freibädern nachgegangen wurde:

"Wenn ein Österreicher schaut, dann schaut er halt. Wenn aber Migranten schauen, dann..."

Im selben Beitrag ging es ebenfalls um Badebekleidung. In diesem Zusammenhang sei - ganz allgemein - angemerkt: Wenn gegen Bekleidung vorgegangen wird, dann wird dies oft mit dem Argument gerechtfertigt, dies richte sich gegen die Unterdrückung von Frauen. In Wirklichkeit werden die Freiheiten von Frauen ein Stück weiter eingeschränkt.


Hier geblieben


Wurden einst Sklav_innen gejagt und in Ketten gelegt, so werden heutzutage in Europa - und weiteren Wohlstandsinseln - Geflüchtete und zu Unerwünschten erklärte Migrant_innen gejagt, regsitriert, interniert und abgeschoben. Was verbirgt sich hinter einer Politik des Ausgrenzens, Einsperrens, des Abschiebens? Sind Abschiebungen das letzte Glied in der Kette der Sklaverei? Auf jeden Fall sind sie ein Geschäft, mit dem Millionenumsätze gemacht werden. Abschiebungen seien 'notwendig', so sagen sowohl Politiker_innen als auch die Leute am sog. Stammtisch: Aber wofür sind sie notwendig? Um den Wohlstand zu sichern? Um die ungleiche Ordnung am Leben zu halten?

Abschiebungen sind ein Handel mit Menschen, um koloniale Strukturen zu bewahren. Abschiebungen sind der wahre Menschenhandel der heutigen Zeit. Sie untergraben das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, sie untergraben die persönlichen Freiheiten jeder und jedes Einzelnen und sind nicht vereinbar mit einer wirklich freien Gesellschaft.


Differenzierungen


Es wäre falsch davon auszugehen, dass überall in der Welt die bzw. alle Menschen von den bösen weißen Europäer_innen unterdrückt werden. Diese Sicht entspricht nicht der Realität, denn überall gibt es sowohl Reiche als auch arme Menschen. Und überall wird dieses Gesellschaftsverhältnis mit Gewalt aufrecht erhalten. Doch die Ungleichheit auf der Welt ist nicht zu übersehen. Das wissen auch jene, die dafür verantwortlich sind, dass nun überall Zäune aufgezogen werden, dass mittels Gesetzen und Bestimmungen Menschen einmal mehr entrechtet werden, wie u.a. die Änderungsvorschläge eines kurz-sichtigen Jungspunds in der österreichischen Politik zeigen, der als Ausgrenzungsminister das Asyl und Fremden(un)recht verschärfen will. Als zu diesem Thema aus den Medien bekannten Stichworte seien hier u.a. genannt: Obergrenze, Notverordnung, verpflichtende Ein-Euro-Jobs (als Umschreibung von Zwangsarbeit) sowie reduzierte Sozialleistungen (wie die Mindestsicherung). Ebenso genannt weden können Wertekurse für 'Fremde' aus 'anderen Kulturen', denen so wohl beigebracht werden soll, was hierzulande als 'Zivilisation' verstanden wird, oder populistische Bekleidungsverobte, die tief verwurzelt sind in einer antiislamistischen Einstellung.

Jene, die trotz bzw. wegen all dieser Maßnahmen - bzw. aufgrund bereits bestehender Gesetze - kein Aufenhaltsrecht erhalten und deren alleinige Existenz als 'illegal' erklärt wird, sollen weiteren populistischen Vorschlägen zufolge 'noch schneller' abgeschoben werden. Oder aber: daran gehindert werden, dass sie das Land erreichen, sei es mittels militärischen Operationen auf See samt Internierung auf Inseln, sei es mit Militär und Polizei an den Außen- wie Binnengrenzen, oder durch Zäune mitsamt 'Grenzmanagement', das aufgrund eines herbeigeredeten 'Notstandes' dazu dient, Menschen abzuweisen und in Lagern (bzw. 'Hotspots') an den Grenzen zu internieren.

All diese Maßnahmen nennen sie 'Zivilisation', bzw. dem Schutz der 'Zivilisation' bzw. der Gesellschaft(en) 'im eigenen Land' dienlich. Die (Mehrheits-)Gesellschaften werden homogenisiert und es wird von sog. 'Paralellgesellschaften' phantaisert, denen sogleich das Existenzrecht abgesprochen wird - wie den Menschen selbt.


Begrenzte Freiheit


Da frag ich mich: Wer gibt diesen Clowns(**) das Recht zu bestimmen, wie andere - und somit auch ich selbst - zu leben haben? Sie geben vor 'unsere freie Gesellschaft' beschützen zu wollen - und gleichzeitig schränken sie 'unsere' Freiheiten ein.

Ich kann nicht frei sein, so lange selbst nur einer meiner Nachbar_innen, Freund_innen, Bekannten, nur einem Individuum die mir gewährten Freiheiten verwehrt werden.

Um unsere Freiheiten wieder zu gewinnen, stellen wir eine Losung in den Raum, quasi als Anstoß zum Handeln: Über Zäune springen, Grenzen überwinden!

Oft bleibt uns keine Wahl, wir sehen uns gezwungen, über Zäune zu springen, um Grenzen zu überwinden. Manchmal gibt es einen Weg unten durch. Es kann auch sein, dass wir ein Loch finden, durch das wir hindurch schlüpfen können. Oder aber wir müssen sie erst selbst machen, die sogenannte Lücke im Zaun, die einen Weg in die Freiheit eröffnet. So wie das Leben vielfältig ist, sind die Möglichkeiten sehr unterschiedlich. Führt ein Weg nicht ans gewünschte Ziel, müssen wir oft einen anderen Weg einschlagen. Das ist nicht immer einfach, doch solange wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren, können wir es erreichen.


Erinnerungen


Eine Passage aus aus dem Jahr 2006 :: Grenzenlos und gegen Schubhaft!

Kein Mensch unterwirft sich grundlos der ungewissen Zukunft von Migration oder Auswanderung. Für Flüchtlinge und MigrantInnen gilt es dabei viele Hindernisse bereits im Vorhinein zu beseitigen.
Manchmal ist das Zielland bei der Abreise noch unbestimmt. Oft sind die Gefahren für das eigene Leben oder das der Kinder und FreundInnen die Motivation, alles zurückzulassen und in eine ungewisse Zukunft zu gehen. Die Gründe sind dabei wohl so zahlreich wie die Menschen, die unterwegs sind. Viele Menschen erreichen nie ihr Ziel, immer mehr finden den Tod.
Abschottungswälle, wie sie in Europa gleich einer Festung gegen Osten und Süden oder in den USA an der Grenze zu Mexico errichtet werden, fordern klar kalkulierte Opfer: Jene, die es nicht schaffen, die Grenze lebend zu überqueren oder die den Auswirkungen der rassistischen Politik der jeweiligen Länder zum
Opfer fallen. Doch nicht alle können aufgehalten werden. Brachen sie oft noch im Glauben auf, in einem demokratischen Land anzukommen, in dem Menschenrechte eingehalten werden, wird ihnen spätestens dort klar, dass dem für sie nicht gilt.
Ein Ort, an dem dies sichbar wird, ist die Schubhaft. Dort werden Menschen allein aufgrund ihrer Existenz - weil sie über keine oder die falschen Papiere verfügen - bis zu 10 Monaten eingesperrt und entrechtet.



Eine Passage aus dem in den Jahren 1999 bis 2006 weit verbreiteten Flugblatt :: "Schubhaft abschaffen!"

Alle Menschen sollen gleiche politische und soziale Rechte haben - unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, sozialem Status und Geschlecht. Differenzierende Instrumente wie Schubhaft und Abschiebung, rassistische Gesetze und Praxen, können nicht verbessert sondern nur verhindert und abgeschafft werden. Sie sorgen dafür, dass Menschen rassistisch ausgegrenzt werden und andere davon profitieren. Rassismus liegt ihnen existenziell zu Grunde. Abschiebungen unmöglich zu machen und MigrantInnen aktiv zu unterstützen, ist praktische Solidarität und ziviler Ungehorsam gegen institutionalisierte Rassismen. Wir rufen dazu auf, Flüchtlinge und MigrantInnen bei der Ein- und Weiterreise zu unterstützen.


Ein Blick zurück - und in eine ungewisse Zukunft


Am Ende sei auf einen Artikel verwiesen, der vor einem Jahr geschrieben wurde. Er hat - leider - bis heute nichts an seiner Aktualität verloren. Rufen wir ihn in Erinnerung und gedenken wir damit all jener Menschen, denen der Weg in ein besseres Leben zum Verhängnis wurde. Denn selbst im Bewusstsein über all die Gefahren, die dieser Weg birgt, gibt es oft keine Alternativen. Ohne andere Möglichkeit das Ziel zu erreichen sind Menschen gewillt, Risiken auf sich zu nehmen. Selbst wenn sie wissen, dass es ihre letzte Reise sein kann. Auf die vielen Fragen, die dabei durch den Kopf gehen, gibt es für viele nur die Antwort :: Na klar, ich würde einsteigen!















Anmerkungen:

(*) Zu den wichtigsten Verarbeiter_innen von Contal gehören laut :: Wikipedia u.a. die Treibacher Industrie AG mit Firmensitz in Kärnten sowie die in Deutschland ansässige H.C. Starck Gruppe, die weltweit größte Verarbeiterin des Rohstoffes.

(**) Sorry ihr lieben Spaßmacher_innen, dass ich mir erlaube, euren Namen in den Dreck zu ziehen.