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Quellenangabe:
Notstand? Aufstand! - Gegen die rassistische Verordnung (vom 08.09.2016),
URL: http://no-racism.net/article/5181/, besucht am 16.04.2024

[08. Sep 2016]

Notstand? Aufstand! - Gegen die rassistische Verordnung

Am Morgen des 7. September 2016 wurde die Wiener Ringstraße kurzfristig blockiert. Auf einem über der Absperrung befästigten Transparent war zu lesen: "Notstand? Aufstand! Zaun nervt? Grenzen töten!"
Welche Bedeutung hat die 'Sonder-' bzw. 'Not'-Verordnung?

Grund für die Blockade-Aktion war die "Verordnung der Bundesregierung zur Feststellung der Gefährung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit", die in die vier-wöchentliche Begutachtung geschickt wurde. Nach langem Hin und Her einigten sich die Regierungsparteien SPÖVP tags zuvor auf zwei Paragrafen des als '(Asyl-)Notverordnung' bzw. '(Asyl-)Sonderverordnung' bezeichneten Entwurfes sowie die Begründung - macht insgesamt neun Seiten. Die kurzen, aber in der Praxis von einer Menge weitreichernder Maßnahmen begleitenden zwei Sätze lauten:



Wozu das alles?


Das ganze Gerede um einen Notstand ist an den Haaren herbeigezogen und entbehrt jeglicher Grundlage; ein Notstand ist bei weitem nicht zu erkennen. In den Argumentationen heißt es, Österreich sei bei Überschreiten der zuvor von Regierungsparteien ausgehandelten 'Obergrenze' nicht mehr in der Lage, das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten. So werden unzureichender Wohnraum, fehldende Schul-, Kindergarten- oder Arbeitsplätze ebenso genannt, wie die Belastungen des Budgets oder der soziale Zusammenhalt. All dies würde zur 'Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung' beitragen.

Es hat den Anschein, die Regierungsparteien wollen mit populistischen Maßnahmen angesichts vergangener Wahlniederlagen gegenüber der rassistischen Hetze der FPÖ punkten. Dass dies mit derartigen Verordnungen gelingt, ist zu bezweifeln. Eher fühlen sich die Menschen noch mehr verarscht und bleiben den Wahlen fern bzw. wählen - wie es immer wieder heißt 'aus Protest' - gleich die FPÖ. Diese hat im Moment nicht viel zu tun. Sie kann sich zurücklehnen und SPÖVP beobachten, ab und zu einen Rülpser von sich geben und darauf pochen, dass sie die Erfinder_innen ausgrenzender Maßnahmen sind.

Diese beinhalten vor allem eine Intensivierung von Überwachung und Kontrollen. Insbesondere die Landesgrenzen, allesamt EU-Binnen- bzw. Schengengrenzen (zur Schweiz), werden trotz eines Widerspruches zum Schengener Vertragswerk, dass einen Wegfall der Kontrollen an den Grenzen bei gleichzeitiger Verlagerung der Kontrollen ins Landesinnere vorsieht, seit Ende vergangenen Jahres verstärkt kontrolliert. (Mehr dazu in Artikel :: Grenzen und Kontrollzustände: Der Rassismus der 'Groß'-Parteien - Teil 2.)


Lücken und Löcher


Nicht nur die offiziellen Grenzübergänge stehen im Visier der Überwacher_innen, sondern die gesamte Grenze. Mit Inkrafttreten der 'Asyl-Sonderverordnung' soll potentiellen Asylwerber_innen der Übertritt der Grenzen verwehrt werden - mit Hilfe von Zäunen und einer Ausweitung des Assistenzeinsatzes des Bundesheeres auf genannte 2.200 Soldat_innen. Denn nach Erreichen der 'Obergrenze' von 37.500 eröffneten Asylverfahren im Jahr 2016 wollen die Behörden - in diesem Jahr - keine weiteren Asylanträge mehr annehmen.

Unklar ist dabei freilich, was mit jenen Menschen geschieht, die es trotz aller Maßnahmen schaffen einzureisen. Denn dann, wenn ihnen nicht nachgewiesen werden kann, über welches Land sie eingereist sind, können sie nicht dorthin 'zurück gebracht' werden...

Sicher ist, dass die Menschen ein deratiges Vorgehen nicht widerspruchslos hinnehmen werden. Weder Zäune noch Menschenjäger_innen werden Flüchtende und Migrant_innen abhalten, sich auf den Weg zu begeben. Selbst wenn die immer wieder beschworene 'Sicherung' der EU-Außengrenzen einmal funktionieren sollte, werden viele Wege ins Innere der Festung finden.


Verstoß gültigen Rechts


Ob die als 'Notverordnung' bezeichneten zwei Paragrafen vor dem Europäischen Gerichtshof halten, ist fraglich, dass wissen sogar die Erfinder_innen des 'Notstandes'. Denn mit Inkraftreten würde europäisches Recht außer Kraft gesetzt.

Christoph Riedl, Asylexperte des Diakonie Flüchtlingsdienstes führte gegenüber :: VICE aus: "Das österreichische Asyl- und Fremdenrecht basiert auf einem gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen und folgt den EU-Richtlinien, die bindendes Europarecht sind. Möchte nun ein Land aus diesem gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen ausscheren, braucht es dafür einen wirklich guten Grund."

Diesen "wirklich guten Grund" konstruiert sich die Bundesregierung mit der Behauptung, die öffentliche Sicherheit wäre nicht mehr gewährleistet. Würde Österreich auf europäischer Ebene mit dieser Argumentation durchkommen, wäre ein Dominoeffekt unter den Mitgliedsstaaten möglich. "Das wäre der Tod der gemeinsamen europäischen Asylpolitik und hätte mit Sicherheit auch Auswirkungen auf andere gemeinsame europäische Rechtsmaterien", so Riedl weiter.


Flashmob vor Parlament


Am Abend des 6. September demonstrierte die Plattform für eine menschliche Asylpolitik mit einem Flashmob vor dem Wiener Parlament gegen den Beschluss der rassitischen Verordnung durch den Minister_innenrat: "Finde den Notstand", "Nein zur Notverordnung" und "Flüchtlinge Willkommen" hieß es auf Schildern und Transparenten. (:: Mehr dazu im Aufruf.)


Stillstand am Ring


Die Wiener Ringstraße wurde am Morgen des 7. September von der autonomen antifa [w] symbolisch mit einem Zaun blockiert und der Berufsverkehr kurzfristig zum Stillstand gebracht, um auf die verherenden Folgen der geplanten Asyl-Notverordnung aufmerksam zu machen: Die faktische Abschaffung das Menschrechts auf Asyl. Flüchtende sollen direkt an der Grenze abgewiesen oder in eigenen "Registrierstellen" wochenlang inhaftiert werden. Die Regierung beruft sich zur Legitimierung dieser Maßnahmen auf Notstands-Gesetze und begründet das alles mit einer vermeintlichen Gefährdung "der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit durch die hohe Zahl an Flüchtlingen".

"Dass einer der reichsten Staaten dieser Erde es verwaltungstechnisch und finanziell nicht aufbringen kann, Asylverfahren durchzuführen und Asylberechtigte menschenwürdig zu versorgen, ist gewolltes Elend", wie die Autonome Antifa [w] ausführt: "Diese Verschärfung der ohnehin prekären Situation Flüchtender lehnen wir aufs Schärfste ab!"

Die Blockade dauerte nur kurze Zeit, der Zaun und das Transparent wurden von offenbar genervten Autofahrer_innen abgebaut, wie in einem :: Video der Blockade (auf Facebook) zu sehen ist.

Der kurze Stillstand am Ring war der 'Startschuss' einer Kampagne der "Plattform Radikale Linke" gegen die autoritäre Formierung der Gesellschaft. Weitere Aktionen, die sich gegen den Kapitalismus und seinen Staat richten, werden folgen: "Wir rufen alle dazu auf, Protest und Widerstand gegen die rassistischen Zustände und ihre Zuspitzung zu organisieren. Kein Mensch ist illegal - eine andere Welt ist notwendig!"